Die Awkward Black Girls dieser Welt
Michael Pfister/ ZEIT ONLINE
In ihrer neuen Kolumne schreibt unsere Autorin Meret Weber übers Aufwachsen in Black Isolation und über das RookieMAG, den digitalen Zufluchtsort, den sie als Teenager fand. Mit dem Online-Magazin konnte Meret ihr Schwarzsein in seiner Vielfalt kennen und akzeptieren lernen.
Ende 2014. Ich lese in den Nachrichten vom Prozess zum Mord an Michael Brown und vom Mord an Tamir Rice. Ich bin 13, Tamir Rice war 12, als er erschossen wurde. Wie immer hört die Welt aber nicht auf, sich zu drehen, nur weil ein Schwarzes Kind gestorben ist. Würden wir für jeden rassistischen Mord innehalten, würden wir nie wieder anfangen. Ferguson brennt, in Deutschland spürt man davon nichts. Bis auf meine Englischlehrerin scheinen die wenigsten besonders erschüttert, von Mobilisierung wie 2020 sind wir noch lange entfernt. Schwarze Menschen, Schwarze Themen interessieren hierzulande bis heute ja eh fast niemanden, damals noch weniger.
Ich habe das Gefühl, in meiner Trauer, in meinem Frust komplett alleine zu sein. Ein Teil von mir würde am liebsten gar nichts mehr mitkriegen, nichts von der Welt und all der Gewalt und der dauerhaften Grausamkeit zu wissen. Ein anderer Teil – der, der irgendwo noch Hoffnung hat – würde am liebsten auf die Straße und stundenlang nur schreien. Würde am liebsten einen Ort haben, Menschen haben, die das alles auffangen können, die es verstehen. Die den Schmerz kennen, die komische Erfahrung damit zwar weltweit verbunden zu sein, und dennoch ganz allein. Fürs Erste will ich mich aber einfach ablenken. Ich stöbere durchs Internet und lande wie so oft beim RookieMag.
Rookie war ein Online-Magazin. Die Website wird seit Jahren nicht mehr aktualisiert, den Instagram-Account gibt es aber noch. Rookie war die erste Seite, die ich regelmäßig besuchte. Entwickelt wurde sie von Tavi Gevinson, einem It-Girl der amerikanischen Mode- und Social Media-Welt, die heute als Schauspielerin beispielsweise in der Neuverfilmung von Gossip Girl mitspielt. Rookie stand für mich aber nie in Bezug zu ihr. Es waren die vielen verschiedenen Autor*innen und die anderen Leser*innen, die Rookie für mich zu dem machten, was es war. Meine Rookie-Autor*innen waren Black und Brown, waren queer, waren nur wenige Jahre älter als ich. Sie schrieben über alles, was mich bewegte: über Politik und über die endlose Gewalt, die Schwarzen Alltag noch so lange bestimmen wird. Über den Zwiespalt, Schwarze Jungs und Männer als Zielscheiben von Polizeigewalt anzuerkennen und dennoch auch über Schwarze Frauen zu sprechen, über Morde an trans Frauen, über Misogynoir. Über jung sein und politisiert werden und über den Frust, so wenig in der Welt tun zu können.
Durch Rookie habe ich mein Schwarzsein nicht als entweder/oder, sondern als „ja, und“ zu verstehen gelernt.
Es war aber noch so viel mehr als ein politischer Austauschraum. Durch Rookie habe ich die „awkward black and brown girls“ dieser Welt ins Herzen geschlossen. Durch Rookie habe ich mein Schwarzsein nicht als entweder/oder, sondern als „ja, und“ zu verstehen gelernt. Statt das internet-übliche „too black for the white kids, too white for the black kids“ Spiel mitzumachen, und in einer massiven Missinterpretation von US Black Culture Indie-Musik gegen HipHop, oder Strebertum gegen Coolness auszuspielen, ist Rookie einen Schritt weitergegangen, hat Gleichzeitigkeiten zugelassen. Und hatte somit für so viele der Dinge, für die mir im Alltag mein Schwarzsein abgesprochen wurde, eine alternative Perspektive parat.
Die Zeichnungen, Texte, Playlists, und Fotostrecken, die im RookieMag veröffentlicht wurden, eröffneten mir eine wichtige Welt, abseits vom erdrückenden everyday in Deutschland. Black Girlhood, Zärtlichkeit und Gewalterfahrungen, Schwarzsein und Teenage-Scham, warme Worte und warme Farben – das waren die original Arthoes, das waren die awkward black girls von Rookie. Blumen sammeln und NoName hören, und am nächsten Tag weiter demonstrieren, weiter kämpfen. Fotos in rosa Ästhetik meets Spurensuche nach Kolonialismus und Familiengeschichte.
Die Autor*innen durchbrachen für mich die Idee, dass es nur eine singuläre Schwarzen Erfahrung geben kann. Als Jugendliche in Deutschland, wo aufwachsen vor allem von Black Isolation geprägt war – also davon, fast immer die einzige Schwarze Person im Raum zu sein – befreite mich das. Denn sowohl mein Verständnis, und das von den Kids um mich herum, auf Schulhöfen und House Parties, war von der Idee eines einheitlichen „Schwarzseins“ geprägt. Das hat natürlich mit der US-Dominanzkultur zu tun, weil die meisten Zugänge, Filme und Schwarzen Kulturproduktionen aus dem Black US Kontext kommen, und Menschen oft einfach nichts anderes kennen. Das Gleichsetzten von Black US pop culture mit Schwarzsein per se reichte dann von Stereotypen wie Basketball spielen und Chicken essen zu einer erwarteten HipHop Kenntnis und – in meinem Fall zur Ära von „Anaconda“ – twerking abilities. Wie es Stereotype so an sich haben, konnte ich das meiste nicht erfüllen.
Die Autor*innen durchbrachen für mich die Idee, dass es nur eine singuläre Schwarzen Erfahrung geben kann.
Ich hatte mir fälschlicherweise eingebildet, dass es zwischen Schwarzsein und den Sachen, die mich interessierten, keine Verbindung geben könnte. Rookie hat mir gezeigt, dass es die sehr wohl geben kann. Und dass es nicht nur reichlich nicht-weiße Künstler*innen, Fotograf*innen und Autor*innen gibt, die sich mit den gleichen Dingen befassen wie ich, sondern dass ich all das konsumieren kann, plus meinen komischen deutschen Indie Rock, und mein Strebertum ausleben, ohne jemals andere Schwarze Realitäten abwerten zu müssen. Denn das ist ja häufig der Schluss, den „awkward black girls“ ziehen – ihre Interessen mit weißsein gleichzusetzen und ganz in der „I’m not like other girls“ Logik sich selbst zu bestätigen, indem sie alle anderen um sie herum abwerten.
All diese Prozesse in den Kunstwerken, Texten und Kommentarspalten auf RookieMag zu erleben und auszuhandeln, war für mich ein wichtiger Weg aus der Isolation. Und ein erster Geschmack darauf, was Community, als Ort der Gleichzeitigkeiten, als Platz für Widersprüche, vielleicht alles sein kann.
Meret
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