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yeama

Black Motherhood: Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen

Fotocredit: Josiane Hor

Unsere Redakteurin Yeama ist vor ein paar Monaten zum ersten Mal Mutter geworden. Neu angekommen im Kosmos der Mutterschaft reflektiert sie darüber, was es bedeutet, als Schwarze Frau schwanger zu sein, ein Kind auf die Welt zu bringen und warum der Community-Gedanke dabei eine wesentliche Rolle spielt.

Meine Augen waren geschlossen. Ich atmete tief ein und aus. Nadel für Nadel setzte mir die Hebamme in beide ausgestreckte Beine. Mit der Akupunktur bereitete ich mich auf meine bevorstehende Geburt vor. Ich hatte nur noch wenige Wochen vor mir und nutzte jede Gelegenheit zur Entspannung.

Wie ich mit der behandelnden Hebamme von einer Unterhaltung über Gott und die Welt zu den Themen Fasching und kulturelle Aneignung kam, weiß ich in der Retrospektive auch nicht mehr. Ich wusste jedoch, dass ich mir als Schwangere in meiner bisherigen unkomplizierten und schönen Schwangerschaft einen positiven Erfahrungsraum wünschte, in dem ich einfach sein konnte. Ausatmen konnte, ohne erklären zu müssen, warum Blackfacing nicht okay ist oder manche Kostüme problematisch sind. Ich wollte Platz haben, nur für mich und mein Kind im Bauch und meine Energie für die bevorstehende Geburt aufsparen. Gedanken, die mir als Schwarze schwangere Frau immer wieder begegneten und mich nachdenken ließen über Schwarze Mutterschaft. Was bedeutet diese spezifische Erfahrung mit ihren unterschiedlichen Intersektionen – Frau sein und Schwarz sein.

Gibt man den Begriff in Google ein, spuckt die Suchmaschine vieles aus, was mit Rassismus verknüpft ist. Fest verankerte Narrative der Angry Black Woman oder grauenhafte Mythen über den Schwarzen Körper, der weniger Schmerz empfinden soll, machen keinen Halt vor dem Kreißsaal. Das kann in der intimsten Situation überhaupt – der Geburt – fatale Folgen haben. In den USA zum Beispeil ist die Anzahl der Todesfälle bei der Geburt bei Schwarzen Frauen fast dreimal so hoch wie bei weißen Frauen. Fakten die Angst machen – ich möchte den Blick jedoch auf so viel Positives lenken, was existiert und noch nicht genug Beachtung findet. Denke ich an Schwarze Mutterschaft, schwirren sofort Bilder der Queen of Neo-Soul, Erykah Badu, vor meinem inneren Auge. Erykah Badu ist nicht nur eine fantastische und vielseitige Künstlerin, sondern hat sich auch zur Doula und Hebamme ausbilden lassen – nicht umsonst wird sie auch Erykah Badoula genannt. Unter anderem hat sie die Geburten von den Künstlerinnen Teyana Taylor und Summer Walker betreut. Beide wählten ihr zu Hause als Geburtsort aus und schufen sich damit einen spirituellen Safe Space, in dem sie sich zum Gebären fallen lassen konnten. Ich war neugierig, was sich hinter der Tätigkeit der Doula verbirgt.

Von Doulas und Hebammen: Körper, Geist und Seele im Einklang

„Die Doula ist eine Rolle, die es schon seit eh und je gibt. Frauen und gebärende Personen haben eigentlich schon immer im Kreis von anderen Frauen und gebärenden Personen ihre Kinder bekommen“, erzählt mir Neram Nimindé mit einem strahlenden Lächeln durch den Bildschirm. Neram sitzt in Bogota, während wir unser Interview über Zoom führen. Dort arbeitet die 38-jährige Mutter von vier Kindern als Doula und ist Hebamme in Ausbildung. Vor mir sitzt eine afrodeutsche Frau mit Wurzeln in Deutschland und dem Tschad, die ich als in sich ruhende Kosmopolitin erlebe. Burkina Faso, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Panama zählte sie schon zu ihren Wohnorten und lebt nun seit vier Jahren mit ihrer Familie in Kolumbien. Über Umwege kam sie in die Geburtshilfe. „Eigentlich wollte ich schon seit dem Abi Hebamme werden. Das war eine von vielen Ideen, ich habe dann aber zunächst PR für eine große Denim-Marke gemacht.“ Das Thema ließ sie seit der Geburt ihres ersten Kindes jedoch nicht mehr los. Ein Workshop mit einer traditionellen mexikanischen Hebamme und mehrere Treffen mit verschiedenen Birth Workers nach ihrer zweiten Schwangerschaft waren Schlüsselmomente für die Doula. Sie inspirierten Neram endlich den Weg zu gehen, den sie schon in sich fühlte, seitdem sie 18 war. Es ging nach Panama. Da Hebammen nur in ländlichen Gebieten und nicht in Panama-City arbeiten durften, fing sie dort als Doula an. Erst in Kolumbien konnte sie sich nach der Geburt ihres dritten Kindes der Hebammerei widmen und lernte zunächst eineinhalb Jahre von den Muisca – einer indigenen Community in Bogota. Derzeit befindet sich Neram in ihrer Ausbildung zur Hebamme bei der mexikanischen traditionellen Hebamme Mirna Amaya.

Neram

Neram arbeitet als Doula und ist Hebamme in Ausbildung

Aber was macht eine Doula eigentlich genau? Neram erklärt mir, dass Doulas eine mentale und emotionale Stütze für die Frauen und gebärende Personen sind. Sie können Informationen weitergeben, emotional und spirituell begleitenauch durch Berührung – beispielsweise über Massagen. Im Unterschied zur Hebamme tragen sie aber keine medizinische Verantwortung. Neram versteht sich als holistische Fullspektrum-Doula: „Ich arbeite ganzheitlich und gucke mir das Emotionelle, Spirituelle, Mentale und den Körper an. Je nachdem, was die Frau und Familie brauchen, gehe ich unterschiedlich vor. Wir sprechen vorher ganz viel und schauen zum Beispiel, ob es Dinge in der Vergangenheit gibt, die noch sehr präsent sind und die verdrängt wurden. All das kann während der Schwangerschaft und vor allem während der Geburt hochkommen. Ich habe zum Beispiel eine Frau begleitet, die mag sehr gerne Kontrolle über alles haben. Wir Schauen uns dann an, woher das eigentlich kommt. Wenn man sehr an Kontrolle festhält, ist es schwierig. Schwangerschaft und Geburt ist der Moment, wo man nicht wirklich kontrollieren kann. Manchmal geht’s auch in die Ahnenarbeit zurück und es hat ganz viel mit der Mutterlinie und den eigenen Eltern zu tun. All das versuchen wir möglichst während der Schwangerschaft aufzuarbeiten“.

Ich brauche eine Doula für meinen Kopf

In ihrer Arbeit – vor Ort und virtuell – betreut Neram vor allem Schwarze Frauen aus Deutschland: „Zu mir kommen viele Frauen und sagen: Ich möchte dich als Doula, du bist eine Schwarze Deutsche und weißt, wie das ist. Ich weiß ganz genau, ich bin die einzige Schwarze, die bei der Geburt da sein wird. Ich möchte meinen Raum haben –virtuell oder vor Ort, in dem ich einfach ich sein und ohne Filter sprechen kann. Ich weiß ganz genau, dass du mich verstehst“, erzählt Neram. Eine dieser Frauen ist die 35-jährige Linda Debrah. Linda ist Content Creatorin und arbeitet als Social Media Managerin für verschiedene Firmen. Die gebürtige Kenianerin ist Mutter von vier Kindern und wird von Neram seit der dritten Schwangerschaft betreut.

Mit 22 wurde Linda das erste Mal Mutter. Alleinerziehend und ohne Menschen mit denselben Erfahrungen in ihrem Umfeld beschreibt Linda die erste Zeit als Mutter als harte Zeit. Als sie ihren Mann kennenlernte und die drei gemeinsamen Kinder zur Welt kamen, lernte sie mit jeder Schwangerschaft viel Neues dazu. Für eine Doula entschied sie sich jedoch erst in ihrer dritten Schwangerschaft: „Ich bin durch eine Freundin auf das Thema Doula gekommen. Wir waren immer zeitgleich schwanger und ich hatte ihr erzählt, dass es mir psychisch nicht so gut geht. Sie meinte: Vielleicht solltest du dir eine Doula holen. Doulas kannte ich noch nicht. In den letzten Jahren habe ich in Berlin nie eine Hebamme gefunden. Ich dachte dann, ich brauche eine Doula. Ich möchte jemanden, der für meinen Kopf da ist, der für mich da ist. Denn ein Baby zu kriegen, das kenne ich ja schon“, sagt Linda. Linda hatte in ihren ersten Schwangerschaften mit Depressionen zu kämpfen, deshalb begleitetete Neram sie die gesamte Schwangerschaft durch. Ein wesentlicher Teil der Zusammenarbeit betraf das Wochenbett. Neram betont dabei, wie wichtig diese essenzielle Phase nach der Geburt ist. Plötzlich ist der Bauch weg und das Baby ist da. Ein Hormonumschwung der krassesten Sorte erwischt einen und das Leben dreht sich um 180 Grad. Wunderschön und herausfordernd zugleich: Soempfand ich diese besondere Zeit.

linda

Linda ist Content Creatorin und Social Media Managerin aus Berlin

„Nur, weil das Baby da ist, heißt es nicht, dass die Frau komplett fit und gesund ist. Eine tolle marokkanische Doula hat mal gesagt, dass es in ihrer Kultur folgendermaßen ist: In den ersten 40 Tagen nach der Geburt liegt das Grab der Mutter offen, deshalb darf man sie nicht alleine lassen, man muss sie unterstützen. Denn mental und auch körperlich ist sie vulnerabel. Ich habe eine Doula-Freundin aus Kenia – in ihrer Community ist es genauso. Hier in den verschiedenen Communities in Kolumbien ist es genauso, in Mexiko auch“, so Neram. „Eigentlich hat man es in Deutschland auch verstanden. Wir haben ja noch das Wochenbett, wo gesagt wird, dass man ungefähr 6 Wochen ruhen sollte. Das hat sich leider verändert – mittlerweile heißt es: So schnell wie möglich wieder raus – auch auf Social Media: Ich bin draußen mit dem Kinderwagen und dann wird das gepostet. Ich lese und höre aber auch ganz viel Trauer bei den Frauen und bei den Müttern. Dass sie auch gerne mal ruhen würden, aber da ist niemand, der das wirklich unterstützt. Das hat auch mit der geringen Wertschätzung der Frau und Mutter in der deutschen Gesellschaft zu tun“, sagt Neram.

Für Lindas Wochenbett war bestens gesorgt. Da ihre Eltern aus Kenia nicht da sein konnten, baute sie sich selbst eine Community aus Freund*innen auf. Jeden Tag war in der Anfangszeit jemand da, um zu kochen, putzen, die Geschwisterkinder zu betreuen. Neram ermutigte sie dazu: „Du darfst dich ausruhen und du hast jedes Recht dazu, das zu tun und alles andere ist egal. Denn du warst 40 oder 42 Wochen, manchmal länger, manchmal kürzer, schwanger und hast geboren. 40 Tage sind nichts. Danach wirst du noch alles machen, du wirst noch so viel den Haushalt machen, die Kinder abholen, putzen und hier und da.“

Jede Schwangerschaft und Geburt ist individuell

Das Bild von Schwangerschaft wird oftmals sehr eindimensional gezeichnet – ein Blick in die Social Media Feeds reicht da schon. Zwischen happy chappy Blubberblasen und das Schlimmste der Welt, sind die Zwischentöne und ein sowohl als auch kaum sichtbar. Andere Schwarze Frauen bestätigen mir diese Beobachtung. Lindas Schwangerschaften waren alle vier alles andere als leicht und schön. Gleichzeitig betont sie: „Jeder hat eine eigene Erfahrung. Nur weil es für mich so schwer ist, heißt es nicht, dass es für andere so ist. Jeder sollte die Erfahrung für sich selbst machen“. Sie hat oft das Gefühl, dass Mütter sich schnell gegenseitig unter Druck setzen, auch in Hinblick auf die Care-Arbeit, die in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert hat als Lohnarbeit und wenig Sichtbarkeit und Wertschätzung erfährt. „Du bist nur Mutter habe ich früher gedacht und du musst arbeiten gehen. Jetzt denke ich: Nee, das, was ich tue, ist sehr viel Arbeit und sollte gleichwertig gesehen werden. Care-Arbeit hört ja nie auf, du hast nie Schluss – du hast psychischen und körperlichen Stress, musst viel über Organisatorisches nachdenken und ich wünsche mir, dass es viel mehr gesehen wird von der Gesellschaft und geschätzt wird.“
Auch Maimouna Jah findet, dass sehr viele toxische Bilder rund um Schwangerschaft und Mutterschaft existieren. Die Mutter eines 6-jährigen Sohnes und Afrikanistin erzählt: „Ich fand meine beiden Schwangerschaften nicht so toll. Mir hätte es geholfen, wenn ich mit anderen offen darüber reden hätte können, ohne komisch angeschaut zu werden.“ Der heutige Muttertag ist für die Afrikanistin Maimouna ein trauriger Tag, da er sie stets daran erinnert, dass sie Mutter von zwei Kindern ist. „Ich nutze diesen Tag immer, um darauf aufmerksam zu machen, dass ich alle Mütter feiere, die keine lebenden Kinder haben. Ich feiere alle Mütter, die keine eigenen Kinder auf die Welt bringen können, aber trotzdem Mütter sind. Ich finde, der Muttertag ist insbesondere für all diejenigen, die Mutterschaft nicht im klassischen Sinne leben können.“

Maimouna

Maimouna ist Afrikanistin aus Frankfurt

In all meinen Gesprächen tauchte ein Thema besonders häufig auf. Es fehlt an Community unter Schwarzen Müttern. Dies fiel auch der Buchautorin und Content Creatorin Sunshinegoldenchild auf. Die 33-jährige zweifache Mutter mit Wurzeln in Trinidad und Tobago hatte keine Lust mehr vergeblich nach einer Community von Schwarzen Müttern zu suchen und gründete einfach ihre eigene – mit dem gemeinnützigen Verein Sistercircle e.V. „Unsere Mission ist es, junge Frauen mit internationaler Geschichte in ihrer Entwicklung zu fördern, damit sie sich stark und gesehen fühlen in unserer doch sehr weiß dominierten Gesellschaft. Der Mommy Circle ist Teil des Sister Circles“, erzählt sie und ergänzt „Der Mommycircle ist die Gemeinschaft, nach der ich lange gesucht habe. In Frankfurt unternehmen wir gemeinsam Sachen mit den Kids und tauschen uns aus. Ich finde es wichtig den Fokus auch auf Mütter zu setzen, da diese oft die ersten Lehrer:innen für die nächste Generation sind. Ihre mentale und körperliche Gesundheit bedarf besonderer Förderung. Sunshinegoldenchild hat damit für sich und für andere Schwarze Mütter einen heilsamen Safe Space geschaffen. Ein wichtiger Baustein, um für sich selbst zu sorgen während dieser besonderen Phase des Lebens – der Schwangerschaft – betont auch Neram: „Ich begleite gerade eine afrodeutsche Mutter aus Berlin und sie hat so gestrahlt und sagte zu mir: Ich habe eine Schwarze Therapeutin, ich habe dich als Doula. ‘Ich fühle mich richtig gut aufgehoben in dieser Schwangerschaft und freue mich auf diese Geburt’.“

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Sunshinegoldenchild ist Buchautorin und Content Creatorin

Dieses Gefühl teilte ich und genoss die meiste Zeit meiner Schwangerschaft und erlebte eine schöne Geburt. Heißes Wasser floss über meinen riesengroßen Bauch und ich atmete Wehe für Wehe ein und aus. Zu Klängen von Solange, Mereba, Kehlani und Summer Walker genoss ich noch ein Entspannungsbad, bevor ich meine Tochter drei Stunden später auf meiner Brust liegen hatte.

Als Schwarze Mütter sind wir mit vielen feststehenden Narrativen im Gesundheitssystem konfrontiert, die dringend aufgelöst werden müssen. Unsere Erfahrungen sind divers und komplex und es braucht Räume, in denen diese Vielschichtigkeit gesehen wird. Wir brauchen BiPoC-Doulas und Hebammen. Wir brauchen einen rassismuskritischen Blick auf die Geburtshilfe, damit sich alle Frauen und gebärende Personen sicher fühlen können und gleichzeitig sollten wir den Fokus auf uns richten. Auf die richtigen Tools, die es uns ermöglichen, unsere Schwangerschaften und Geburten in einem selbstbestimmten und positiven Setting zu gestalten.

Yeama Bangali

Yeama

Yeama Bangali, 27 lebt in Stuttgart und hat dort auch germanistische Literaturwissenschaft studiert. Dort sind ihr auch zum ersten Mal die Gedichte May Ayims begegnet, über die sie auch ihre Masterarbeit geschrieben hat. Neben ihres Studiums hat sie beim SWR als Radio- und Multimedia-Reporterin gearbeitet und war der festen Überzeugung im Journalismus zu landen. Sie flitzte dann für eine Weile nach Glasgow, um da mal die Luft dieser vielfältigen Kulturlandschaft zu schnuppern. Es hat sie aber dann doch in die Wissenschaftskommunikation eines Forschungsinstituts verschlagen. Still sitzen ist nicht so ihr Ding, deshalb schreibt sie in ihrer Freizeit Songs und andere Texte, singt und arbeitet eifrig an ihrem Projekt als Solokünstlerin. Tiefe Gespräche, Empowerment und ein Mitwirken in gesellschaftlichen Debatten ist ihr wichtig. Deshalb engagiert sie sich auch in der Stuttgarter Regionalgruppe der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. 2014 hat sie mit ihrer Mutter den gemeinnützigen Verein Vision:Life e.V. gegründet, der sich für Kinder und Jugendliche in Sierra Leone einsetzt. Bei RosaMag liegen ihre Schwerpunkte auf afrodeutscher Literatur und Kultur sowie intersektionalem Feminismus.

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