Dr. Michaela Dudley : “Wer aus dem Rahmen fällt, hat zwar mehr Platz, aber auch mehr Platzwunden.”
“Ich kam in dem Jahr auf die Welt, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde,” so die Berliner trans* Frau mit afroamerikanischen Wurzeln Dr. Michaela Dudley und ergänzt: „Und zeitlebens muss ich mit dem Kopf Mauern durchbrechen.“ Für all diejenigen unter euch, die im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst haben – Das war im Jahr 1961. Als kritisch-wortgewandte Journalistin und Kolumnistin, als Keynoterin und Kabarettistin setzt sich die studierte Juristin für die Würdigung der Vielfalt ein und zwar bevorzugt auf journalistischer Ebene sowie im Rahmen der Kleinkunst. Sie schreibt regelmäßig für die taz, den Tagesspiegel, das LGBTQ-Magazin Siegessäule sowie Missy und Rosa Mag. Heute sprichst sie mit uns über Identität, Selbstliebe, Politisierung, Sexualität und die Zukunft.
1) Identität
Für mich beinhaltet Identität die breite, bunte Palette eben jener Eigentümlichkeiten, die mich als Person ausmachen und mir somit meine Individualität bescheren. Herkunft, Geschlecht – beziehungsweise Gender- meine diversen sozialen Zugehörigkeiten, meine Charakterzüge, meine Weltanschauung und vieles mehr.
“Ich bin eine Frau ohne Menstruationshintergrund, aber in der Regel mit Herzblut. Als trans* Frau komme ich in puncto Sexualität gewissermaßen vom anderen Ufer. Das Weibliche war viel tiefer in mir verankert.”
Als Kind habe ich mich liebend gern als Mädchen geschminkt und angezogen. Das empfand ich als natürlich. Ich habe es meist verheimlicht, nicht aus Scham, sondern zum Eigenschutz.
“Wer aus dem Rahmen fällt, hat zwar mehr Platz, aber auch mehr Platzwunden.”
Das waren die 1960er Jahre in den USA. Ich war im Ministrantendienst der katholischen Kirche. Dass ich nur in Etappen zur mir selbst fand, und zwar über die Jahrzehnte hinweg, kann man vielleicht verstehen.
“Was meine Hautfarbe anbelangt, da musste ich Farbe schon bekennen.”
Als afroamerikanisches Kind mit hellerer Haut, war aber auch diese Selbstbekenntnis für mich nicht immer so kinderleicht. Ich spürte Ablehnung von etlichen Seiten aus. Ich sei nicht Schwarz genug gewesen, durfte dafür aber das N-Wort hören.
“Mein Rat ist: Sei aufgeschlossen, was die Frau in deinem Spiegel betrifft.”
Akzeptiere sie, wie sie ist oder ändere das an ihr, was Du ändern willst. Sie wird mitmachen, solange Du konsequent bist.
2) Selbstliebe
“Lieb zu Dir selbst zu sein, bedeutet im Grunde genommen Dich und das Leben zu würdigen.”
Dir sogar trotz des Lebens und dessen Widrigkeiten etwas zu gönnen. Ein Lavendelbad, die Ruhe, ein neues Kleid, ein Opernkonzert. Frag Dich, was Dein Herz begehrt und ziele darauf hin.
“Die Wahrnehmung, dass Selbstliebe auch den Verzicht beinhalten kann, kam mit zunehmendem Alter.”
Weniger kann – in der Tat – mehr sein. Wenn wir bereit sind, gewisse Sachen loszulassen, ob Gegenstände oder sogar Träume, können wir uns entlasten und zugleich Frisches aufnehmen. Das Gefühl, das ich dabei empfinde, ist nicht nur befriedigend, sondern durchaus euphorisch.
“In diesem Jahre werde ich 60. Je älter ich werde, desto mehr Zeit gönne ich mir. Schon bei der Denkmalpflege am Schminktisch!”
Aber auch überhaupt. Das tue ich wiederum deshalb, weil ich das, was ich als Autorin, Rednerin, Musikerin und so weiter schöpfe, aus vollem Herzen kreiere. Ich mache keine Kompilationen, sondern Kompositionen. Und ich reagiere sehr unwirsch, wenn Menschen versuchen, mich vor allem aus nichtigen Gründen unter Zeitdruck zu setzen. Wenn es notwendig oder gar ein Notfall ist, oder so vereinbart wurde, dann gerne. Das versteht sich. Ansonsten: Don’t rush me!
“Richtiges Timing nach meiner inneren Uhr bedeutet mir wesentlich mehr als das Pünktlichkeitsempfinden derjenigen, die sich beim Nachdenken langweilen. Die Zeit ist für mich eine Zufluchtsstätte.”
3) Politisierung
Meine Politisierung verlief in Etappen, in Epochen sogar. Den einen Moment gab es nicht, sondern eine ständiges Momentum. Ich bin der Jahrgang 1961. Somit kam ich in dem Jahr auf die Welt, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde. Und zeitlebens bin ich irgendwie damit beschäftigt, Mauern zu durchbrechen. Als Schwarze, als queerer Mensch, als Feministin. Schau mal, ich habe es live im Fernsehen miterlebt, als Martin Luther King und Robert Kennedy 1968 erschossen wurden, als die LGBTQ-Community bei den Stonewall-Unruhen ein Jahr danach in New York auf die Barrikaden ging, als Angela Davis 1970 gejagt wurde.
“Meine Pubertät fand irgendwie zwischen Aufbruch und Apokalypse statt, zwischen Woodstock und Weltuntergangsstimmung. Erst später im Leben fing ich damit an, diese Bruchstücke der Erfahrungen nach und nach aufzulesen und kohärent zusammenzustückeln.”
4) Sexualität
Mut schöpfen.
“Ein Spruch von mir lautet: Ein Leben ohne Freiheit ist ein Tod ohne Frieden. Ich war schon Mitte 40, als die schwelende Feministin in mir, mich dazu aufforderte, aus der Besenkammer hervorzutreten. Es dauerte zwar noch, aber dann tat ich es erhobenen Hauptes.”
Als Schwarze Frau habe ich die Hässlichkeit und den Terror des Rassismus und des Sexismus umso eindeutiger verspürt. Mein Rat lautet:
Erforsche Deine Sexualität und ergötze Dich daran. Offen sein für Veränderungen und für andere. Aber Grenzen setzen, um Dich vor denjenigen zu schützen, die Deine Leidenschaft genießen wollen, ohne Deinen Leidensweg anzuerkennen.
5) Zukunft
Die Zukunft ist für mich mehr als eine Zusammenstellung von Blöcken auf dem Kalender. Sie ist eine Zäsur, ob groß oder klein, grob oder fein. Ein Bruch, eine Brücke. Flucht, Fantasie.
“Der Zukunft komme ich entgegen, aber möglichst mit meinem eigenen Tempo. Und Instinkt. Ich meine, das Licht am Ende des Tunnels kann auch die vordere Laterne eines Güterzuges sein.”
Ich freue mich auf mehr Zeit, mehr Romantik. Die Erfüllung der Sehnsucht. Was die Welt betrifft, da hoffe ich auf mehr Empathie.
Du möchtest mehr von und über Michaela Dudley sehen? Dann schau in ihre aktivistisch und journalistische Arbeit hinein auf www.diva-in-diversity.com, in ihre Kabarett-Arbeit auf www.michaela-dudley.de und auf Instagram unter @dr.michaela.dudley.
Ciani
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