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Nura Habib Omer: „Das Letzte, was du hören möchtest, wenn du es geschafft hast zu fliehen, ist: Verpiss dich zurück nach Hause.”

Fotocredit: Johanna Ghebray

Im Gespräch mit Rapperin, Sängerin und Musikerin Nura Habib Omer 

Von der Punkerin zur gefeierten Rapqueen: Nura Habib Omer wurde als Teil des Rap-Duos SXTN deutschlandweit berühmt. Nach der Trennung veröffentlichte sie 2019 ihr erstes Soloalbum „Habibi“ und stieg mit Songs wie „SOS“ und „Chaya“ in die deutschen Charts ein. 

Mit „Weißt du, was ich meine“ ist am Freitag außerdem ihr erstes Buch erschienen, eine Autobiografie. In dieser erzählt Nura aus ihrem sehr bewegten Leben. Sie spricht von der Flucht ihrer Familie aus Kuwait, vom Aufwachsen in Wuppertal, vom Bruch mit ihrer Mutter, als sie 13 Jahre alt war und in ein betreutes Wohnheim zog und von der Versöhnung Jahre später.

Im Gespräch mit RosaMag spricht die Rapperin darüber, wie es sich anfühlt, wenn man versucht mehrere Identitäten gleichzeitig miteinander zu vereinbaren. Sie erzählt von ihrer ersten Reise nach Eritrea als Teenagerin und erklärt, warum ihr Umzug nach Berlin ein Befreiungsschlag für sie war. Außerdem erzählt Nura, warum sie mit halbherzigen Black Lives Matter Bekundungen anderer Rapper*innen auf Instagram nichts anfangen kann. 

In Weißt du, was ich meine erzählst du aus deinem sehr bewegten Leben und lässt deine Fans Teil deiner Geschichte werden. Für wen hast du das Buch geschrieben?

Das Buch ist für mich, aber auch für meine Family und für meine Nachfahren. Sie sollen nachlesen können, wie schwer wir es hatten. Vielleicht hilft es ihnen auch, damit sie es leichter haben. Meine kleine Nichte wächst zum Beispiel schon ganz anders auf als ich. Sie soll aber nicht vergessen, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Ich hätte auch ganz woanders landen können.

Du beschreibst im ersten Teil eure Flucht aus Kuwait und wie ihr in Deutschland von einem Asylheim zum anderen gezogen seid. Wolltest du Leute auch darüber aufklären, was für ein Struggle das für Geflüchtete wirklich ist?

Für die meisten Leute ist ja der Weg zum Bürger*innenamt schon ‘ne krasse Belastung. Die können sich überhaupt nicht vorstellen, wie das bei der Ausländer*innenbehörde ist, wo kein Schwein dir hilft, du nicht richtig Deutsch kannst und tausend Zettel ausfüllen musst. Ich will, dass die Leute mehr Verständnis dafür haben und mehr Empathie gegenüber Geflüchteten zeigen. Das Letzte, was du hören möchtest, wenn du es irgendwie geschafft hast zu fliehen, ist: “Verpiss dich zurück nach Hause.”

Dem deutschen Pass und den Privilegien, die er mit sich bringt, hast du ein ganzes Kapitel gewidmet. Kannst du noch mal erklären, welche Rolle er für dich spielt?

Er hat in meinem Leben eine riesige Rolle gespielt und tut es noch heute. Zum Beispiel, als ich vor zwei, drei Jahren das erste Mal mit Freund*innen in den Urlaub wollte. Nach Malle, wie ne richtige Deutsche. Allein dafür müsste ich eigentlich schon den deutschen Pass bekommen.

Meine Freund*innen sind damals alle easy durch die Passkontrolle gekommen. Bei mir haben sie gefragt, ob der echt sei und, ob es das Land wirklich gibt. Man fühlt sich dann ein bisschen, wie als wenn man im Bus säße und kein Ticket hätte. Das kommt viel Angst dazu. Auch Familie woanders zu besuchen ist schwierig. Ich hab Verwandte in den USA, die habe ich noch nie besucht. Mit einem deutschen Pass könnte ich das locker machen.

Das verstehen viele Leute nicht, die von Geburt an den deutschen Pass hatten.

Die checken das null. Urlaubsplanung mit Freund*innen ist für mich schwierig. Wenn sie irgendwo hinfliegen wollen und ich dann sagen muss, dass ich da nicht hinkann. Sobald der Ort außerhalb Europas liegt, wird es nämlich kompliziert. Ich muss mich dann um ein Visum bewerben. Das kann auch abgelehnt werden. Meine beste Freundin lebt in Australien. Ich wollte sie 2018 besuchen fliegen, aber die haben mir kein Visum gegeben.

Nura Habib

Fotocredit: Johanna Ghebray

Im Buch sprichst du darüber, wie schön es für dich war als Teenagerin das erste Mal nach Eritrea zu reisen und die Kultur Vorort kennenzulernen.

Dieser Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr die einzige Schwarze bin, war krass. Ich war plötzlich in einem Land, in dem ich wirklich zum Team gehörte. Ich hatte früher mega die Identitätskrise, weil ich nicht wusste, wo ich hingehöre. Die Araber*innen in der Koranschule haben mich gefragt, warum ich Schwarz bin und die eritreische Community hat sich gewundert, warum ich nur arabisch und kein Tigrinya spreche. Als Kind möchtest du wissen, zu welchem Team du gehörst.

Ist das etwas, das du jungen Schwarzen Personen in Deutschland raten würdest?

Absolut. In Eritrea war ich das erste Mal nicht mehr die Ausländerin. Für mich war es einfach geil, nicht aufzufallen und es hat mich total gefreut zu sehen, wo ich herkomme. In Eritrea gibt es viel Armut, aber es ist ein tolles, ein schönes Land.

Du erwähnst auch viel die eritreische Community, die euch geholfen hat, als ihr nach Deutschland gekommen seid. Wie würdest du den Zusammenhalt in der Community beschreiben?

In der eritreischen Community kümmert man sich um die Neuankömmlinge, koste es, was es wolle. Meine Mutter und meine Oma sind schon immer für alle da gewesen, die Hilfe brauchen und stecken da unglaublich viel Effort rein. Die päppeln die Leute wirklich auf, bis sie einen eigenen Beruf haben oder sich um sich selbst kümmern können.

Hast du das Gefühl, dass die Community die Aufgaben übernimmt, um die sich eigentlich der deutsche Staat kümmern sollte?

Auf jeden Fall. So einen Support, wünscht man sich eigentlich vom Staat. Aber natürlich will sich hier keine*r darum kümmern. Das sind ja keine Deutschen, die kommen. Beziehungsweise vielleicht wird sich gekümmert, aber immer mit dem Ziel die Leute irgendwann in ihre Heimat zurückzuschicken.

Nura-Habib-Familie

Nura mit ihrer Familie. Fotocredit: Privat

An einer Stelle schreibst du: “Wenn man neu in dieses Land kommt, hat man mit so vielen Fragen in Bezug auf seine Identität und die Gesellschaft zu kämpfen, dass es nicht hilft, wenn man diese Krisen auch auf seine familiäre Identität hat” Kannst du beschreiben, mit welchen Identitäten zu du kämpfen hattest?

Ich sollte dieses muslimische, gläubige Kind sein, was ich nicht war. Dann kamen noch Habescha-Nura und Araberin-Nura dazu und zeitgleich war ich lange Punkerin- Nura. Das war für mich alles schwer zu vereinbaren. Ich habe mich lange gefragt, wo ich hingehöre. Das sagt dir ja auch keine*r. Im Vergleich zu meinen Geschwistern habe ich auch mehr gestruggelt, weil die angepasster waren als ich. Die haben Hip-Hop gefeiert. Das hat zum Bild der Schwarzen gepasst. Ich bin schon allein mit dem Punk angeeckt, habe am liebsten Linkin Park, System of a Down und Slipknot gehört und dazu Nietenhalsbänder getragen.

Wie haben die Leute in Wuppertal auf dich reagiert?

Als Schwarze Punkerin wurde ich natürlich mehr angeglotzt als meine weißen Freund*innen. Bei Laura war es normal, dass sie auf Rockmusik steht. Bei mir kamen die Leute nicht drauf klar. Und warum? Wegen meiner Hautfarbe. Das geht seit meiner Kindheit so, dass ich mich für Sachen, die angeblich nicht typisch für Schwarze sind, rechtfertigen muss.

Was hat das mit dir gemacht?

Ich hasse Schubladendenken, deshalb mag ich es auch nicht mit Leuten verglichen zu werden. Die sind nicht denselben Weg gegangen wie ich. Zu mir selbst sage ich immer: “Nura, du hast alles erreicht in deinem Leben.” Eine andere Person kann auf meine Karriere schauen und sich denken, dass da ein Nummer-1-Hit fehlt. Das ist mir aber scheißegal. In deren Welt habe ich vielleicht nichts erreicht. Was zählt, ist aber, wie ich zu mir stehe. Ich weiß, dass ich auch woanders hätte landen können. Also, lass mich doch meinen Nummer-80- Hit feiern. Ich bin in den fucking deutschen Charts. In hundert Jahren kann man meinen Namen dort immer noch lesen. Das ist nicht normal für eine Schwarze Frau mit muslimischem Background, die Teil der LGBTQIA Community ist.

Und deine eigene Community. Wie ist die mit dir umgegangen?

Der eritreischen Community in Wuppertal war ich sehr peinlich. Ich habe dort keine eritreischen Freundinnen gehabt. Für die habe ich nicht richtig dazugehört. Ich war die mit den schwarzen Klamotten, dem Nietenhalsband und dem Piercing, die nur arabisch sprechen konnte. Das hat nicht gepasst.

Nura Habib

Fotocredit: Johanna Ghebray

Du erzählst auch, wie du nach Berlin gezogen bist und Teil der Electro-Punk-Band The toten Crackhuren im Kofferraum wurdest. War der Umzug eine Art Befreiungsschlag für dich?

Einhundert Prozent. Für mich hat Berlin Freiheit bedeutet. Es hat endlich niemanden mehr interessiert, was ich mache. Ich konnte komplett untertauchen. Wenn Leute ständig über dich reden und dich bei deiner Familie verpetzen, wenn deine Familie jeden deiner Schritte kennt, bevor du sie überhaupt machen kannst, ist das belastend. Auch wenn ich mich vorher nicht verstellt habe, es war anstrengend.

Deshalb finde es auch blöd, dass manche Leute sagen, Berlin braucht keine Touris und so. Vielleicht brauchen aber Menschen Berlin und die Freiheit. Und du willst sie ihnen nicht geben, weil sie keine gebürtigen Berliner*innen sind? Viele wissen gar nicht, wie viel Berlin uns Leuten, die geflüchtet sind bedeutet. Und ich sage extra geflüchtet, weil ich mein Leben lang geflüchtet bin.

Du hast es schon gesagt, du musstest immer versuchen verschiedene Identitäten miteinander vereinbaren. Du bist auch Teil der LGBTQIA Community. Fragen dich Fans nach Rat, wie sie mit ihren Identitäten umgehen sollen?

Viele fragen mich, was sie mit ihrer Familie machen können. Sie fragen mich, ob sie auch wegrennen sollen. Ich muss dann immer erklären, dass ich das nicht beurteilen kann, weil ich ihre Familien nicht kenne. Auch kennen die Leute nicht meine ganze Geschichte. Meine Mutter hat mich nicht plötzlich unterstützt, weil ich Kohle gemacht habe. Es war ein langer Prozess.

Deswegen sage ich meinen Fans immer, bevor du wegrennst, versuch mit deinen Eltern zu sprechen, erkläre ihnen, wie du dich fühlst. Natürlich sollen sie sich nicht vor ihren Eltern outen, wenn das gefährlich ist. Das kann ich über Instagram nicht einschätzen, aber ich will auch, dass alle in Freiheit leben.

Du äußerst dich ja auch oft in den sozialen Medien dazu.

Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass die Unterdrückung der sexuellen Orientierung mit der Religion gerechtfertigt wird. Und damit meine ich nicht nur den Islam. Das passiert auch im Christentum oder im Judentum. Leute lügen sich selber an, um anderen zu gefallen. Man muss sich ständig verstellen. Bei der Vorstellung bekomme ich Aggressionen. Für viele gibt es nur zwei Optionen: Entweder du gehst den Weg der Freiheit, verwirklichst dich und bist du selbst, oder du lebst das Leben, das dir vorgegeben wird und behältst deine Familie.

Lass uns noch ein bisschen über die deutsche Rapszene sprechen. Es gibt von Schwarzen Rapper*innen Vorwürfe, dass nicht- Schwarze Rapper*innen mit einem Schwarzen Sound in Deutschland Cash machen. Wie siehst du die Situation?

Wer sich Sachen aneignet, sollte das wenigstens mit einem Bewusstsein dafür machen, was die Kultur, von der man klaut, eigentlich schon durchgemacht hat. Auf meinem neuen Album habe ich eine Line, da sag’ ich: “Meine Hautfarbe bleibt Trend, bis du das Blaulicht siehst und rennst”. Das war mir extrem wichtig. Stichwort: Black Lives Matter. Ich habe vor ein paar Wochen ganz viele gesehen, die auf Instagram das schwarze Viereck gepostet haben oder, die mit einem Demoschild auf Fotos in die Ferne geschaut haben, Malcolm X Style. Das sind dann genau die Leute, die nach der Demo ihr Schild einfach irgendwo in die Ecke werfen. Ich weiß, dass ich das Ding nächste Woche noch brauche, deshalb nehm’ ich’s mit nach Hause.

Viele Künstler*innen denken, dass es reicht, wenn sie ein paar schlaue Sprüche und Black Lives Matter posten und lassen sich dann von ihren weißen Fans dafür feiern. Das machen sie aber nicht für uns. Die haben das gemacht, damit die Leute ihnen sagen: “Wow, voll cool, dass du dir deiner Privilegien bewusst bist und, dass du den Leuten hilfst.” Sie leben in einer Fantasiewelt und bedienen sich Hardcore an unserer Kultur, um damit Kohle zu machen. Für die Community sind sie aber nicht da, wenn’s drauf ankommt.

 

Celia-Parbey

Celia

Celia macht derzeit ihren Master an der Humboldt Universität zu Berlin und arbeitet nebenbei als freie Autorin für verschiedene Online- und Printmagazine. Bei RosaMag kümmert sie sich um das Ressort Menschen und interviewt dafür spannende Schwarze Persönlichkeiten aus Deutschland und der Welt.

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