Lasst uns nappy redefinieren!
Voller Eifer spielte ich. Meine kleinen Afrolocken bahnten sich einen Weg aus dem mit viel Hingabe gekämmten Haarband meiner Mutter. Kleine Löckchen kräuselten sich hinaus, strebten nach Freiheit. Meine Haare standen wirr ab, doch das war mir als Kind egal. Mir war es egal, wie sie aussahen, wie ich aussah, denn ich tauchte tief in meine kleine Fantasiewelt ein. Das war alles, was zählte. Die Stimme meiner Mutter zog mich aus meiner Imagination. Sie drehte sich erschrocken zu mir um und sagte: “Ciani! Wie sehen denn deine Haare wieder aus? Lass mich dein nappy Hair machen. Komm her!” Da war es. Das Wort: nappy. Für mich der Inbegriff für schlechte Haare, böse Haare, trockene, unzähmbare Haare. Einige Jahre danach entdeckte ich das Wort auf Netflix wieder. In Nappily Ever After. Romantisch, schön, gar empowernd. Nicht abwertend oder negativ. Dann entdeckte ich ihn erneut, während des Interviews mit Dr. Stephania zu ihrer “Miss Nappy Hair Wahl”, in Beyonces Brown Skin Girl und in spannenden Artikeln, wie unter anderem von allure-Redakteurin Noel Cymone Walker, die unterschiedliche Natural-Hair-Aktivistinnen interviewte und feststellte: Es gibt einen Trend. Einen Prozess des Reclaiming, der Redefinition, indem nappy, als eine Begrifflichkeit verwendet wird, um die afro-texturierten Haare zu beschreiben, statt sie abzuwerten oder zu negieren.
Ein sehr sehenswerter Videobeitrag von der Bloggerin GEM Naturals.
Kurzer Exkurs: Woher stammt das Wort “Serviettchen”?
Vorweg, der Ursprung des Begriffes ist komplex und es gibt unterschiedliche Theorien. In einem sind sich die diversen Meinungen allerdings einig: Die Geschichte des Wortes begann mit der Ankunft der ersten Sklavenschiffe an den Küsten Amerikas im 17. Jahrhundert. Eine Ursprungsidee hängt mit dem US-amerikanischen Wort für Serviette zusammen – napkin. Es wurde verwendet, um die gekräuselten Fäden zu beschreiben, die sich von einem damaligen Stück Stoff abhoben. Es gibt viele Spekulationen darüber, dass nappy, beziehungsweise Serviettchen, als eine abfällige Redewendung für die
Fältchen und Knicke in den Haaren der versklavten AfrikanerInnen verwendet wurde. Darüber hinaus kursiert eine weitere Verbindung zu den Baumwollfeldern. Unabhängig vom Ursprung des Begriffes, ist insbesondere die Intention dahinter wichtig. Die Abfälligkeit in dieser Beschreibung hängt stark mit dem Bestreben der damaligen Europäer zusammen, ihre eigene Dominanz und Überlegenheit zu rationalisieren, indem sie den Phänotyp von Schwarzen Menschen negierten. Lange Rede und ein knackiges Fazit: Diese negative Assoziation besteht seit Jahrhunderten an. Bis heute in der Popkultur, in den Medien und auch in unseren Bezeichnungen untereinander.
Eine wirklich tolle Doku zu diesem Thema ist: #reclaimingnappyhair.
Nappy in Deutschland?
“Für mich hat das Wort eher eine negative Bedeutung, weil ich nappy immer nur in Verbindung mit kraus oder wirr gehört und gelesen habe und ja eigentlich alles dafür tun möchte, dass meine Haare gepflegt und nach viel Feuchtigkeit aussehen, statt kraus. Ich verwende das Wort deswegen nicht selbst,” so Nadine, 24 aus Mainz. Bei Penelope aus Köln sieht es ganz anders aus: “Den Begriff nappy kenne ich von zu Hause. Mein Vater nannte mich immer ‘nappy head‘, wenn ich morgens zerzaust aussah oder es an der Zeit war, meine Braids neu zu machen. Ich habe das aber als liebevolles Necken aufgefasst. Es gibt auch einen Song aus Motown-Zeiten, in denen Stevie Wonder (oder war es Marvin Gaye?) sich selbst als ‘nappy headed boy‘ bezeichnet. Für mich ist das eher eine liebevoll aufziehende Bezeichnung von Eltern für ihre Kinder. Es hatte für mich nie eine negative Konnotation.” Pamican ist dem Begriff im Alltag weniger begegnet. “Ich habe bisher keine weiteren Erfahrungen mit dem Begriff gemacht und bin der Meinung, das Volk macht die Sprache, indem sie sie nutzt. Ich denke die Konnotation sollte sich natürlich entwickeln und jede*r, wird jemals dasselbe unter einem Wort verstehen.
Dazu sind wir nicht gemacht, als Menschen,” so Pamican, 31 Jahre alt. Auch bei den RosaMag-InstagramerInnen haben wir eine kleine Umfrage durchgeführt. So ist die Community unentschlossen, ob sie den Begriff als negativ oder positiv ansieht. Das Ergebnis war 50 zu 50, allerdings möchte über die Hälfte nicht, dass ihre* eigenen Haare als nappy bezeichnet werden, was dann doch eine ziemlich klare Aussage ist. Pamican ist sich sicher: “Ganz wichtig ist, wie man etwas sagt! Das macht den extra Unterschied!” In den USA gibt es eine kleine Bewegung, mit dem Ziel, den Begriff für sich zurückzugewinnen, wie unter anderem die Schriftstellerin Trisha R. Thomas, Autorin des Buch “Nappily Ever After”. In dem Beitrag “The Racial Roots Behind The Term ‚Nappy‘” erklärt sie, wie viel Widerstand sie aus der Community erhielt, als sie sich entschloss diesen Begriff zu redefinieren und in dem Titel ihres Romans zu setzen. Die Natural-Hair-Bewegung verwendet nappy auch, um die eigenen Afrohaare zu zelebrieren und es gibt sogar eine Dokumentation, die der #reclaimingnappyhair Frage nachgeht.
Die RosaMag-InstagramerInnen sind sich einig: Sie möchten nicht, dass ihre eigenen Haare, als nappy bezeichnet werden.
“Ich habe das Wort zuerst in amerikanischen Songs gehört. T-Pain singt zum Beispiel nappy girl, but pretty girl. Danach bin ich öfter darauf gestoßen, als ich nach Frisuren gesucht habe, die man mit Kunsthaar selbermachen kann,” so Nadine, 24 aus Mainz. Auch Beyonces Song “Brown Girl” greift das Wort auf, welches viele RosaMag-NutzerInnen auf Instagram, als Kontext, in dem sie den Begriff gehört haben, nannten.
“I love everything about you, from your nappy curls, To every single curve, your body natural.”
Darin sieht eine weitere NutzerIn ein großes Problem. “Die Bezeichnung hat in unserem deutschen Kontext keine Bedeutung”, erklärt sie. “Dieses Problem haben wir im afrodeutschen Diskurs oft,” fügt sie hinzu und reißt ein Thema an, welches einen ganz eigenen Artikel, nein sogar eine Reportage bedarf. Können wir Begriffe aus dem US-amerikanischen Kontext ungefiltert, undebattiert auf den deutschen transferieren?
Redefinition ist empowernd
Doch das Wort ist bereits im Wandel, so die 28-jährige Penelope aus Köln: “Vor einiger Zeit stieß ich auf der Suche nach einem Kinderbuch für meine Nichte, das ihr Selbstbewusstsein als Schwarzes Mädchen stärken soll, auf Bell Hooks „Happy to be Nappy“. Da hat das Wort für mich wieder eine positive Erinnerung hervorgerufen. Ich verwende ihn aktuell (noch) nicht selbst, bin aber absolut Team reclaimen!” Auch Simone aus München sieht einen Wandel in eine positive Richtung. Vor kurzem verfasste die 28-jährige im Zuge einer Seminararbeit ein Essay dazu: “Das sich überhaupt eine Diskussion zu der Begrifflichkeit und der Geschichte dahinter entwickelt, ist auf jeden fall schon sehr positiv!”
Wenn ich darüber nachdenke und mich auf all die Momente zurückbesinne, in denen mir das Wort “nappy” entgegen geschleudert wurde, stelle ich fest: Das waren alles Augenblicke in meinem Leben, wo meine Haare frei waren. In denen sie nicht in eine Box passten oder “gezähmt” wurden. Das sage ich, als eine Frau mit einer Haarstruktur von 3b! Liebe Rosellas dort draußen: Es ist an der Zeit, dass wir das Wort nappy redefinieren. Es gehört uns und wir haben die Macht, den Begriff für uns neu zu definieren.
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