Black Girl Magic: Kulturimperialismus und spirituelles homecoming
Schwarze Menschen sind auf der ganzen Welt zu finden. Mit ihnen auch ihre Spiritualität. Diese wurde im Zuge der Kolonialisierung, Christianisierung und dem Imperialismus verboten und ist nun wieder in Mode. Santeria, Kerzenmagie, Trance, Kräuterkunde – Für den globalen Norden ist sie zu einem all-you-can-eat-Buffet verkommen. Auch Schwarze Menschen die isoliert von traditioneller Spiritualität aufwachsen, tappen in die Falle – Spiritualität als Konsumgut zu betrachten. Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen und was ist die Lösung aus diesem Kreislauf?
Konsumerismus
Die Glaubenssysteme innerhalb der weltweiten Schwarzen Gemeinschaften sind so hochkomplex, beeindruckend und einflussreich, dass ein Artikel wie dieser noch nicht einmal an ihrer Oberfläche kratzen würde. Ich versuche es trotzdem. Mit dem Konsumerismus sind wir auch schon mitten beim Thema. Hier findet die große Selbstbedienung ohne jeglichen Respekt vor Hintergrund, Geschichte, Zusammenhang und wirklichen Wissen statt. Losgelöst von dem System, in dem einzelne Handlungen eingebettet sind, findet der Versuch statt, sich sowohl spirituelle Konzepte als auch die dazugehörigen spirits anzueignen, sie in eigene unzureichende Worte zu kleiden und sie für sich zu beanspruchen. Über Jahrtausende gewachsener Glaubenskultur wird mit dem Blick von außen bewertet, dort übernommen, wo es dienlich scheint oder unterhält und ansonsten als “primitiv” abgestempelt und lächerlich gemacht.
Dasselbe Nähe-Distanzproblem, dass Schwarze Menschen an ihren Körpern erfahren, wiederholt sich auch in ihren Religionen. Und dies bedauerlicherweise nicht nur von weißen Menschen, sondern auch von denen von uns, die im globalen Norden aufgewachsen sind und auf der Suche nach einem spirituellen Zuhause wissentlich oder unwissentlich Grenzen überschreiten und so eine Aneignungspraxis betreiben, die sie andernorts strikt ablehnen.
Systeme und Konzepte, die ihren Ursprung in indigenen Traditionen haben. werden als faszinierend wahrgenommen, heute mehr denn je, was sicherlich auf die globale Vernetzung zurückzuführen ist. Sie macht diese Informationen mehr Menschen zugänglich als Jahrzehnte zuvor, als sich nur wenige “chosen few” eine Pilgerreise finanziell und zeitlich leisten konnten oder sich bewusst für eine Abkehr aus dem System entschieden. Die wenigsten müssen sich heute auf eine Exkursion begeben, um Kontakt herzustellen genügen WLAN, Neugier und wenige Klicks. Es scheint zudem , dass der Wunsch nach Sinnsuche in den letzten Jahren immer größer und dringlicher geworden ist. Um ihn zu befriedigen, beginnt dann bei vielen oft die Suche nach dem nächsten und übernächsten spirituellen Superfood, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob es in Ordnung ist, sich so frei zu bedienen.
Verworrene Geschichtserzählung
Denken wir an die Besessenheit der Europäer*innen gegenüber Pyramiden sowie ihrem andauernden Versuch, sie zu einem Teil europäischen Erbes zu machen und sich so ihre Weisheit und ihr Wissen einzuverleiben, so ist die Praktik der Aneignung nicht wirklich neu. Ich erinnere mich lebhaft an die Diskussion mit einer weißen Bekannten,die nicht nur der festen Meinung war dass “Ägypten ja irgendwie doch mehr Europa und somit auch Teil der europäischen Geschichte ist” und mir auf diese Weise erklären wollte, dass sie als weiße Frau auf diesen Teil der Geschichte einen größeren Anspruch hätte als ich. Es ist das uralte “wir haben das gemacht. Das gehört uns”, welches white supremacy so gern behauptet. Sie reagierte ausgesprochen empört und unterstellte mir, die Wahrheit zu manipulieren und “mir Dinge auszudenken”, als ich sie darauf hinwies, dass sowohl die Bauwerke als auch die damit zusammenhängende jahrtausendealte Kultur afrikanisches und nicht europäisches Erbe seien. Es mag jetzt schmerzhaft sein, aber wir sind nun mal auf meist europäische Schulen gegangen, haben deren extrem einseitige und daher eine imperialistische Erziehung genossen und leider einen Teil des Giftes mit der intellektuellen Muttermilch aufgesogen. Sofern unsere Eltern uns nicht zuhause selbst unterrichtet und unsere Blickwinkel erweitert haben, sind wir dem Märchen, dass es in afrikanischen Ländern „keine richtigen Religionen“ gab, bevor es zur spirituellen Kolonialisierung kam, aufgesessen. So wie das Land selbst ausgebeutet, entkernt und besetzt wurde, so wurden auch die spirituellen Systeme zerstört, geleugnet, dämonisiert und wann immer möglich, vernichtet. Was zu groß oder zu kostbar zum Zerstören war, wurde gestohlen und sich auf diese Weise einverleibt. Erst im November 2018 gab Frankreich 26 Kunstwerke an Benin zurück, die es 1892 im Zuge der Kolonialisierung geplündert und nach Frankreich gebracht wurden. Und dies ist nur ein Bruchteil dessen, was an afrikanischen Kulturgeschichte und – erbe gestohlen wurde. Der oben genannte Artikel der geht von 90% des kulturellen Erbes Afrikas aus.
Die Spuren eines Glaubensvakuum
Damit kein Glaubensvakuum entstand und auch um die beraubten Menschen mithilfe eines spirituellen Konzepts besser für die eigenen Zwecke manipulieren zu können, wurde unter dem Deckmantel der Nächstenliebe und dem Ansatz des „Seelen rettens“ die Christianisierung der überfallenen und ausgeraubten Länder beschlossen und vorangetrieben. Walter Rodney, der bekannte Historiker und Panfrikanist, der 1980 mit nur 38 Jahren einem Attentat zum Opfer fiel, beschreibt dies eindrücklich in seinem Klassiker “ How Europe underdeveloped Africa”. sicherlich waren auch einige Missionar*innen zutiefst davon überzeugt, “Gutes zu tun”, nur war dies eben unmöglich, da sie die Menschen, die sie zu überzeugen versuchten, nicht als ebenbürtig ansahen.
Den Menschen, die verschleppt und gekidnappt wurden, wurde in ihren neuen Ländern verboten, den traditionellen Glauben zu praktizieren, in der Hoffnung, sie weiter von ihrem Herkunftsländern, Traditionen und Erinnerungen zu trennen und auf diese Weise zu schwächen. Auch sie wurden in die unterschiedlichen christlichen Glauben hinein gezwungen und ihre Unterdrückung und Ausbeutung wurde mithilfe von Bibelzitaten zu rechtfertigen versucht. Indem man sie unter zitieren der “heiligen Schrift” als sündig und minderwertig bezeichnete, fiel es noch leichter, sie nicht als Mensch wahrzunehmen, sie auszunutzen, auszubeuten und zu töten, wenn sie ihren Zweck nicht mehr erfüllten. Den eigenen Glauben und die eigene Spiritualität konnten Schwarze Menschen nur heimlich und versteckt leben, immer mit der Gefahr der Entdeckung und Bestrafung konfrontiert. In den afrikanischen Religionen der Amerikas, haben die Bewahre*innen und Priester*innen damals die Orishas verehrt und zudem noch katholische Heilige in ihren Glauben aufgenommen.
Die Dekolonialisierung der Psyche
Für die von uns, die fernab einer historischen traditionellen Schwarzen Gemeinde aufgewachsen sind und daher wenig bis gar keine Bezüge zu Schwarzer Spiritualität haben, ist es manchmal nicht ganz so einfach, sich den Wunsch nach einem Ankommen, Verankern und Einfinden in einem Glauben zu erfüllen.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir unseren eigenen Blick dekolonisieren müssen, um überhaupt eine Ahnung von den ältesten Religionen der Menschheitsgeschichte zu bekommen. Wir sind ansonsten nicht imstande zu erkennen, dass unter anderem die Astronomie, Neurochirurgie, Pharmakologie und philosophische Fragen in diesen uralten Glaubenssystemen ihren Ursprung haben. Uns muss klar werden, dass die Geschichten, die wir in der Schule oder von Hollywood gehört haben und die uns zusammengefasst unter „Voodoo und afrikanische Religionen“ präsentiert, unzutreffend sind, weil sie darauf abzielen, Schwarze Menschen als primitiv, und leichtgläubig einerseits und rache- und triebgesteuert andererseits darzustellen und sie so zu dämonisieren. Sie werden zur Projektionsfläche (mal wieder) und es wird von den Grausamkeiten abgelenkt, die ihnen durch die weiße Vorherrschaft zugefügt wurde. Die eurozentrische Sichtweise trägt diesem unermesslich großen Weltkulturerbe noch nicht einmal ansatzweise Rechnung. In der letzten Zeit beginnt man mit einem anderen Blickwinkel zu forschen und fördert Erstaunliches zutage, allerdings auch das wieder mit einem kolonialen Entdecker*innenanspruch, der sich über den Besitz der indigenen Bevölkerung hinwegsetzt, deren Expertise missachtet und sich weiterhin großzügig am spirituell- kulturellen Buffet bedient. Der Schwarze und Indigene Beitrag zur Welt- und Glaubensgeschichte wird zwar mehr wahrgenommen und geschätzt, aber immer noch nicht so respektiert, dass die kulturelle Aneignung unterbleiben würde. Ein Beispiel ist das in den Esoterik Kreisen so beliebte smudging. Smudging bezeichnet das Räuchern der Umgebung, Personen oder Gegenstände mit einem smudge-Stick, der in der Regel aus getrockneten und gebündelten Blättern des weißen Salbei besteht. Es ist fester Bestandteil der Spiritualität vieler First Nation Glaubensgemeinden und aus einer jahrhunderte alten Expertise im Umgang mit der Natur in all ihren sichtbaren und unsichtbaren Formen entstanden. Mittlerweile ist diese Praktik- herausgelöst aus dem Zusammenhang- so verbreitet und “beliebt”, dass der weiße Salbei zu einer bedrohten Art geworden ist und den Menschen, die seit Jahrhunderten eine Beziehung zu ihm pflegten als Pflanzenverbündete*r fehlt. Und das, kann bei allem Wunsch nach Klärung der Atmosphäre echt nicht sein.
Unsere unreflektierte Sinnsuche macht uns anfällig für Angebote wie „initiierte Priesterin in drei Wochenendseminaren in authentischer Umgebung“ oder für ähnliche Angebote dieser Art. Wir habe daher leider gelernt, Glaubenssysteme in den wir nicht aufgewachsen sind als etwa zu sehen, was wir konsumieren können, kaufen können, aus dem Kontext lösen und auf unseren Alltag zuschneiden können. Und das ist, bei allem Verständnis für die spirituelle Sehnsucht nicht in Ordnung, weil es nicht respektiert, woher diese Systeme kommen und wer sie -oft unter widrigsten Umständen und ohne Ressourcen-am Leben erhalten hat und auch heute noch erhält. Es ist das spirituelle Eigentum Schwarzer Menschen und es wird Zeit, dies zu sehen und zu achten, indem wir uns nicht daran vergreifen.
Ankommen
Es gibt keinen Grund zu verzweifeln und sich allein zu wähnen, denn unseren wichtigsten Altar haben wir sozusagen immer bei uns- das sind wir selbst.
Wir sind, egal wie weit weg von Zuhause, kein Zufallsprodukt, keine Laune des Schicksals und schon dreimal(gar nicht) nicht allein. Unsere Ahn*innen Innen sind auf Schritt und Tritt, in dem Atemzug, den wir tun, bei uns und zwar nicht nur im nicht sichtbaren Raum, sondern sehr konkret in den Zellen unserer Körper.
Wie dir das gelingt, erfährst du im zweiten Teil unserer “Black Girl Magic”-Reise.
Monika
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