KIDS OF THE DIASPORA: “Wir lassen uns von den Frauen inspirieren, die ihr Ding machen und nicht den nächsten angeblichen Defizit einreden”
“Es wäre falsch vom bestehenden Markt zu erwarten, dass er sich um die Bedürfnisse der Schwarzen kümmert. Die Fadenzieher*innen sind nun mal selbst nicht Schwarz. Noch nicht,” so Cherrelle Charles. Deshalb hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester Leni die Modemarke KIDS OF THE DIASPORA gegründet. Doch KOTS ist noch viel mehr. Es ist ein Gefühl. Ein interdisziplinärer Lebensstil. Ein Kreativstudio. Es ist die Manifestierung des Wunsches der Wiener Schwestern das Konzept “Minderheit” zu dekonstruieren. Mit Erfolg. Mit ihren „Ambassador Shirts“ sorgten sie für ein großes internationales Medienecho. Wir haben mit Leni und Cherrelle Charles über das Gründen als Schwarze Frauen in Österreich gesprochen, was sie inspiriert und warum sie ihr Label in Wien gegründet haben, statt in einem diverseren Kontext.
Wer bist du?
LENI: Ich bin Leni, bin 29 Jahre alt und lebe in Wien. Ich bin selbständige Art Directrice, Designerin,Unternehmerin, eine von vielen Schwestern und schon in wenigen Wochen auch Mutter. 2016 habe ich Kids of the Diaspora als Movement bzw. Denkanstoß der Welt vorgestellt. Heute nimmt man KOTD als Modemarke mit Message wahr.
CHERRELLE: Ich bin Cherrelle, Lenis Schwester und „Kids of the Diaspora Partner in Crime“, ich arbeite in der Musik- und Filmbranche, habe einen Sohn und lebe in Wien.
Wie würde dich deine beste Freundin beschreiben?
LENI: Sie würde mich als lustigen, weirden, dennoch verständnisvollen und empathischen Menschen beschreiben.
CHERRELLE: Es gibt tatsächlich einen Blogeintrag von meiner Freundin Christl Clear, in dem sie mich als „Kanye West“ unter ihren Freundinnen bezeichnet. Das war allerdings vor seinen politischen Äußerungen. Ich habe sie gefragt, was sie damit sagen möchte und sie meinte, dass ich mir selten Gedanken darüber mache, was andere von mir halten und allem, was damit verbunden ist und Dinge durchziehe für die man Mut braucht.
Wie deine Mutter?
LENI: Als vernünftige eher ruhige Tochter, die mit ihrer Kreativität sich immer irgendwie über Wasser hält. Als laid-back, mit Durchblick und trotzdem im Chaos lebend.
CHERRELLE: Eher hyperaktiv, spontan. Sie meint immer „mit einem Arsch auf Zehn Kirtagen“ und meinte ich sollte das Mittelmaß finden. Ich denke sie sieht sich selbst in mir, oft auch meinen Vater.
Wer warst du in deinem vorherigen Leben?
LENI: Das müsste ich meine Tante fragen, die ist Numerologin. Bestimmt irgendein Weltenüberbrücker.
CHERRELLE: Cleopatra.
Was machst du beruflich?
LENI: Ich führe die Marke KIDS OF THE DIASPORA gemeinsam mit meiner Schwester Cherrelle. Dadurch, dass es ein interdisziplinärer Lebensstil ist, ist es nicht nur eine Modemarke sondern auch ein Kreativstudio, indem wir für Unternehmen, Künstler*innen, Vereine und Organisationen, die unsere Werte widerspiegeln, visuelle Kommunikation kreieren.
Wie würdest du dich Selbst bezeichnen?
LENI: Ich denke viel und ständig über alles nach. Ich verliere mich auch oft in Gedanken. Für Außenstehende muss das dann immer extrem strange aussehen, wenn ich abdrifte und in mich kehre.
Mir ist es generell wichtig, dass Menschen in sich gehen, sich Zeit nehmen Dinge zu durchdenken und beginnen zu verstehen, warum sie für etwas stehen. Oberflächlichkeit ist so allgegenwärtig wie noch nie. Dabei gibt es so viele unsichtbare Facetten im Leben, die unbeachtet bleiben.
Ich bin zukunftsorientiert und fokussiere mich lieber aufs große Ganze. Ich konzentriere mich auf die Dinge, die noch zu tun sind, Ideen und Strukturen, die wir brauchen um unabhängig zu sein und zu wachsen.
CHERRELLE: Ich mag Ehrlichkeit, Tiefsinn und reine Herzen und versuche in jederlei Hinsicht integer zu sein. Das ist nicht immer einfach, aber ich habe gelernt, dass man sich nicht immer seinen Emotionen hingeben darf. Das führt sonst zu Chaos, aber ich bin verständnisvoll und geduldig mit Menschen und ihren Fehlern, da ich weiß, wie sehr die Vergangenheit das Jetzt formen kann.
Was inspiriert dich?
LENI: Die Zukunft, die Vergangenheit, meine Wurzeln, die Natur, Spiritualität, Lebensgeschichten, Träume und Wünsche.
CHERRELLE: Und Beyonce.
Warum hast du dich dazu entschlossen ein Business zu starten?
LENI: Es war nötig, da meine Visionen nicht in weißen Strukturen wachsen können. Es dauert vielleicht länger eigene Strukturen aufzubauen, aber es bestätigt meinen Lebenssinn.
CHERRELLE: Ich denke you either pick up your call or you don’t. So we did pick up that call.
Was ist die Vision mit eurem Label?
LENI: Deconstruct the concept of minorities.
Warum Mode?
LENI: Es gibt jedem Einzelnen die Plattform, die er braucht um seine Gefühle auszudrücken. Auf ganz persönliche Art und Weise. Wie die Menschen die Botschaft von KOTD rocken, liegt in ihrer eigenen Hand. Wir haben unsere Werte und die wollen wir in der Welt verbreiten.
Warum gibt es so wenig Schwarze Gründer*innen im deutschsprachigen Raum?
LENI: Ich denke, dass sich das bald ändern wird. Unsere Generation hat verstanden, dass wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen können und müssen. Ich bin selbst Gründerin im kreativen Bereich. Aber würde liebend gern mehrere GründerInnen (mich eingeschlossen) in anderen Bereichen sehen.
CHERRELLE: Ich bin gar nicht sicher, ob ich solchen Statistiken noch glauben sollte. Sollte es tatsächlich so sein, liegt es bestimmt nicht am Spirit. Da könnte man weit ausschweifen und Theorien aufstellen, von wegen sozialer Benachteiligung, Traumata nach Migration, Gefühl der Unzulänglichkeit, Folgen von Rassismus, aber ich fände es besser,
wir lassen uns von den Frauen inspirieren, die ihr Ding machen und nicht den nächsten angeblichen Defizit einreden.
Warum gibt es so wenig Schwarze Modedesigner*innen im deutschsprachigen Raum? (Oder gibt es welche und das ist nur unser eurozentrische Blick?)
LENI: Eine Modekollektion zu produzieren und Strukturen aufzubauen, fordert viel Zeit, Geduld, Nerven und Geld und die richtigen Entscheidungen. Der Wille in der Modeindustrie Fuß fassen zu wollen, muss eindeutig gegeben sein, unabhängig von der Herkunft.
Ich kann nur von Österreich sprechen, und da gibt es einige Modedesigner*innen, die ich an einer Hand abzählen kann. Da gibt es international bekannte Namen wie Kenneth Ize, DWMC, TrueYou oder Amaeena; Efua, Barbara Ali, Naomi Afia, Fulani und bestimmt viele andere die mir jetzt spontan nicht einfallen.
Was hälst du von dem Gerücht „Die Black Community ist nicht bereit zu zahlen“? Hast du davon gehört und wenn ja, nein, meinst du da ist etwas dran?
LENI: Meine Meinung ist:
Die Black Community zahlt für Black Excellence. Kein Ticket ist zu teuer für Beyonce und Solange Konzerte, auch keine Afropunk Festivals in Metropolen oder Fenty Pieces. Human Hair Weaves sind eine Investition, die viele Frauen ohne mit der Wimper zu zucken in Kauf nehmen.
CHERRELLE: Man muss über die Comfort Zone heraus – außerhalb der Community gibt es noch ganz viele andere Menschen, die auf Services und Produkte wie deine warten – wenn sie gut und sinnvoll sind.
Warum hast du dich dazu entschlossen in Österreich zu starten?
LENI: Ich lebe und arbeite in Wien. Hier ist meine Base. Ich bin ein privater Familienmensch und ihre Nähe ist mir ungeheuer wichtig. Mein Vater lebt schon lange in New York und meinte oft ich soll nach Amerika ziehen und hier gründen, weil es dort einfacher sein soll. Steuerrechtlich gesehen hat er bestimmt recht, aber ich bin nicht ganz, wenn ich die Nähe meiner Schwestern nicht spüre. Ich fokussiere mich nicht auf einen bestimmten geografischen Ort, deswegen ist es mir egal wo ich stationiert bin.
CHERRELLE: Gerade für eine Marke wie KotD ist es cool im deutschsprachigen Raum zu starten.
Hier ist in der Vergangenheit so viel passiert, dass es der fruchtbarste Boden für Projekte dieser Art ist. Hier werden wir gebraucht. Vor allem die Kids brauchen uns.
Welche Potentiale siehst du auf dem deutschsprachigen Markt?
LENI: Ich sehe soviel Potential und so viel Arbeit. 🙂 Wir müssen beginnen zu verstehen, dass Zusammenarbeit Key ist. Und wir Professionals und Experten/innen in den verschiedensten Bereichen benötigen. Deswegen gibt es KOTD. Wir werden Menschen weiter inspirieren ihr volles Potenzial auszuschöpfen.
CHERRELLE: Das funktioniert wirklich nur mit United Power und man muss es selbst machen.
Es wäre falsch vom bestehenden Markt zu erwarten, dass er sich um die Bedürfnisse der Schwarzen kümmert. Die Fadenzieher*innen sind nun mal selbst nicht Schwarz. Noch nicht.
Gibt es ein Schwarzes Female Unternehmen, zu dem du aufblickst?
LENI: Ich liebe die Filmemacherin Melina Matsoukas. Für mich ist sie ein Powerhouse, die mich seit vielen Jahren inspiriert. Aurora James ist ein ganzer Vibe! Ich liebe ihre Marke Brother Vellies. Und definitiv Sarah Diouf von Tongoro Studios.
CHERRELLE: That´s my chance to say Kids of the Diaspora! 🙂
Gib deinen Senf dazu!
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.