Dort wo unsere Freiheit beginnt
Bild: Marlin Helene
Black Saturday
Vergangenen Samstag gingen deutschlandweit fast 200.000 Menschen auf die Straße, um sich den weltweiten Black Lives Matter Protesten anzuschließen. Der erste Bericht der Tagesschau an diesem Abend zeigte Bilder der Proteste, jede mittelgröße Zeitung bringt ein Themenspecial zu “Schwarzsein in Deutschland” und wieder werden nicht die relevanten Fragen gestellt.
Rassistische Gewalt ist für Schwarze Menschen nichts Neues
Rassistische Gewalt ist für Schwarze Menschen allerdings nichts Neues. Wir erleben sie an jedem Tag in unserem Leben. Rassismus ist tief verankert in die Geschichte kolonialer europäischer Expansion: Enteignung, Versklavung, Vergewaltigung. Diese Kontinuitäten halten an und betreffen auch heute alle Bereiche unseres Lebens. Das sehen wir im Bildungssystem, bei der medizinischen Versorgung, der Vergabe von Arbeitsplätzen und bei der Segregation von Stadtteilen.
“Gibt es wirklich Rassismus in Deutschland?”
Seit Jahrhunderten wehren wir uns gegen diese Unterdrückung und trotzdem werden unsere Geschwister auf der Straße, bei Behörden und von der Polizei angegriffen. Die Gewalt seitens Staat und Justiz führt zur systematischen Ermordung Schwarzer Menschen – denn ihre Leben zählen nicht. Schwarze feministische und antikapitalistische Aktivist*innen weisen seit Jahren auf strukturellen und institutionalisierten Rassismus hin, bekämpfen ihn aktiv und organisieren sich, um das System in dem wir leben umzustürzen. Und dennoch fragt ein überproportionaler Anteil der deutschen Medien: “Gibt es wirklich Rassismus in Deutschland?” Eine Frage, die ich hier nicht beantworten muss. Deren Beantwortung bereits Konsens sein sollte.
Bild: Marlin Helene
Unsere Kämpfe müssen kontinuierlich sein
Aber ich frage mich: Werden die Proteste und Kämpfe der Mehrheitsgesellschaft kontinuierlich sein? Sie müssen es, wenn sich etwas ändern soll und das heißt: Auf die Straße gehen: Morgen, Übermorgen, in zwei Monaten und nächstes Jahr! Wenn das, aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich ist, ihr aber andere Ressourcen habt, dann heißt das besonders für weiße Menschen: Spenden an Schwarze und antirassistische Organisationen, lesen, Podcasts hören, Diskussionen führen mit den Menschen in eurem Umfeld, damit unsere Energie nicht dafür drauf gehen muss. Für Schwarzen Menschen: nehmt euch die Zeit um zu heilen und gebt euch gegenseitig Rückhalt und comfort.
Größte Bürgerrechtsbewegung der Geschichte
Auf der Demonstration, an der ich teilgenommen habe in Göttingen, waren junge Menschen, alte Menschen, Schwarze Menschen, of Color Menschen, weiße Menschen, bürgerliche Parteien und die radikale Linke dabei. Es ist selten, dass Personen aus fast allen Bereichen der Gesellschaft zusammenkommen, um für eine Sache zu kämpfen. Es waren lange nicht so viele Menschen auf der Straße – es wird gemunkelt: Black Lives Matter ist die größte Bürgerrechtsbewegung der Geschichte.
White Silence is Violence
Diese Tatsache allein bedeutet leider nicht, dass auch alle Menschen, die auf den Demos “White Silence is Violence”- Plakate hochgehalten haben, Rassismus verstanden haben. Bei unserer Demo in Göttingen, musste ich nach den ersten Redebeiträgen Menschen darauf hinweisen, dass sie ihre “All Lives Matter”-Schilder niederlegen müssen, sonst können sie nicht mit uns laufen. Ich habe weiße Menschen mit “I can’t breathe”-Mundschutz gesehen – Dear white person, du kannst immer atmen! Und ein “I will never understand – however I stand with you” muss auch gelten, wenn wir uns nicht mehr im Demo-Zug befinden. Es reicht nicht aus an einem Tag in diesem Jahr auf die Straße zu gehen und es reicht auch nicht aus sich Black Lives Matter Online als Trend anzuschließen.
Bild: Marlin Helene
Der Schmerz ist zu groß
Als letzte Woche das Video von George Floyds Ermordung viral ging, habe ich es mir nicht angeschaut. Ich konnte nicht – der Schmerz ist zu groß. Diese Bilder sind für Schwarze Menschen traumatisierend. Der Schmerz den ich dabei empfinde, ist körperlich und führt dazu, dass ich erstmal nicht weitermachen kann mit meinem Alltag. Ich muss auch kein Video der Ermordung einer Schwarzen Personen sehen, um zu wissen dass Schwarze Menschen ermordet werden- jeden verdammten Tag. Auch in Deutschland:
- N’deye Mareame Sarr; 14. Juli 2001 in Aschaffenburg, erschossen von einem Polizisten
- Oury Jalloh; 07. Januar 2005 in Dessau; lebendig verbrannt von zwei Polizisten
- Dominique Koumadio; 14. April 2006 in Dortmund; erschossen von einem Polizisten
- Christy Schwundeck; 19. Mai 2011 in Frankfurt; erschossen von einer Polizistin
- Yaya Jabbie; 14. Januar 2016 in Hamburg; erhängt in Polizeigewahrsam
- William Tonou Mbobda; 26. April 2019 in Hamburg, Totgeprügelt von zwei Sicherheitsangestellten
Ihre Leben zählen am wenigsten
Was wir brauchen ist ein tiefgreifendes Verständnis für Machtstrukturen in dieser Gesellschaft und dazu zählen auch: Sexismus, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Klassismus und Ableismus. Denn alle Schwarzen Leben müssen zählen. Schwarze trans-Frauen sind die am meisten von körperlicher Gewalt betroffene Personengruppe. Sexismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und Rassismus verschränken sich hier, um sie zu unterdrücken. Wenn sie ermordet werden, passiert dies meist ohne jegliche Form von Öffentlichkeit – denn ihre Leben zählen am wenigsten.
Direkter Backlash
Die Eskalationen und die Polizeigewalt nach der Demo in Berlin belasten mich sehr und fühlen sich direkt wie ein Backlash an. Die Tatsache, dass hauptsächlich Schwarze Jugendliche und Jugendliche of Color festgenommen wurden, zeigt noch einmal mehr, wie notwendig diese Bewegung ist. Trotz allem hinterlässt mich der Protest am Samstag mit Energie und Kraft. Viele junge Menschen sind am Ende der Demo auf mich zugekommen, fühlen sich gesehen, gehört, verstanden. Sie wollen sich organisieren, mitmachen und sich verbünden. Das gibt mir Hoffnung und erfüllt mein Herz mit Zuversicht.
Bild: Marlin Helene
Dort wo unsere Freiheit beginnt
Wir werden nicht aufhören zu kämpfen bis das Morden endet. Wir werden nicht schweigen. Weder heute noch an einem anderen Tag! Wir sind am Leben und das allein ist Widerstand – unsere Existenz am heutigen Tag ist Widerstand. Wir haben überlebt, jeden einzelnen Tag der hinter uns liegt. Und wir kämpfen weiter “bis an den äußersten Rand. Wo meine Schwestern sind. Wo meine Brüder stehen. Dort wo unsere Freiheit beginnt!” (- May Ayim). Wir kämpfen nicht nur für uns selbst und um unser eigenes Leben, sondern auch um das all unserer Geschwister – weltweit!
BLACK LIVES MATTER!
Jena
Jena bezeichnet sich als afrodeutsch/ Schwarze Deutsche und studiert derzeit Anthropologie und Gender Studies. Im Herbst wird sie ihre Abschlussarbeit über die Schwarze feministische Bewegung in Deutschland schreiben. Außerdem ist Jena aktiv in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, zu ihren Schwerpunktthemen zählen hier Rassismus und Sexismus/Gender. Privat spielt sie Theater und interessiert sich für die Schnittstelle von Politik und Kunst.
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