Bookazine: Zwischen grenzenloser Kreativität und Ästhetik des Widerstands
Lasst uns in der letzten Woche des Black Herstory Month poetisch werden, die Augen schließen, unsere Gedanken genießen, die manchmal um Vieles kreisen und dann wird alles still. Take a Deep Breath and Inhale Some Healing Art! Für unsere Autorin Yeama spielt die Lyrikerin, politische Aktivistin, Wissenschaftlerin und Pädagogin May Ayim eine große Rolle in ihrem Leben. Im Bookazine „grenzenlos“ werden ganz unterschiedliche Formen des Schwarzen künstlerischen Ausdrucks miteinander vernetzt, die auch May Ayims Kunst mit einschließen.
Ich werde / noch einen Schritt weitergehen / bis an den äussersten rand / wo meine schwestern sind / wo meine brüder stehen / wo / unsere / F R E I H E I T / beginnt. Deine Worte, May Ayim, hallen in ihrer Klarheit und Schönheit noch immer durch den engen Raum dieser Welt. Mit deiner poetischen, sanften Stimme legst du uns deine starke Botschaft in den Schoß und hauchst ganz langsam auf die rechte Wand, die linke Wand, auf den Boden und die Decke. Und zack, befreist du uns von der Enge und boom, sprengst du den Raum. Damit wir grenzenlos und unverschämt in Gemeinschaft und gestärkt weitergehen können, wohin wir auch wollen mit unseren Brüdern und Schwestern. Du gibst uns allen immer noch eine Stimme.
Ich zeichnete diese Worte in meinen Gedanken in Braun, Schwarz, Rosa und Rot, als ich das Bookazine „grenzenlos“ aufschlug und mir May Ayims Worte entgegen flatterten. Ihr Gedicht „Grenzenlos und unverschämt. Ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit“, das sie 1990 veröffentlichte, bildet den Startpunkt des Bookazines. Was genau ist denn ein Bookazine, fragt ihr euch jetzt sicher. Die Publikation „grenzenlos“ ist eine Mischung aus Buch und Magazin – deshalb auch der Name Bookazine – die mit essayistischen und wissenschaftlichen Texten, Gedichten und Fotografien die Themen (Neo-)Kolonialismus, Rassismus und die unterschiedlichen Lebenserfahrungen von BIPOC aufnimmt und dabei neue inhaltliche Akzente setzt. Die Afrikawissenschaftler:in Josephine Apraku, die gemeinsam mit Jule Bönkost das IDB | Institut für diskriminierungskritische Bildung in Berlin leitet, hat mit Christopher Nixon und Rita Müller das Bookazine herausgebracht. Es soll die Ausstellung „Grenzenlos. Kolonialismus, Industrie und Widerstand“ begleiten, die seit dem 30. September 2020 bis zum 11. April 2021 im Museum der Arbeit in Hamburg gezeigt wird. Der Begriff Begleitpublikation greift aber zu kurz, denn das Bookazine ist mehr. Es macht nicht nur koloniale Kontinuitäten sichtbar, sondern auch eine Kontinuität Schwarzer Kunst- und Kulturpraxis im Zeichen des Widerstands über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg.
Ein Netz aus künstlerischen, politischen und resilienten Kontinuitäten
Wir alle treten in Fußstapfen von vergangenen Generationen, die vor uns da waren und unser Jetzt maßgeblich geprägt haben. In der Rückschau können wir die einzelnen Punkte des Geschehenen verbinden. Es entsteht ein Netz aus vielen Querverbindungen, das uns unsere Gegenwart besser verstehen lässt. Wir können aus der Vergangenheit lernen und aktiv unsere Zukunft gestalten. Dieses Netz aus künstlerischen, politischen und resilienten Kontinuitäten spannt das Bookazine mit den unterschiedlichen Kapiteln auf. Jedes Kapitel wird mit dem kreativen Schaffen von Schwarzen Musiker:innen, Lyriker:innen, Denker:innen und Schriftsteller:innen übertitelt. “Things Fall Apart – Chinua Achebe” steht in Großbuchstaben auf einer hellbraunen Seite bevor ein Interview mit Josephine Apraku und Christopher Nixon über den Entstehungsprozess des Bookazines beginnt. Das Bookazine ist eindeutig ein Leseerlebnis vor und hinter der Bühne. Wir springen zwischen Medien, Textsorten und Perspektiven, die das große Ganze komplex und vielschichtig aussehen lassen. Denn die Auseinandersetzung mit (Neo-) Kolonialismus, Migration und intersektionalen Identitäten braucht die unterschiedlichen Blickwinkel und Lebensrealitäten. Die Fotografien berühren, fangen Ausschnitte aus dem Alltag ein und zeigen zudem Motive mit einer strahlenden Ästhetik. Da sind Gedichte wie “Trans/Generation” von Alok V. Menon oder “ Lange Schatten unterm Honigbaum” von Lahya Aukongo, die unter die Haut gehen.
Ich male dir ein dunkles Gedicht für dein weißes Gesicht – mein Zugang zu May Ayim
Und auch “Farbe Bekennen”, 1984 herausgegeben von Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz, wird als Kapitelseite sichtbar gemacht. Das Buch, dass nicht nur die Initialzündung für die Schwarze deutsche Frauenbewegung in Deutschland bedeutete, sondern afrodeutsche Frauen in den 1980ern zum ersten Mal aus ihrer vermeintlichen Geschichtslosigkeit treten lies. Audre Lorde trug dazu maßgeblich bei. Mir blieb sehr lange das Wissen um die Schwarze deutsche Geschichte verborgen, lange war May Ayim nicht in meinem Leben. Die Künstlerin, die mit ihren Worten malt und sie auf der Leinwand tanzen lässt. Die einzelnen Buchstaben dreht und wendet, auseinanderzieht und wieder zusammensetzt, um neue Bedeutungen mit ihrer Schwarzen weiblichen Perspektive zu finden und für uns sichtbar zu machen. Sie malt uns “ein dunkles Gedicht für dein weißes Gesicht” und sagt, “fürchte dich nicht bleichgesicht, ich bins”. Sie kann melancholische Töne anschlagen und voller Sehnsucht über die Liebe schreiben und uns voller Ironie ins Gesicht lachen. Sie spult das Tonband unserer Erfahrungen ab und führt die weiße Mehrheitsgesellschaft vor, schreibt die Performance stets in ihre Texte ein. May, das ist für dich. Danke, dass wir uns immer noch mit deinen Texten zudecken, um dieser Enge zu entfliehen. Damit wir mit unseren Brüdern und Schwestern in Freiheit gehen.
Bookazine „grenzenlos“ – Ausstellung im Museum der Arbeit Hamburg (kocmoc-berlin.de)
Yeama
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