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Andrea-Vicky Amankwaa-Birago: „Erinnerungskultur ist nicht nur Rassismus, Schwarze Kultur ist auch Panafrikanismus“

Fotocredit: Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Im Gespräch mit Kulturwissenschaftlerin Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Der Black Herstory Month bedeutet auch Schwarze deutsche Geschichte sichtbar zu machen und sie zu zelebrieren. Mit ihrem Projekt „Anton Wilhelm Amo Erbschaft“ trägt die Kulturwissenschaftlerin, Organisationsberaterin und Anti-Diskriminierungstrainerin Andrea-Vicky Amankwaa-Birago wesentlich dazu bei. Die 40-jährige Hamburgerin mit ghanaischen Wurzeln pendelt zwischen Deutschland und Ghana und hat uns erzählt, was sie und ihr Team mit diesem Projekt bewirken wollen.

Kannst du uns kurz schildern, wer Anton Wilhelm Amo war?

Andrea-Vicky: Von Anton Wilhelm Amo kennen wir vor allem das Ergebnis, das mit einer Statue in Halle hervorgehoben wird. Dass er der erste Schwarze Philosoph in Deutschland war. Er war aber viel mehr. Er war nämlich die allererste Person, die eine Dissertation zum Thema „Die Rechte der Schwarzen Menschen“ geschrieben hat. Und wie der Zufall es so will, ist diese Dissertation natürlich spurlos verschwunden. Man muss sagen, das ist kein Einzelfall bei solchen Geschichten. Da gibt es einige ähnliche Geschichten, wo Dokumente von Schwarzen Menschen verschwunden sind, die irgendwas gegen den Kolonialismus oder den Sklavenhandel verfasst haben. Anton Wilhelm Amo wurde ca. 1703 in Ghana geboren und versklavt. Von der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft wurde er nach Europa verschleppt. Es ist wichtig, diese Gesellschaft zu benennen, da sie für viele Sklavenburgen in Westafrika verantwortlich war. Wir wissen auch, dass das Thema „Schwarze Menschen nach Europa mitnehmen“ in einer Tradition stand, um Prestige auszudrücken. So nach dem Motto „Guckt mal, das habe ich als Souvenir mitgebracht“ und es war auch ein Experiment, um zu schauen, wie intelligent Schwarze Menschen werden können. Von Amsterdam wurde Amo dann an den Herzog Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel „verschenkt“. An den Universitäten in Helmstedt (Niedersachsen), Halle und Wittenberg studierte er Philosophie, Recht und Medizin und lehrte als Privatdozent an der Universität in Halle und später in Jena.

Wann hattest du deine erste Begegnung mit Anton Wilhelm Amo?

Andrea-Vicky: Meine allererste Begegnung mit Amo war bei der Eröffnung der Ausstellung „Homestory Deutschland. Schwarze Biografien in Geschichte und Gegenwart“ in Halle. Ich war Mitte 20. Später habe ich das Filmprojekt von dem afro-deutschen John Amoateng Kantara gesehen, der 2008 im W.E.B. Du Bois Center in Ghana maßgeblich dafür verantwortlich war, dass wir heute eine Dokumentation haben zum Thema „Der vergessene Philosoph Anton Wilhelm Amo“ und ich durfte die Perspektiven von Kwame Gyekye, einem der bedeutendsten Philosophen für das Thema Afrikanische Philosophie, hören. Dann habe ich wenige Jahre später witzigerweise meine Magisterarbeit bei Prof. Dr. Dr. Jacob E. Mabe geschrieben, einem der wenigen afrikanischen Professoren in Deutschland für Interkulturelle Philosophie. Er ist der Leiter der Anton Wilhelm Amo Gesellschaft in Berlin. Ich habe realisiert, dass das Thema mich irgendwie verfolgt. Ich habe irgendwann aber auch gemerkt, dass da biografisch auch so viele Parallelen zwischen Anton Wilhelm Amo und mir sind. Meine Mutter hat mir gesagt, dass sie und mein Vater aus Ghana zuerst in Braunschweig angekommen sind. Amo ist auch aus Ghana in Wolfenbüttel, also in der Nähe von Braunschweig, angekommen. Das Thema Amo hat mich nicht mehr losgelassen. Im Fotoalbum meiner Mutter habe ich Fotos von meiner Großmutter gefunden, auf denen ein weißer Mann, vermutlich ein Missionar, abgebildet war. Ich habe mich immer gewundert, warum meine Großmutter, die in den 1920ern geboren ist, noch einige Brocken deutsch konnte. All diese Dinge haben mich dazu gebracht, mich mehr mit Amo zu beschäftigen und ein Projekt zu entwickeln.

Andrea-Vicky arbeitet derzeit von Ghana aus und hat das Projekt initiiert © Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Um was geht es genau in deinem Projekt „Anton Wilhelm Amo Erbschaft”?

Andrea-Vicky: Die Idee vom Projekt „Anton Wilhelm Amo Erbschaft“ ist, alles sichtbar zu machen, wo Amo gelebt und gewirkt hat. Wir sind ein Projektteam aus allen Bildungsinitiativen quer durch Deutschland, die zu Anton Wilhelm Amo arbeiten und hatten jetzt in unserem Blackourstory Month unseren Kick Off. Wir sind gerade dabei den ersten digitalen Rundgang zu Schwarzer Erinnerungskultur am Beispiel von Anton Wilhelm Amo sichtbar zu machen und damit Begegnungen zu schaffen. Zwischen Schwarzen, People of Color und weißen Menschen, aber auch Räume nur für Schwarze Menschen aus Ghana und Deutschland zu schaffen. Erinnerungen können traumatisieren und triggern und wir fragen uns im Projekt, wie man Erinnerungen auch positiv besetzen kann. Für uns ist es auch wichtig, unterschiedliche Themen sichtbar zu machen, die Amos leben prägten: Resilienz, Zerrissenheit, Fragmente in der Geschichte, dass es in der Schilderung seiner Lebensgeschichte auch gar keine Kontinuität gab. In Ghana weiß man beispielsweise gar nicht, ob er wirklich dort gestorben ist, wo er begraben wurde, wie es bisher tradiert wird. Vieles ist noch unbekannt. Gleichzeitig möchten wir auch Parallelen zu den Themen ziehen, die jetzt gerade aktuell sind. Fragen zum Umgang mit Geflüchteten und Diskurse rund um Menschen- und Bürgerrechte, er hat dazu ja auch seine Dissertation geschrieben. Ein anderes wichtiges Thema ist für uns das Statusparadoxon. Das bedeutet, dass jemand sein Land verlässt und nicht denselben Status hat, wie in dem Land, aus dem er ursprünglich kommt. In Amos Fall ist es so, dass in Ghana nie anerkannt wurde, was er in Deutschland geleistet hat und es wird bis heute nicht gesehen.

Für das Projekt hast du einen transnationalen Ansatz gewählt. Was bedeutet das konkret?

Andrea-Vicky: Amo spielt eine zentrale Rolle für Kwame Nkrumah – der erste Präsident Ghanas, der Ghana 1957 als einer der ersten afrikanischen Länder in die Unabhängigkeit geführt hat. Er war Panafrikanist und hat sich sehr intensiv mit Amo auseinandergesetzt. In den Archiven in Ghana habe ich herausgefunden, dass es sein großer Wunsch war, dass in Halle die sogenannte „Anton Wilhelm Amo Foundation“ entsteht, wo Schwarze Menschen mit Stipendium studieren können – auch damit zu Anton Wilhelm Amos Geschichte geforscht werden kann. Wegen der politischen und sozialen Umstände in Ostdeutschland in den 1960ern ist es nicht dazu gekommen, aber das ist auch der Grund, warum ich das Projekt „Anton Wilhelm Amo Erbschaft“ genannt habe. Es geht auch darum, um uns herum zu schauen und zu suchen, was ihm gehört, sein Erbe für ihn zu beanspruchen. Die Geschichte von Amo beginnt in Deutschland nicht erst in Sachsen-Anhalt, sondern sie beginnt in Niedersachsen.  Wir wollen seine Geschichte neu kontextualisieren und so beleuchten, dass da ein Empowerment für Schwarze Menschen ist. Wir arbeiten sowohl in Deutschland als auch in Ghana daran, digitale Rundgänge anzubieten. Nach der Nkrumah Ära wurde in Ghana nicht mehr zu Amo geforscht. Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass Helden in der populären Schwarzen Geschichte wie Mohammed Ali, Martin Luther King und Malcom X im engen Kontakt zu Kwame Nkrumah standen und natürlich auch W.E.B. Du Bois, der auch in Deutschland gewirkt hat und später auch eng mit Kwame Nkrumah befreundet war und in Ghana verstorben ist. Die waren alle in Ghana und Nkrumah hat diesen panafrikanischen Gedanken vorangetrieben und auf dem Gebiet Amo Pionierarbeit geleistet. Der transnationale Ansatz ist so wichtig, weil die Geschichte Deutschlands mit Afrika verknüpft ist und man kann das Ganze nur gemeinsam betrachten. Ich kann nicht weiter machen, wenn ich nicht weiß, was in Ghana ist. Darum habe ich auch erstmal Anton Wilhelms Grab in Shama an der Festung „Fort San Sebastian“, in der versklavte Menschen untergebracht wurden besucht, um meinen Respekt zu zollen. Das ist im Sinne des philosophischen Konzepts Sankofa. Das Adinkra Symbol, der Vogel, der sich nach dem Ei auf dem Rücken umdreht: Se wo were fi na wosankofa a yenkyi. Das ist Twi, die Sprache meines Volkes Ashanti und bedeutet im übertragenen Sinne: „Es ist nicht falsch zu dem zurückzukehren, was Du vergessen hast.“ Das Symbol erinnert uns. Es ist eine Bewältigungsstrategie. Es ist eine Einladung oder- wie man es nimmt – auch eine Aufforderung in die alte Geschichte zurückzugreifen um die Traditionen und Bräuche zu finden, die vergessen wurden. Das hilft uns auch unsere Zukunft zu verstehen und diese auch selbst zu bestimmen. Als Kind von Eltern, die selbst den Kolonialismus erlebt haben, ist mein Motto im Projekt: Nur wenn ich weiß, dass das Thema in Ghana vorangebracht wird, kann auch das Thema in Deutschland vorankommen.

In Deutschland gewinnt das Thema Erinnerungskultur und die Aufarbeitung des „kolonialen Erbes“, wie es genannt wird, in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Wie ist deine Haltung dazu?

Andrea-Vicky: Für mich bedeutet Erinnerungskultur eine Auseinandersetzung mit den Menschen und nicht nur mit irgendwelchen Orten. In Ghana bedeutet Erinnerung, dass man sich hinsetzt und sich Dinge erzählen lässt und respektiert. Das kennt man auch von der Aufarbeitung der Nazivergangenheit in Deutschland. Der ganze aktuelle „Hype“ um Erinnerungskultur ist für mich aber zu kurz gedacht, da keine institutionelle Aufarbeitung stattfindet. Es gibt so tolle, qualifizierte Trainer:innen und Berater:innen im Bereich diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, die sich den Menschen annehmen würden und die sich angucken würden, was die Dinge heute, gestern und morgen für eine Bedeutung haben. Wie kannst du das Geschehene kontextualisieren und warum fehlt dir der Blick von außen? Diese ganzen Interventionsprozesse fehlen in dem Thema der Erinnerungskultur und darum ist es für mich nicht echt. Verpasste Chance, denn wir leben in der UN-Dekade für Menschen aus afrikanischen Gesellschaften. Es kommt auch nicht vor, wie sich die Unsichtbarkeit von Schwarzen Menschen in den Wissenschaften durchzieht. Dass die Nazizeit unmittelbar mit dem Kolonialismus verknüpft ist, muss erstmal ins Bewusstsein dringen mit Blick auf die Erinnerungskultur. Ich habe das Gefühl, dass es eine Hierarchisierung gibt in Sachen Erinnerungskultur. Es gibt bestimmte Erinnerungskulturen, die wichtig sind und andere nicht. Die Umbenennung der M-Apotheken ist ja auch ein aktuelles Thema. Ist mit der Umbenennung dann alles geklärt? Es bringt nichts, Sachen umzubenennen, umzustoßen und abzureißen, wenn keine Auseinandersetzung Mensch zu Mensch stattfindet. Ich finde es auch wichtig – mit Blick auf transnationale Geschichte – sich bestimmte Orte anzugucken. Es gibt die stereotyphafte Statue von Amo in Halle und das Grab von ihm in Ghana. Warum liegt dieses Grab aber ausgerechnet an der Burg in Ghana, in der versklavte Menschen untergebracht wurden? Welcher Bogen wird da gespannt? Man muss sich auch mal klar machen, dass deutsche Geschichte nicht nur auf deutschem Boden stattgefunden hat.

Was wollt ihr mit dem Amo-Projekt langfristig verändern?

Andrea-Vicky: Es gibt nicht 54 sondern 55 afrikanische Länder. Das „Land“, was dazu kommt ist die afrikanische Diaspora. Und es braucht das Thema afrikanische Diaspora, denn viele von uns kennen beide Kulturen. Viele von uns haben Eltern, die zwischen zwei Ländern pendeln. Sie sind Transmigrant*innen. Es ist wichtig, dass wir eine starke Stimme entwickeln und den Diskurs mitbestimmen und unsere eigene Erinnerungskultur schaffen. Wir müssen selber aktiv werden und gestalten. Allyship ist wichtig und es ist gut, wenn weiße Menschen ihren Lernmoment haben. Mir geht es aber zentral um die Schwarze Perspektive und darum, die unterschiedlichen Schwarzen Stimmen sichtbar zu machen und um die unterschiedlichen Schwarzen Erinnerungskulturen, die sich daraus entwickeln können. Die Geschichte von Anton Wilhelm Amo ist eine Geschichte, aber wir alle haben damit unterschiedliche Assoziationen. Begegnungsräume zwischen Schwarzen Menschen aus der Diaspora und Schwarzen Menschen in Ghana zu schaffen ist ein großes langfristiges Ziel. Diesen Dialog zwischen Diaspora und in dem Fall Ghana zu fördern, finde ich sehr wichtig. Der Gedanke des Panafrikanismus in Deutschland muss wiederbelebt werden. Collective Black Leadership ist der Empowerment-Moment, der Kern des Projekts und nicht (nur) der Kampf gegen den Rassismus. Es lenkt ab von der „richtigen“ Erinnerungskultur und dem Thema Collective Black Memory Culture. Kultur ist vielfältig. Kultur wird nicht erhalten durch Schuld oder Scham und auch nicht dadurch belebt. Kultur lebt von Menschen, Storytelling im Sinne des Sankofa-Konzepts, durch Freude und durch Vielfalt. Das ist die Komponente, die in diesem gesamten politischen Diskurs fehlt. Erinnerungskultur ist nicht nur Rassismus, Schwarze Kultur ist auch Panafrikanismus und wird von diesem Gedanken belebt.

Wie kann man euer Projekt unterstützen?

Andrea-Vicky: Wenn man mit uns in Kontakt tritt, kann man schon sehr unterstützen. Ich nehme immer viel aus Gesprächen mit unterschiedlichen Menschen mit. Helft uns, unser Projekt bekannter zu machen. Spread the word! Wenn es Leute gibt, die Stifter:innen sind, freuen wir uns natürlich auch! Ab dem 27. Februar haben wir auch ein Video auf unserem Blog, in dem wir unser Projekt vorstellen und in Kürze wird Euch auch unsere neue Webseite noch mehr Informationen liefern. Schaut gerne mal rein!

Fotocredit: Fotocredit: Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Yeama Bangali

Yeama

Yeama Bangali, 27 lebt in Stuttgart und hat dort auch germanistische Literaturwissenschaft studiert. Dort sind ihr auch zum ersten Mal die Gedichte May Ayims begegnet, über die sie auch ihre Masterarbeit geschrieben hat. Neben ihres Studiums hat sie beim SWR als Radio- und Multimedia-Reporterin gearbeitet und war der festen Überzeugung im Journalismus zu landen. Sie flitzte dann für eine Weile nach Glasgow, um da mal die Luft dieser vielfältigen Kulturlandschaft zu schnuppern. Es hat sie aber dann doch in die Wissenschaftskommunikation eines Forschungsinstituts verschlagen. Still sitzen ist nicht so ihr Ding, deshalb schreibt sie in ihrer Freizeit Songs und andere Texte, singt und arbeitet eifrig an ihrem Projekt als Solokünstlerin. Tiefe Gespräche, Empowerment und ein Mitwirken in gesellschaftlichen Debatten ist ihr wichtig. Deshalb engagiert sie sich auch in der Stuttgarter Regionalgruppe der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. 2014 hat sie mit ihrer Mutter den gemeinnützigen Verein Vision:Life e.V. gegründet, der sich für Kinder und Jugendliche in Sierra Leone einsetzt. Bei RosaMag liegen ihre Schwerpunkte auf afrodeutscher Literatur und Kultur sowie intersektionalem Feminismus.

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