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Oury Jalloh

Oury Jalloh: Liebe Mitmenschen, wo ist die Empörung?

Ein offener Brief an die Schwarze Community – Empört euch!

Liebe Afrodeutsche Community,

Ich bin richtig sauer und geschockt. Vor einer Woche verkündeten die Grünen, die Linken und die SPD in Sachsen-Anhalt, dass es vorerst keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Oury Jalloh geben wird. Es sind nun 16 Jahre her, seitdem Oury Jalloh in der Zelle des Polizeireviers in Dessau unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen ist. Eigentlich sollten wir alle empört sein.

Dieses Urteil ist nicht nur für Oury Jalloh und seine Hinterbliebenen ein vernichtendes Verdikt. Es ist ein Signal. Einerseits an die weiße Mehrheitsgesellschaft, die lernt: Man kann mit Schwarzen Menschen alles machen – ohne Konsequenzen. Die Botschaft an Schwarze Menschen lautet: Eure Leben sind nicht so wichtig. Wo bleibt die Empörung? Warum sind nicht alle außer sich vor Wut! Ich bin es. Daher habe ich fünf Gründe aufgeschrieben,  warum auch ihr rasend sein solltet: 

1) Das Framing des gefährlichen Schwarzen Mannes – again

Oury Jalloh soll der Täter sein. Die Gründe lauten, dass er unter Kokain- und Alkoholeinfluss zwei Frauen „belästigt“ haben soll, sich nicht „richtig ausweisen haben können“ und letztlich hat er den Brand in seiner Zelle selbst gelegt. Das Narrativ des „aggressiven schwarzen Mannes“ ging ihm Voraus. Dieses Bild beeinflusst nicht nur Schwarze Männer, sondern auch People of Color als auch Women. Ich denke an Christy Schwundek, die im Jobcenter Frankfurt von einer Polizistin erschossen wurde und ich denke an Ndeye F.,die nach einem angeblichen Ehestreit von Polizisten tödlich erschossen wurde. Sie alle wurden zu Tätern, statt Opfern. Es war letzten Endes die Legitimation für Verhaftung und tödliche Schüsse, durch die Polizei.

Das bedeutet: Auch du kannst von der Polizei erschossen werden, sobald du als „gefährliche schwarze Person“ eingestuft wirst. Wir sind alle Oury Jalloh. Polizeigewalt ist kein US-Ding. Es passiert auch hier vor Ort in Deutschland.

2) Oury Jalloh wäre heute noch vermutlich am Leben – hätte die Polizei ihn nicht mitgenommen

Die beiden Sonderbeauftragte des Landtags Sachsen-Anhalts – Jerzy Montag und Manfred Nützel –  veröffentlichten einen 303-seitigen Bericht. Das Urteil ist vernichtend. Es ist die Rede von Fehlverhalten Seitens der Polizei und ihr Fazit lautet: Oury Jallohs Tod hätte verhindert werden können. Wenn es beispielsweise eine anständige Personenkontrolle gegeben hätte. Die Polizei durfte ihn eigentlich nicht mitnehmen. Die Verhaftung sei Freiheitsentzug gewesen. Letztendlich wurde Oury Jalloh in eine Zelle gesperrt, aus der er nicht mehr herauskam.

Oury Jalloh

3) Es war kein Rassismus. Also, das konnte zumindest nicht bewiesen werden – again

Es konnte kein Fehlverhalten der Polizei auf der Grundlage von Alltagsrassismus bewiesen werden,  dennoch liegt eindeutiges Fehlverhalten vor, laut dem unabhängigen Gutachten. Die Fehler sind desaströs. Wenn Oury Jalloh sich selbst angezündet hat, warum ist dann keine DNA von ihm auf dem Feuerzeug? Dieses war, sehr lange verschwunden und als es dann aufgetaucht ist, gab es keine Spuren. Also, überhaupt keine. Auch die Asche von Feuer ist leider nicht mehr auffindbar. Eines ist klar: Es gibt keine Antworten, solange die Personen, die die Möglichkeit hätten, diese zu liefern, es nicht möchten.

4) Der unabhängige Bericht, der die schlampige Polizeiarbeit aufgedeckt hat, durfte nicht als Beweis im Prozess aufgeführt werden

Es ist nämlich so: Solange der zuständige Richter eines Prozesses ein Dokument nicht als juristisches Beweismaterial anerkennt, existiert es quasi nicht. Das unabhängige Gutachten der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, zeigt auf seinen 300 Seiten zwar, dass es viele Fehler im Fall von Oury Jalloh gab, aber es bringt uns ziemlich zero, denn vor Gericht dürfen diese Ergebnisse nicht diskutiert werden.

5) Wie kann ein Mensch in einer staatlichen Institution verbrennen?

Ein Mensch ist in einer staatlichen Institution verstorben. Verbrannt. Wie kann das überhaupt möglich sein? Wir können nicht beweisen, ob Oury Jalloh ermordet wurde. Aber auch nicht, ob er selbst für das Feuer verantwortlich war. Wenn es Mord war, ist der Gedanke extrem gruselig, dass Personen ohne jegliche Konsequenzen durch die Gegend laufen können, die einen Menschen einfach in Brand gesteckt haben. Unabhängig davon, ist die Dessauer Polizei verantwortlich, weil sie Oury Jalloh – ohne jegliche handhabe – mitnahmen. In der Realität will niemand für diesen Vorfall gerade stehen und das vermutliche Opfer soll der Brandleger sein. Praktisch, wenn er sich nicht mehr rechtfertigen kann.

Fazit: Es gibt keine Antworten. Keine Gerechtigkeit. Viel mehr gibt es Signale

Bis zur nächsten Legislaturperiode könne man erstmal nichts tun, heißt es laut der SPD Sachsen-Anhalt. Wahlkampf steht halt an. Dieses Urteil ist schmerzhaft. Für mich sind das klare Zeichen an die Nicht-Weisse Bevölkerung: „Nicht-Weisse Leben zählen nicht.“ Dabei dachte ich, nach Georg Floyd und der Berichterstattung über Rassismus vor Ort in Deutschland, würde sich auch hier zu Lande etwas verändern. Ich habe mich geirrt. Trotzdem glaube ich an Gerechtigkeit und Aufklärung. Aber nur solange wir uns dafür einsetzen. Wenn wir jetzt einschlafen, wird es nichts. Wir dürfen Oury Jalloh nicht vergessen. Mord jährt nicht. Wir werden seinen Namen schreien. Wir werden weiter demonstrieren. Wir müssen weiterhin stark bleiben. Damit wir eines Tages in einem Land leben, in dem die Justiz auch auf der Seite von Schwarzen Menschen ist.

maimouna

Maimouna

Maimouna Jah ist Mutter, Afrikanistin, Ethnologin, freie Autorin, Lyrikerin und Sängerin. Sie wurde 1990 in Frankfurt am Main geboren und absolvierte Oktober 2016 ihren B.A. in Afrikanistik und historische Ethnologie. In Ihrem Studium beschäftigte sie sich mit der Systemlinguistik in Afrikanischen Sprachen, sowie Soziolinguistik und postkoloniale Theorie. In ihrer Abschlussarbeit schrieb sie über „Talking Drums in Afrika“ und erforscht derzeit die Sabar-Trommelsprache, der Wolof aus Senegal und Gambia. Sie arbeitet als freie Deutschdozentin, macht ihren M.A. in Afrikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und zieht ihren Sohn groß. Bei RosaMag ist sie für Locspflege, Mutterschaft und Selfcare zuständig.

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