Relaxed don´t do it
Letztes Jahr war es soweit. Ich feierte mein 17. Jubiläum. 17 Jahre relaxte Haare. 17 Jahre alle drei Monate auf dem Badezimmerboden meiner Mutter sitzen und die Torturen einer perfekten glatten Mähne über mich ergehen lassen. 17 Jahre lang mich selbst verstecken und wie ich heute realisiere: 17 Jahre lang nicht zugeben, dass ich schwarz bin.
In die glatte, weiße Welt passen
Alles begann, als ich mit 11 Jahren wütend zu meiner Mutter gelaufen kam. Ich bettelte sie an, dass sie mir die Haare chemisch glättet. Bereits als junges Mädchen wusste ich, dass meine Afrolocken eine Angriffsfläche waren. Sie polarisierten und sind das Symbol, warum ich nicht in die weiße, glatte Oberfläche Deutschlands hinein passe. Der Alltagsrassismus und die politischen Themen waren auf meinen jungen 11-jährigen Schultern einfach zu schwer. Glatte Haare waren für mich eine Abkürzung. Viel später stellte ich fest, dass sie in Wahrheit eine Einbahnstraße waren. Natürlich befreiten mich meine glatten Haare nicht vor den Auseinandersetzungen, denen sich eine schwarz-deutsche Frau stellen muss. Sie änderten vielleicht ein Merkmal meines äußeren Erscheinungsbildes, doch nicht die Welt in der ich lebte.
Das erste Mal relaxed sein
Da waren sie nun. Glatt. Stolz und befreit betrachtete ich die platten Haare mit meinen unschuldigen Kinderaugen. Meine Kopfhaut brannte und es zeichneten sich kleine braun-rote Krusten von den Verbrennungen der Prozedur entlang meiner Stirn und meinem Nacken ab. Das ignorierte ich natürlich. Auch blickte ich darüber hinweg, dass meine Haare sich wie Reispapier anfühlten. Nach dem Relaxen begann die Fütterungsphase. Zig Produkte und Sprays, die Pinklotion und all die teuren und eigentlich schädigenden Stoffe, die ich teilweise alle drei Stunden auf meine Kopfhaut schmierte. Meine Haare waren hungrig und saugten alles auf. Sie waren niemals satt und ich auch nicht. Ich fummelte an ihnen pausenlos herum. Richten, vollsprayen, kämmen. Es war meine allumfassende Welt und egal wie viel Energie, Geld und Zeit ich hinein steckte: Sie waren nie so, wie ich sie wollte. Sie waren eben nie lang, glatt. Sie waren nie weiß.
Wie ich mich fast zwei Jahrzehnte nicht kannte
Meine Teeniephase verging und selbst mit Anfang 20 besuchte ich regelmäßig den Badezimmerboden meiner Mutter und wir starteten unser Relaxing-Ritual. Obwohl mir meine Freunde und auch meine Familie Mut zu sprachen und betonten, wie schön meine natürlichen Locken doch aussehen, hielt ich an meinen alten Mustern fest. Teilweise aus Gewohnheit, teilweise weil ich mir einredete, dass der Umgang mit relaxeten Haaren leichter wäre, als mit Afrolocken, doch vor allem, weil ich mich nicht mit dem Schwarzsein auseinandersetzen wollte. Rassismus? Kenne ich nicht? Ich passte mich der weißen Welt an. Mit meinen glatten Haaren, meinem Master in politischer Kommunikation, mit meinen zig Praktikas in deutschen Redaktionen, mit meinem über die schnippigen Witze oder Kommentare hinweg blicken. Ich wollte ja nicht empfindlich sein. Ich passte mich so sehr an, dass ich mich komplett unterdrückte. So sehr, dass ich sogar in eine Essstörung taummelte. Doch alles war gut. Immer wieder glättet ich all meine Sorgen weg. Locke für Locke. Vor einem Jahr änderte ich dieses Muster. Ich sah ein unschuldiges Video auf Youtube zum Thema Lockentypen. Dabei sagte das junge Mädchen in die Kamera: “Wenn du jahrelang deine Haare relaxt, weiß du gar nicht, was für ein Lockentyp du bist.” Da war es. Die Realisierung. Die Wahrheit. Ich hatte keine Ahnung, wer ich bin.
Ob glatt oder gelockt – Rassismus begegnet afrodeutschen Frauen trotzdem
Also entschloss ich mich dazu, es herauszufinden. Ich bereitete mich vor und las Artikel über Artikel von der sogenannten Transitionphase, das Herauswachsen von chemisch behandelten Haaren. Doch ehrlich gestanden: Es war kinderleicht und sogar befreiend. Locke für Locke kamen meine natürlichen Haare zum Vorschein und ich fühlte mich: Lebendig. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass ich wirklich ich bin! Wenn ich noch einmal zurück zu meinem 11-jährigen Ich gehen könnte, würde ich sie in den Arm nehmen, ihr von dem gesellschaftlichen Druck einer Frau erzählen. Ich würde ihr tief in die Augen gucken und erklären, dass wir Rassismus mit glatten, lockigen, geflochtenen, ja sogar mit einer Glatze begegnen. Heute weiß ich, dass die Lösung gegen Alltagsrassismus nicht mit einer Tube voll Chemie gelöst werden kann. Statt ewig einem Bild gerecht zu werden, dass ich niemals erfüllen konnte, verschwendete ich Jahre damit meine Gesundheit zu schädigen, viel zu viel Geld auszugeben und meine Zeit zu verplempern. Heute blicke ich den Problemen entgegen und schreibe meine Meinung, wie jetzt gerade. Ich möchte alle Frauen davor bewahren und sage: Relaxed, don´t do it!
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