Kaleo Sansaa: „Wenn Leute meine Musik hören, möchte ich, dass sie dieses ‚sun-drunk‘ Gefühl erleben und ein bisschen high davon werden“
Fotocredit: Nora Hase
Die Künstlerin Kaleo Sansaa schafft sich ihren ganz eigenen Raum. Ihre Musik würde die 28-Jährige als Sun-Drunk Sound und Solar-Based Hip-Hop beschreiben. Sie wechselt zwischen Gesang und Rap und zieht ihre Zuhörer:innenschaft mit ihrem meditativ anmutenden Sound in den Bann. Die aus Sambia stammende Künstlerin wurde bereits für eine Vielzahl von Preisen in ganz Europa nominiert, zuletzt für den renommierten Pop NRW Preis als beste Newcomerin 2019. Wir haben mit Kaleo über ihr Debütalbum „Solarbased Kwing“ gesprochen, das heute erschienen ist.
Worum geht es in deinem Album?
Ich war 2018 nach meinem Bachelorabschluss in Südafrika. An einem Abend bin ich aufgewacht und hab gedacht: Es gibt so viel, was ich erreichen will und gleichzeitig dachte ich, dass ich so weit von meinem Ziel entfernt bin. In dieser Nacht hab ich nicht geschlafen und einen Song geschrieben. Meine Hintergrundidee ging in Richtung „Manifestation Energy“. Ich möchte eine Energie reinbringen, damit ich zu der Person werde, die ich sein will. Mir war klar, ich werde jetzt an einem Projekt schreiben, in das ich alles reinpacke, was ich brauche. Was mir zur Heilung, zum Ich-Sein fehlt. Die Intention des Albums und was tatsächlich rausgekommen ist, ist sehr empowernd und ich konnte ein Universum kreieren, wo all das real ist, was ich mir wünsche. All meine Unsicherheiten oder Zweifel habe ich in Stärken umgeschrieben. Das zieht sich wie ein Mantra durch mein Album to reclaim myself, my body, my mind, my spirit. Wenn ich das alles reclaime, dann bin ich so reich und so mächtig und aus der Position heraus kann ich alles kreieren und mir steht nichts mehr im Wege. Deshalb heißt das Album auch Solarbased Kwing. Ich bin die Sonne meines Universums. Ich hab die Kraft, meinem Universum die Energie und das Licht zu geben, die es zum Funktionieren braucht. Das war ein bisschen die Message des Albums.
Ich bin an deinem Albumtitel hängen geblieben, vor allem an dem Wort Kwing. Ich lese es als eine Mischung aus King und Queen. Was hat es damit auf sich?
Diese Mischung war immer Thema in meinem Leben. Im Song Big Boy spreche ich das auch an. . Bin ich feminin genug? Bin ich zu sehr ein Tomboy? Nehmen Leute an, dass ich irgendeine bestimmte Sexualität habe? Ich hatte immer das Gefühl, mich positionieren zu müssen, obwohl ich mich einfach als Kaleo gefühlt habe. Mein Name Kaleo aus der Sprache Bemba ist auch unisex. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass meinem Dasein schon namentlich keine Grenzen gesetzt worden sind. Ich bin mit super starken Frauen aufgewachsen und ich hatte nie das Gefühl, nur das süße kleine Mädchen sein zu müssen. Das Album war die perfekte Gelegenheit, um mich zu positionieren. Ich will mich nicht entscheiden, I’m a Kwing! I’m both! Oft wird ja unterschieden zwischen männlicher und weiblicher Energie. Ich finde, wir brauchen beides gleichermaßen. Für mich ist es keine Dualität, denn beides verschmilzt zusammen. Ich bin Sonne und Mond zugleich, nach meiner letzten EP Purple Moon kommt jetzt mein Album Solarbased Kwing und das ist kein Widerspruch.
Du beschreibst deine Musik als „Sun-Drunk Sound“ und „Solar-Based Hip-Hop“ Damit hast du dein ganz eigenes Genre geschaffen. Kannst du uns dazu mehr erzählen?
Als ich angefangen habe, mit meinen Songs aufzutreten kam immer die Rückmeldung „voll cool was du machst, aber was ist das?“ Und die Frage hat mich immer so genervt, weil ich immer gedacht habe: Du hast doch gehört, was es ist. Lass mich in Ruhe, warum muss ich das noch erklären? Ich wusste aber, ich werde dieser Frage nie entkommen.Für Playlists , müssen Leute beispielsweise wissen, wie sie meine Musik beschreiben können. Ich habe mich diesem Druck dann gebeugt, dachte mir aber: wenn ich kein passendes Genre für mich finde, erfinde ich halt eins. Dafür habe ich mich gefragt, was das wichtigste Element in meiner Musik und weshalb mache ich eigentlich Musik? Als ich über diese Fragen nachgedachte, musste ich an meine Kindheit denken. Das, was mich immer am meisten beeinflusst hat, war die Sonne. Ich bin mit meinen Großeltern in Sambia aufgewachsen und hatte nicht so viele Freund:innen, deshalb habe ich viel allein gespielt. Die sambische Sonne ist heftig, vor allem im Oktober. Als alle in den Schatten ginge, bin ich immer mitten in die Sonne. Ich hab mich irgendwo hingesetzt und so lange in der Sonne verweilt bis mir schwindelig wurde. Das war für mich wie so ein richtiges High. Dieser„sun-drunk dizzy“ Zustand ist vergleichbar ist mit dem Zustand, wenn ich heute meditiere. Immer, wenn ich Musik kreiere und auf der Bühne stehe, überkommt mich genau das gleiche Gefühl. Ich bin eins mit mir und der Sonne. Ich bin eine Energie, die einfach fließt und meine Musik ist komplett davon gekennzeichnet. Ich lasse einfach zu, was aus mir herauskommt und diesen Zustand bezeichne ich als solar-based, weil ich das als Kind in der Sonne verspürt habe. Mein Charakter und mein Wesen sind von diesem Element komplett abhängig. Wenn Leute meine Musik hören, möchte ich, dass sie auch dieses „sun-drunk“ Gefühl erleben und ein bisschen high davon werden.
Dein Sound ist sehr individuell und innovativ. Du experimentierst viel mit Gesang und Rap. Wie sah der Weg zu deinem ganz eigenen Stil aus?
Es war definitiv ein Prozess. Ich mach Musik seit ich elf bin und habe zwischendrin immer wieder aufgehört. Weil ich immer wieder an den Punkt gekommen bin, an dem ich gedacht habe, das bin nicht richtig ich. Ich habe oft in Bands gespielt, mit einem Produzenten gearbeitet, der super lieb war. Mir wurde Raum gelassen, aber ich konnte nicht so richtig sagen, was ich brauche. Ich habe aber immer gleich gemerkt, das ist es irgendwie nicht. Irgendwann habe ich richtig lange aufgehört. Von 19 bis 23 habe ich fast keinen Ton gesungen und dann fing ich wieder an und habe mir die Gitarre gegriffen. Ich habe viel auf der Gitarre geschrieben, aber der Singer-/Songwriter-Sound war nicht meiner. Ich bin dann ungezwungen auf Jam Sessions in Köln gegangen und habe einen Rapper kennengelernt, der eine Loopstation zu Hause hatte. Gemeinsam haben wir dann Dinge ausprobiert. Ein Jahr später habe ich mir selbst eine Loopstation und eine Kalimba aus Sambia gekauft. Das war der Start. Ich habe dann angefangen, auf der Loopstation mit meiner Stimme zu experimentieren und mit Sounds. Damit konnte ich dann analog produzieren, weil ich es digital noch nicht konnte. Mein erster Song, den ich an der Loopstation produziert habe, war Purple Moon. Ich dachte, wow! Dieses Lied gefällt mir voll. Ab da gings richtig los.
Du hast zweieinhalb Jahre an deinem Album gearbeitet. Wie würdest du deinen Schaffensprozess beschreiben?
Vor dem Albumbeginn habe ich gedacht, wozu brauchst du zwei oder drei Jahre, um zehn oder 15 Songs zu schreiben? Die schreibe ich in einem Monat. Girl?! I was wrong!!! (lacht) Ich habe durch den Entstehungsprozess sehr viel gelernt. Wir haben den Release so oft verschoben, natürlich auch wegen Corona. Anfangs sollte das Album eigentlich eine EP sein – die Sun-EP. Da sollten vier Lieder drauf und dann hat sich das aber in ein Album entwickelt. Was ich am schwierigsten fand, war begonnene Lieder zu Ende zu bringen. Wenn man keine Deadline hat oder das Gefühl des Songs auch irgendwie vorbei oder ausgelebt ist, ist es echt schwer, nach vier Monaten was zu Ende zu schreiben. It’s a pain! Das war sehr herausfordernd, muss ich sagen. Ich musste sehr stressresistent sein, weil wir am Ende ein paar Deadlines einhalten mussten. Dann kam Corona. Ich konnte viele Visuals nicht umsetzen. Es war finanziell eine Herausforderung, weil ich alle Videos der Welt drehen wollte und gleichzeitig dachte: Ok bitch, you broke though. What you’re gonna do? Auf der anderen Seite war es sehr bereichernd. Als ich angefangen habe, das Album zu machen, war es sehr akustisch, a cappella und sehr gesungen. Das einzige Lied, was mehr Richtung Hip-Hop ging, war „Mother of the sun“. Im Prozess mit Loy Beats von Loyal Records hat sich aber voll viel entwickelt. Mit Loy Beats habe ich Black Light gemacht und dachte: Wow, das ist richtig schnell. Es entwickelte sich dann zu einem Rap Album, was nie geplant war. Das war eine komplett neue Seite von mir, die ich mich nie getraut habe zu zeigen. Es gab so viele unbezahlbare Moment, wo ich als Künstlerin über mich hinauswachsen konnte. Ich habe eigentlich immer wieder bei Jam Sessions gerappt, habe mich aber nie ernsthaft als Rapperin wahrgenommen. Ich dachte, wenn ich rappe, muss ich mich auf jeden Fall mit einer bestimmten rap identity arrangieren, die nicht meinem Ich entspricht. I’m a spiritual bitch and I’m not gonna change that! Das war für mich echt ein Struggle. Wo passen denn meine Punchlines zwischen Meditation und Salbei verbrennen rein? Auch die Rapper:innen, die spirituell sind, sind trotzdem hard bad ass und verkörpern klassische Elemente des Hip-Hops. Es war für mich schon schwierig, diesen space im Hip-Hop zu claimen und gleichzeitig eine ganz neue Sparte für mich aufzumachen, weil ich mich mit niemanden vergleichen kann. Ich dachte aber, ich claime einfach meinen eigenen Space.
Wie ist es für dich als junge Schwarze Frau, die deutsche Musiklandschaft zu navigieren?
Es war für mich immer paradox in Deutschland zu leben, englische Musik zu machen und englisch oder global zu denken ohne, dass Leute denken, ich sei prätentiös. Viele denken, oh die macht englische Musik, um international zu sein. Aber ich kann nicht anders, ich bin in Sambia geboren. Bemba & Mambwe sind meine Muttersprachen. Deutsch ist meine Zweitsprache, die ich erst super spät gelernt habe. Ich kann emotional nicht auf Deutsch denken. Ich kann mich äußern, aber ich hab noch nie ein deutsches Gedicht geschrieben. Ich respektiere Künstler:innen, die das können – wie Joy Denalane – wo es auch gut klingt. Ich finde deutsch ist auch eine sehr schwierige Sprache, was Kunst angeht. Die andere Sache ist, dass ich aus Sambia komme, viele folgen mir aus Sambia und meine Familie ist auch dort. Und da war mir auch klar, ich möchte alles auf Englisch machen, damit mich meine Leute verstehen. Als Schwarze Person finde ich die Strukturen schwierig, die einen exkludieren. Und das ist nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern ganz global. Wie viele darkskin black women sind in egal welchem Genre vertreten? Egal wo ich anfange. Wo sind sie im Hip-Hop? Im Soul, Acoustic? Ich seh sie nicht! In meinem privaten Umfeld machen alle meine Schwarzen Freund:innen Musik, aber da oben sehe ich die nicht. Psychologisch macht das schon was mit einem.
Wie wirken sich diese Erfahrungen auf deine Musik aus?
Was für mich auch immer klar war, dass ich nicht für Deutschland Musik mache. Ich bin hier, aber ich denke viel an Sambia, an meinen Kontinent. Da will ich langfristig hin, da sind meine primären Leute. Auch, wenn ich es gerade nicht schaffe, alle abzuholen. I’m doing my music for black people and the continent! Ich finde auch diese racist und colorist Strukturen schwierig. Ich sehe, dass viele Leute, die nicht aussehen wie ich, Möglichkeiten bekommen und gefeatured werden, in Videos auftauchen. Da frage ich mich auch, wo sind meine Allies, wo sind meine Leute? Da habe ich manchmal das Gefühl, dass ich alles alleine aufbauen muss und mir vor allem mein eigenes Netzwerk aufbauen muss, because nobody is going to reach out to me. Ich arbeite hart und das ist okay für mich. Ich werde mir so oder so mein eigenes Universum aufbauen. Ich nehme meinen Erfolg selbst in die Hand. Denn ich möchte mich nicht abhängig machen. Auf der anderen Seite hatte ich auch viel Glück. Ich habe meine erste EP rausgebracht und wurde im selben Jahr für den Pop NRW Newcomer Preis nominiert. Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel Akzeptanz erfahre und nicht so viel Ablehnung, wie ich angenommen hatte. Auf der Makroebene habe ich super viele Ängste, aber in der Realität fühle ich mich heftig supportet. Die Wertschätzung von der Community bedeutet mir viel und da merke ich schon, dass ich getragen werde und nicht alles allein mache.
In deinen Songs wechselst du immer wieder zwischen Englisch und den sambischen Sprachen Bemba, Nyanya und Mambwe. Manchmal ist auch Swahili dazu gemischt. Was bedeutet diese Mehrsprachigkeit in deiner Musik für dich?
Mir war es wichtig, mich so wenig wie möglich als Person zu übersetzen. Ich dachte wieder, ich bin in Deutschland. Verstehen mich die Leute? Ich versuche aber dennoch mein Wesen so wenig wie möglich zu erklären. Was aus mir rauskommt, kommt raus. Alles was ich mache, beruht auf Sambia und meine primäre Hörer:innenschaft verorte ich dort, auch wenn ich gerade ganz verschiedene Menschen anspreche. Aber mein Blick richtet sich immer nach Sambia. Mir war es deshalb wichtig auch sambische Sprachen ins Zentrum zu stellen, die nicht mehr so oft oder nur sehr lokal gesprochen werden, wie Mambwe zum Beispiel. Mambwe wird vor allem im Norden Sambias gesprochen und es ist schon krass, einen Rapsong in meiner Muttersprache zu hören, die nur von älteren Leuten in meinem Dorf gesprochen wird. Für viele Leute in Sambia ist es nicht selbstverständlich ihre eigene Muttersprache so präsent zu hören wie es bei Swahili oder anderen populären Sprachen der Fall ist. Es gibt auf jeden Fall größere Sprachfamilien wie das nigerianische Igbo oder Yoruba zum Beispiel, die man zumindest in populären musikalischen Bereichen kennt. In Nigeria repräsentieren viele Musiker:innen ihre eigenen Sprachen ganz selbstverständlich, in Sambia ist das noch nicht so der Fall. Mir war es wichtig klar zu machen, dass ich mich nicht nur als Bemba-Musikerin definiere. Mehrsprachigkeit spielt auch eine wichtige Rolle für mich, weil ich manche Dinge nicht auf Englisch ausdrücken kann, die kann ich dann nur auf Bemba sagen. Die Sprache ist so mächtig und trägt so viel in sich. Sie hilft mir gleichzeitig simplistisch zu schreiben und belebt den Text mit Bildern,Sprichwörtern und kultureller Identität, die nur im sambischen Kontext funktioniert. Es hilft mir Dinge und Welten auszudrücken, die mit so viel Emotion geladen sind.
In deinen Songs kann man auch in den Bildern und Motiven, die du nutzt, eine starke Naturverbundenheit erkennen. Was verbindest du mit der Natur?
Es ist ähnlich wie bei der Sonne. Ich bin im Dorf bei meinen Großeltern in Sambia aufgewachsen. Wir waren Bauern und damit komplett abhängig von der Natur. Gibt es eine Regenzeit oder haben wir Dürre? Wachsen die Sachen gut? Wir haben fast alles selbst angebaut und das war einer der prägendsten Abschnitte meines Lebens, weil ich mit einem sehr naturzentrierten Verständnis aufgewachsen bin. Woher kommen Dinge? Wie wachsen sie? Und wie viel Arbeit steckt dahinter, sie so gedeihen zu lassen? Das wusste ich früh. Daher kommt auf jeden Fall dieser Respekt vor der Natur. Das ist meine Basis und ich bin später vegetarisch und vegan geworden. Ich dachte dann, ich bin voll hip. Das ist so gar nicht sambisch. Aber wenn ich jetzt so zurückblicke, habe ich mich immer zu Dingen hingezogen gefühlt, die mich an mein früheres Leben erinnern. Sei es die Ernährung, welchen Sport ich treibe oder das Spazieren in der Natur. Das war alles nicht bewusst, aber ich merke, dass ich so lebe wie als Kind in Sambia. Wir haben so wenig Fleisch gegessen, wir haben vor allem viel Gemüse angebaut, hatten Hühner und einen Fruchtgarten. Das ist eine Lebensweise, die mich ausmacht. Alle Bilder und Emotionen, die ich in mir trage, waren sehr von meiner Umgebung geprägt.
Empowerment für Schwarze Frauen habe ich auch als zentrales Thema auf deinem Album gehört. Erzähl uns ein bisschen davon.
Ich war mit einer Schwarzen Freundin in Barcelona Urlaub machen und wir saßen so in der Sonne und ich sagte dann einfach zu ihr: Ey girl, wir sind die Wahrheit! Ich hab ab da einfach gemerkt, wir sind der Ursprung des Lebens. Black women literally made this fucking earth! Wir sind das erste Wesen, die Sonne liebt uns. Wir sind sonnengeküsst, wir tragen die Sonne in uns. Wir sind die Göttinnen der Welt. Und damit zu spielen und zu merken, ich darf Teil dieser Gruppe sein, das war für mich einfach ein großartiges Gefühl. Je mehr ich mich damit beschäftige, wer ich bin, desto mehr merke ich, wie krass wir sind. I’m just proud to be a black woman!
Yeama
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