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Grind Kultur

Grind Kultur

Ein Plädoyer für eine Rest Revolution 

Schwarze Frauen müssen härter arbeiten. Doch ist der permanente Antrieb und der Hustle eine Form von internalisierten Rassismus? Was hat es mit der Grind Kultur auf sich und warum ist unsere Autorin davon überzeugt, dass wir schlafend eine Revolution starten könnten? Monika Odum beschreibt in den nächsten Zeilen ein jahrhundertealtes Konstrukt, dass weiterhin die Arbeitsmoral und Überarbeitungstendenz von vielen Schwarzen Frauen erklärt. Wie brechen wir diesen Bann? 

Grind Kultur

Ein kleines Gedankenspiel: 

Wisst Ihr, wie einfach es ist, Personen dauerhaft beschäftigt, busy, emsig, schaffend, arbeitend und im Tun zu halten?

Sag’ Ihnen, dass sie faul sind.

Sag’ ihnen, dass sie nie etwas auf die Reihe bringen werden.

Sag’ ihnen, dass sie nichts wert sind.

Sag’ ihnen dass sie dumm sind.

Dann geh’ hin und sag ihnen, dass sie aber sehr wohl hart arbeiten können und schwere Lasten tragen können.

Dass sie sich schon ein gewisses Maß an Wissen aneignen können, aber bereit sein müssen, intensiv dafür zu lernen.

Und es muss Ihnen klar sein, dass es ihnen nicht gestattet ist, alles zu lernen. Sollten sie sich, über ein gewisses Maß hinaus, Wissen aneignen wollen, dann werden sie sich dafür noch einmal extra anstrengen, noch einmal extra dafür kämpfen müssen. Ohne Fleiß kein Preis. Der Preis sind dann Titel und der zumindest theoretische Zugang zu gewissen Kreisen, in den sie dann als etwas Besonderes gelten, aber nicht im guten Sinne. Ihre Besonderheit besteht nämlich darin, dass sie die Ausnahme von der Regel der Wertlosigkeit ihrer Gruppe sind. Sie sind die Auserwählten, die bewiesen haben, dass sie „auch“ etwas können.

Was bist Du (Dir) wert?

Etwas können wird in klingender Münze entlohnt. Je mehr Du „kannst“, desto mehr klingende Münzen gibt es. Das stimmt jetzt zwar so nicht mehr, denn viele Gruppenmitglieder*innen, die sich fleißig Wissen erworben haben, finden trotzdem keine Arbeit, die ihnen klingende Münzen gibt, aber dieses Märchen hält sich so hartnäckig wie früher das mit dem Prinzen und dem Pferd.

Was werden diese Menschen wohl tun?

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit werden diese Menschen alles tun, was Du ihnen als Lösung für das Problem ihrer Wertlosigkeit, Dummheit und Faulheit anbietest. Sie werden hart arbeiten und stolz darauf sein. Sie werden lernen und „über sich hinauswachsen“. Sie werden sehr, sehr viel tun, um Anerkennung, Wert und Zugehörigkeit zu gewinnen.

Irgendwann musst Du es Ihnen gar nicht mehr sagen, denn sie haben es verinnerlicht und laufen sozusagen „von ganz alleine“.

Du musst nun nichts weiter mehr tun, als Dich zurückzulegen und die Früchte Deiner „Arbeit“ geniessen.

Genial oder?

Was sich liest wie ein Auszug aus dem Handbuch „How to be a supervillain“ ist eine der Strategien, mit der weiße Systeme einen konstanten Workflow, den sie niemals selbst leisten müssen, sicherstellen. Das unterliegende Prinzip ist das der Wertlosigkeit und die Idee, dass der Wert einer Person etwas ist, was sie sich verdienen kann, wenn sie solange und so oft, wie es von ihr verlangt wird, arbeitet und funktioniert. Kann sie dies nicht mehr, verliert sie schlagartig an Wert. Dieser Effekt lässt sich verstärken, in dem man die Person generell für besonders befähigt hält, harte Arbeit zu leisten und viel auszuhalten (belastbar zu sein) und sie dafür lobt und schätzt. Kommt es zum Zusammenbruch, erfolgt nicht etwa das große Lob und die Entschädigung für alles Geleistete, sondern sehr oft die Entsorgung, das Vergessen oder das leistungsposthume Denkmal setzen, dass letztlich nur dem einen Zweck dient: dass die Nachkommen  sich „ein Beispiel nehmen“, „sich daran orientieren“ und so diesen Weg fortsetzen sollen.

Wenn wir jetzt hingehen und uns all die Stereotype, Vorurteile und Zuschreibungen ansehen, die weiße Systeme für Schwarze Frauen haben, fällt ins Auge, das wir seit 500 Jahren dieser Strategie ausgesetzt waren und es bis heute sind. 

Grind Kultur

Grind Kultur

Die “Hustle and grind” bezeichnet den Prozess des unermüdlichen Arbeitens. Mit hustle ist hier wohl am ehesten eine gesteigerte Geschäftigkeit, ein dauerhaftes Beschäftigt Sein gemeint und Grind kann wortwörtlich auch mit mahlen, also einem Kraftakt übersetzt werden und das Wortspiel ist kein Zufall. Wir halten uns mit großem Kraftaufwand dauerhaft beschäftigt und arbeiten, bis wir uns aufgerieben haben. Dann werden wir ersetzt, denn Wert hat nur, wer funktioniert. Das ist unser Normal, dass auch gar nicht weiter hinterfragt wird. Es ist unser Alltag, der zwar jede*n müde und ausgelaugt zurücklässt, aber dennoch mehr oder minder klaglos akzeptiert wird. Im Gegenteil, viele sind auf ihre Leistungen sehr stolz und tragen körperliche Schäden, die ihnen entstanden sind, wie ein Badge of honor. Auf diesem Funktionsmuster baut jede rücksichtslose kapitalistische Gesellschaft auf. Kapitalismus und White Supremacy sind übrigens Golf Buddies.  Wir können mit Sicherheit sagen, dass ein System, dass die Natur ausbeutet, auch den Menschen ausbeutet, denn Surprise, Surprise, wir sind ein Teil der Natur, auch wenn wir uns getrennt von ihr wahrnehmen. Die Grind Kultur setzt alles daran, dass die Illusion der Trennung aufrechterhalten wird und sich sogar noch auf unsere Beziehung zu uns selbst ausweitet. Auf einmal können wir uns nicht mehr so ganz spüren, verlieren uns und nehmen den Schaden, der entstanden ist, nicht mehr wahr. Wenn wir es doch tun, dann kritisieren wir eher uns für unsere nachlassende Belastbarkeit aber nicht den Mahlstein, der uns zerdrückt.

Ist “Smudging” auch als Schwarze Person kulturelle Aneignung?

Ist “Smudging” auch als Schwarze Person kulturelle Aneignung?

Sich selbst erhaltendes Systeme und Abwärtsspiralen

So funktioniert -neben anderen zutiefst pathologischen Handlungskonzepten-Kolonialismus und Sklaverei. 

Das gefährlich ist- wir haben die whip on our back und den overseer ganz oft verinnerlicht, wenn wir uns selbst wieder und wieder zur Leistung antreiben, obwohl unser Körper schon längst nach einer Pause schreit und wir Magenschmerzen, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Nährstoffmangel, Bewegungsmangel, gynäkologische Beschwerden, Panikattacken oder eine komplette körperliche Erschöpfung haben.

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich über 20 Tage über drei Schichten, zweieinhalb Wochenenden mit einer Pause von 48 Stunden )ich schreibe das so explizit, weil es keine Tage ware, sondern wirklich Stunden- das hängt mit dem Schichtdienstrhythmus zusammen) gearbeitet habe und immer noch der Meinung war, ich hätte nicht genug getan, weil ich mich nicht um meine berufliche Weiterentwicklung in einen Bereich gekümmert habe, der mir am Herzen lag. Ich war außerstande zu sehen, wie viel ich eigentlich geleistet hatte und war persönlich von mir enttäuscht, dass ich so wenig getan und erreicht hatte.

Klingt krank, war aber so. Das erschreckende war, dass es gar nicht weiter auffiel, sondern fast schon erwartet wurde. Zum einen, weil ich mich selbst über diese Form von Arbeitsethik definiert hatte und sehr stolz auf meinen „Fleiß“ war, zum anderen, weil ich als Krankenschwester in einem Beruf arbeite, der dem in die Karten spielt und in dem meine Berufsgruppe nicht „einfach mal etwas liegen lassen kann“ ohne dass es für einen anderen Menschen eventuell tödliche Konsequenzen hätte. . Zum dritten, weil ich nichts anders kannte und den Anfänger*innenfehler begangen habe, zu glauben, dass der Dienst und das Engagement am Menschen hochspirituell sei (ist er) und daher dauerhaft und durchgehend von mir zur Verfügung gestellt werden müsse (muss er nicht).

Afrominimalismus

Was ist Afrominimalismus?

Zora’s Weisheit

Ich weiß noch, dass ich wie betäubt auf meinen Kalender geguckt habe, dreimal nachgerechnet habe, ob bei den drei Wochen Arbeit am Stück auch kein Rechenfehler vorlag, während ich mich gleichzeitig wunderte, dass mir die Füße noch mehr schmerzten als sonst und darüber sinnierte, einen Beschwerdebrief an die Sneakerfirma zu schreiben und mich über die nachlassende Produktqualität zu beschweren. Ab da begann ich mich ernsthaft mit mir und meiner Definition von Engagement, Fleiß und Arbeit, Ruhe und Ausruhen, Schlaf und Regeneration zu beschäftigen. 

„The black woman is the mule of the Earth“ ließ Zora Neale Hurston, die wohl berühmteste Schriftstellerin der Harlem Renaissance schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts in ihrem Roman „Their eyes were watching god“ ihre Protagonistin Janie Crawford sagen. Knapp neunzig Jahre später ist dieser Satz nach wie vor aktuell und damals wie heute keine Fiktion.

Die Arbeit, die wir als Schwarze Frauen erbringen müssen, muss doppelt so hart sein, um die gleiche Anerkennung zu finden wie bei unseren weißen Counterparts. Das lernen wir schon als kleine Mädchen. Weiter lernen wir, dass wir nicht um Hilfe bitten sollen, weil das Schwäche zeigt oder nicht um Hilfe bitten können, weil niemand helfen kommt. Wir werden schon als Kinder oft für älter gehalten, als wir sind und von uns wird erwartet, mit den Alltagsrassismusverletzungen (die als solche nicht gesehen werden, aber sehr wohl da sind) umzugehen, uns damit abzufinden während wir gleichzeitig beweisen sollen, dass wir in unserem Tun, Lernen und Handeln dieser weißen Gesellschaft genügen. Kleine Fehler gibt es bei uns nicht, denn sie fallen wie wir immer gleich mehr auf und haben zudem noch die Konsequenz, dass unsere Beobachter*innen sie auf den nächsten Schwarzen Menschen übertragen.

Grind Kultur

Überlebensstrategie als Konsequenz

Obwohl vieles von diesen Dingen unausgesprochen bleibt, so ist es uns doch sehr, sehr bewusst. So sind wir bestrebt, keine Fehler zu machen, was in die Falle der Perfektion führt, wo unser innerer overseer zu Hause ist. Das, was unsere Mütter noch von außen erlebt haben und was sie letztlich als Konsequenz daraus in ihrer Überlebensstrategie berücksichtigten, nämlich möglichst viel, möglichst gut und möglichst fehlerfreie Arbeit abzuliefern, da sie sonst in vitaler Gefahr waren, erleben wir nun als ihr Erbe internalisiert als permanenten Antrieb und hustle, als extrem hohen Anspruch und Perfektionismus, als inneres Verbot, sich auszuruhen und als verbale Aggression im inneren Dialog, wenn wir uns vorwerfen „faul“ zu sein, wenn wir den Wunsch uns auszuruhen spüren. Wir gestatten uns normalerweise nicht, uns ohne Erklärung auszuruhen und brauchen fast immer eine Rechtfertigung und sei es nur für uns selbst.

Lay my burden down

Für uns als Schwarze Frauen ist Ausruhen nicht bubble bath, Rosenblätter und Rückzug als Vermeidung unangenehmer Erlebnisse in der Außenwelt, obwohl wir mehr als genug davon haben. Hier sind auch ganz klar nicht weiße Allys angesprochen, denn für uns ist Ausruhen wahrhaftig überlebenswichtiger Widerstand und mit jedem Ausruhen ein “Ja” zu uns selbst.   Audre Lorde wusste dass und prägte den legendären Satz:

“Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.” —Audre Lorde

Wenn ich mich als Schwarze Frau selbst erhalte und darauf Wert lege, das ich dies tue, ist das eine klare Ansage an mein Innen und mein Außen. ich bin mir wichtig, ich nehme mir meine Ruhezeit und warte nicht darauf, dass ich von externen oder internalisierten overseern die Erlaubnis dazu bekomme.

Tricia Henson hat ihre Organisation The Nap Ministry  Rest as Resistance als Kunstform geschaffen und klärt über die Zusammenhänge von Grind Kultur, Schwarzen Frauenrechten, den geschichtlichen Verknüpfungen und dem Lebensalltag ihrer Vorfahr*innen über die Kraft des Ausruhen weit über die regenerative Komponente auf. 

Schlafend ein Paradigmenwechsel starten? 

Sie zeigt den Zusammenhang zwischen White Supremacy und Kapitalismus und weist auf die regenerative und ausgesprochen schöpferische Macht der Dream Time hin. Sie gestaltet öffentliche Events, bei denen in sicheren Räumen eingenickt werden darf, geträumt werden darf und die Zeit relativ werden darf.

Sich nicht mehr permanent mit der Grind Kultur, also dem Hamsterrad, das so oft uns zum zermalmenden Mahlstein wird zu identifizieren und sich einfach hinzulegen und ein Schläfchen zu halten. 

Wie viele von uns haben Angst, „dass sie dann nicht mehr aufstehen und der ganze Tag kaputt ist“? 

Dass „sie dann nichts mehr geschafft bekommen“? 

Dass „dann die ganze Arbeit liegen bleibt und am Ende nur noch mehr zu tun ist“?

Grind Kultur

Die Rest Revolution 

Ich habe jeden dieser Sätze schon mehrfach gesagt und mehrfach gehört und nichts liegt mir ferner als auf unsere eh schon kilometerlangen to do-Listen jetzt auch noch „Du musst Dich ausruhen“ zu setzen. So funktioniert das sowieso nicht. Aber eventuell kann es eine Einladung sein, hin zu der anderen Art der Revolution die radikal ist und uns zum Zentrum macht. Diese Art der Revolution ist zutiefst produktiv für Schwarze Frauen. Sie beschützt und regeneriert unsere Körper und unsere Seelen. Sie verbindet uns mit all Denen, die waren und uns selbst. Sie holt uns nach Hause, heilt uns, lässt uns wieder oder noch mehr zu uns finden. Sie setzt uns Stück für Stück wieder zusammen, da wo wir uns teilen mussten, da wo uns Erinnerung fehlt, da wo wir uns verloren haben. Diese Revolution ist sehr, sehr alt und vielleicht ist sie gerade deswegen jetzt so wichtig. Weil sie Werte zugrunde legt, derer wir uns nicht bewusst erinnern und die wir bisher nicht gelernt haben, die wir aber brauchen werden. Die Rest Revolution ist so radikal, dass sie bei uns selbst beginnt. Lasst sie Uns beschützen. One nap at a time.

Monika Odum

Monika

Es gibt da so eine Sache, die finde ich faszinierend. Ich nenne sie jetzt mal so, um es mit ein wenig Abstand betrachten zu können. Es geht um die Arbeit, die Du als Schwarze Frau machen darfst. Das ist nämlich lange nicht jede, sagt uns die Gemeinschaft Schwarzer Frauen.

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