Mein Vater – Der Unbekannte
Fotocredit: Privat
Nahezu alle der in den fünfziger bis Siebzigerjahren in Deutschland geborenen Afro- Deutschen Kinder hatten eine weiße Mutter und einen Schwarzen Vater. In den meisten Fällen war der Schwarze Vater jedoch abwesend. Die Kinder wuchsen oft mit der leiblichen Mutter, aber ohne den leiblichen Vater auf. Meist bestand zum Vater kein Kontakt. Der Schwarze Vater war einfach weg, oft nicht mehr als ein Name, ein Foto, eine Anekdote, manchmal nicht einmal das. Wo aber waren all diese Väter und was bedeutete ihre Abwesenheit für ihre Kinder?
In Deutschland lernten die meisten Frauen ihre Schwarzen Partner in ihrer Freizeit in Tanzlokalen oder Bars kennen. Sie waren amerikanische Soldaten und Musiker. In Ostdeutschland auch häufig Studenten aus Angola oder Mosambik. In den sechziger Jahren waren es vor allem die in den vierziger Jahren geborenen deutschen Frauen, die sich abends schick machten und etwas erleben wollten. Überall gab es Livemusik, überall wurde getanzt. „Raus aus dem Muff und rein in die Revolution“ war ein Motto der 68er. Dieser Vibe schwelte bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts. Wohl die wenigsten Beziehungen, die weiße Frauen mit Schwarzen Männern eingingen, sollten in einer Ehe münden. Der problematische Umgang mit den aus dem Vergnügen resultierenden Schwangerschaften zeigt deutlich, dass eine Familie nicht der primäre Plan war. Frauen und Männer hatten Lust, Spaß zu haben, sich zu „amüsieren“, wie meine Mutter es nannte, man wollte etwas erleben. Auch wenn es bis Ende der Sechziger nicht so frei ausgesprochen wurde, spielte auch die pure Lust auf das Ausleben der körperlichen Anziehung auf unbeschwerten Sex außerhalb der Ehe eine nicht unwesentliche Rolle. Es waren nicht die vermeintlich „wilden Schwarzen Männer“, die sich die Frauen nahmen, wie es auf Plakaten aus dieser Zeit gerne dargestellt wurde. Die Frauen selbst wollten frei von engen gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen sein, die ihnen größtenteils von ihren durch Kriegs- und eventuell Fluchterfahrungen müden Eltern vermittelt wurden. Diese Eltern waren durch eine sehr strenge, auf Disziplin und gehorsam ausgelegte Sozialisierung geprägt. Was meine Mutter an Schwarzen Männer liebte: Sie konnten oft hervorragend tanzen, sie lachten mehr als deutsche Männer- und sie liebte den Jazz, den sie spielten. Und die Männer? Die meisten von ihnen waren Afroamerikaner und waren aus ihrem Land deutlich ausgeprägte Diskriminierungen gewohnt. In den Sechzigern war es in Amerika undenkbar, das Schwarze und weiße Menschen gemeinsam in einer Bar feierten. Diese jungen Schwarzen und weißen Menschen ließen also ihre jeweiligen Prägungen hinter sich und nahmen mit, was sich ergab.
Diese Leichtigkeit fand oft ein jähes Ende, wenn aus der Beziehung eine Schwangerschaft resultierte. Die intime Verbindung wurde dann zu einer öffentlichen Sache mit vielen gesellschaftlichen Konsequenzen. Die Paare, aus deren Beziehungen Kinder entstanden, standen vor einer Reihe von Problemen. 1955 kamen 4000 afro- deutsche Kinder zur Welt, die meisten von ihnen waren Kinder deutscher Mütter und amerikanischer Besatzungssoldaten. Diese Soldaten waren maximal zwei Jahre in Deutschland stationiert. Eine Ehe war ihnen bis 1950 untersagt worden, aber auch später wuchsen 75% der afro- deutschen Kinder allein bei ihrer Mutter oder Anverwandten, ein weiterer Anteil in Heimen oder Adoptiv- bzw. Pflegefamilien auf. Oft wurden Schwarze Soldaten direkt versetzt, wenn bekannt wurde, dass sie Vater werden würden oder der Antrag auf Verbleib in Deutschland über die vorgesehenen zwei Jahre hinaus wurde abgelehnt. Oft war aber auch schlichtweg keine Ehe geplant. Die Kinder, die aus diesen Verbindungen entstanden, hatten gesellschaftlich einen doppelten Makel: Sie waren unehelich geboren und sie waren Schwarz. Beides machte es ihnen schwer, auf Menschen zu treffen, die sie unvoreingenommen als Teil der Deutschen Gesellschaft akzeptierten und sie als gleichberechtigt bezüglich ihrer Chancen und Möglichkeiten annahmen. Was macht es mit einem Schwarzen Kind, welches ohne seinen Schwarzen Vater aufwächst?
Allein mit der Mutter aufzuwachsen erschwert dem Kind deutlich die Loslösung von dieser einen Bezugsperson, die es bedingungslos akzeptiert. Ist ein Vater anwesend, kann sich das Kind schon in frühen Jahren, meist im zweiten Lebensjahr, schrittweise von der Mutter lösen und sich dem Vater annähern, sodass ein gleichschenkliges Beziehungsdreieck zwischen Vater, Mutter und Kind entstehen kann. Gibt es einen wohlwollenden, dem Kind zugewandten Stiefvater oder eine andere dritte nahe Person, kann diese den Part des Vaters im Beziehungsdreieck ersetzen. Was dem Kind aber nicht ersetzt werden kann, ist die Identifikation mit seinen Schwarzen Anteilen, die ihm mit einem Schwarzen Vater an seiner Seite möglich wäre. Schwarzsein war- und ist in einer rein weißen Umgebung keine Option. Das Schwarze Kind will dazu gehören, will keine vermeintliche Trennung zwischen sich und seiner Mutter, zwischen sich und seinen Freund:innen. Das eigene Schwarzsein wird vom Kind verdrängt oder zumindest nicht bewusst wahrgenommen. Die Fremdeinschätzung oder Fremdzuweisung bezüglich der Ethnizität ist somit deutlich ausgeprägter als die Selbsteinschätzung.
Rassistische Äußerungen wurden von mir oft mit Überraschung aufgenommen. Ich fühlte mich oft nicht gemeint, habe mich innerlich nach der Person umgesehen, die mit gebrochenem Deutsch angesprochen wurde. Ich habe, selbst wenn ich in den Spiegel schaute nur sehr selten bewusst wahrgenommen, dass ich Schwarz war, deutlich dunkler als alle anderen Kinder. Ich lebte in einer Art Ignoranz meines Schwarzseins.
Lange mied ich den Kontakt zu anderen Schwarzen und weiß jetzt, dass ich damit vermeiden wollte, mich selbst Schwarz zu fühlen. Letztendlich ist es der Kontakt zu Schwarzen, der nahe Umgang mit ihnen, der es dem Kind ermöglicht, sich Schwarz zu identifizieren. Andere Schwarze nahe Menschen teilen dieselben Erfahrungen, habe Worte für das, was man draußen erlebt ohne es zu relativieren. Der Schwarze Vater ermöglicht es seinem Kind, sein Schwarzsein selbstverständlich anzunehmen. Das ist eine oft verborgene Sehnsucht, die so viele Schwarze Deutsche früher oder später dazu bringt, ihren unbekannten Vater zu suchen. Ihn zu kennen befreit unser Schwarzsein, es lässt die Bewusstheit des eigenen Schwarzseins zu. Nicht alles, was uns wohltut, was wir zu unserer gesunden und freien Entwicklung brauchen, ist auch möglich, aber eine Beziehung zum Schwarzen Vater sollte so oft es irgendwie geht, eine Option sein. Das war sie in unserer jüngeren Vergangenheit sehr häufig nicht.
Jutta
Jutta Weber wurde 1964 am Niederrhein geboren. Nach dem Abitur studierte sie in Göttingen und Düsseldorf Humanmedizin und absolvierte danach ihre Doktorarbeit, eine Fachärztinnenausbildung zu Kinder- und Jugendärztin und eine Ausbildung zur Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Jutta Weber lebt mit ihrer Familie in Krefeld und arbeitet dort in eigener Praxis.
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