Sabrina Strings: “Die Verwendung eines einzigen BMI-Standards ist rassistisch”
Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir mit Sabrina Strings über den Body Mass Index oder kurz BMI. Der BMI ist ein statistischer Richtwert, der das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße misst. Je nach Wert ordnet er Menschen in sogenanntes Unter-, Normal- und Übergewicht ein. Im Gespräch erklärt die Professorin, welches System hinter dem Richtwert steht, wer für seine Verbreitung verantwortlich ist und warum vor allem Schwarze Frauen darunter leiden.
Im Kapitel „Fat, revisited“ entlarven Sie den Mythos, dass der Body Mass Index ein angemessener Indikator für die Gesundheit einer Person ist. Können sie erklären, warum er als Richtwert nicht funktioniert?
Obwohl die Medizin die Standards der Versicherungsbranche übernahm, gab es seit dem frühen 20. Jahrhundert mehrere Ärzt*innen, die sich gegen diese Ideen aussprachen. Sie wollten nicht, dass Versicherungsunternehmen vorschreiben, was als gesundes Gewicht gilt. Ein Arzt, der sich den Versicherungsgesellschaften widersetzte, war Ancel Keys. Er schlug vor, eine andere Gewichtsnorm zu entwickeln, um sich der Versicherungsbranche zu widersetzen: den Body Mass Index. Ein Begriff, der im 19. Jahrhundert geprägt, aber ursprünglich nicht zur Messung individuellen Gewichts verwendet wurde. Faszinierend ist, dass bei der Untersuchung historischer Aufzeichnungen deutlich wird, dass Ancel Keys wusste, dass der BMI willkürlich ist. Er institutionalisierte wissentlich einen willkürlichen Standard.
Warum ist der BMI willkürlich?
Das zeigt sich nicht nur daran, dass Ancel Keys und andere Ärzt*innen es eingestanden, sondern auch, weil sich die BMI-Standards über die Jahre erheblich geändert haben. An einem Punkt wurde ein BMI von 27 als gesund eingestuft, dann von 27,3 auf 25 und so weiter. Für jede Änderung wurden jedoch kaum bis gar keine Gründe angegeben. Viele Ärzt*innen glaubten, sie könnten damit den Gesundheitszustand einer Person einschätzen. Deshalb ermutigten sie die Menschen, sich nach dem BMI zu richten. Heutzutage verstehen wir die Nachteile der Verwendung des BMIs. Er stigmatisiert Menschen und trägt zu schlechteren Gesundheitsergebnissen bei. Es gibt trotzdem noch viele Menschen in der Medizin und auch im Gesundheitswesen, die den BMI verwenden. Sobald einmal ein Mittel zur Verwaltung von Bevölkerungen gefunden wird, wird es auch verwendet. Selbst, wenn es eigentlich überhaupt nicht anwendbar ist.
Wie trägt der BMI zu schlechteren Gesundheitsergebnissen bei?
Ein wichtiger Punkt ist, dass Bevölkerungsgruppen, die traditionell weder Zugang zu medizinischer Versorgung noch den Wunsch hatten, einen Arzt aufzusuchen, davon abgehalten werden, Hilfe zu suchen. Dicke Menschen wissen, dass eines der ersten Dinge, die ein*e Ärzt*in ihnen sagen wird, ist, dass sie abnehmen müssen. Wenn Sie nicht die Möglichkeit haben abzunehmen oder es nicht wollen, sind sie eher gewillt, Interaktionen mit Ärzt*innen ganz zu vermeiden. Ein anderer Grund ist, dass dicke Menschen routinemäßig falsch diagnostiziert werden. Aufgrund der ständigen Wiederholung des „Adipositas-Narrativs” wird ihnen oft gesagt, dass ihre Gesundheitsprobleme gewichtsbedingt sind, auch wenn dies vielleicht gar nicht der Fall ist. In den Nachrichten gab es mal einen Fall von einer Frau, die sich an einen Arzt wandte, weil sie krank war. Er erklärte ihr, sie solle einfach abnehmen. Tatsächlich hatte sie Krebs.
Und wie diskriminiert der BMI gezielt Schwarze Frauen?
Schwarze Frauen haben aus einer Vielzahl von Gründen tendenziell einen höheren BMI als weiße Frauen. Das kann beispielsweise an der Genetik, Unterschieden in der Knochendichte, einem höheren Maß an Muskulatur oder der Umwelt liegen. Das Verhältnis zwischen People of Color und Armut und dem Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln spielt ebenfalls eine Rolle. Medizinische Forschungen zeigen, dass Schwarze Frauen bei erhöhtem BMI häufig gesünder sind als andere Frauen. Daher ist die Verwendung eines einzigen BMI-Standards rassistisch.
In einem Interview sagten Sie kürzlich, dass wir aufhören müssten, herausfinden zu wollen, wie viel Gewicht beim Menschen akzeptabel ist. Was sollten wir stattdessen tun?
Wir sollten uns mit den vielen Faktoren befassen, die zu positiven oder negativen Gesundheitsergebnissen beitragen. Wenn wir Einzelpersonen und Communitys ganzheitlich betrachten würden, könnten wir feststellen, dass viele Stressfaktoren in der Umgebung zu schlechter Gesundheit führen, insbesondere in Communitys of Color. Das Problem von Trinkwasserzugang in Flint, Michigan oder mangelnder Zugang zu sicheren und nahrhaften Nahrungsmitteln zum Beispiel. Es gibt so viele Themen, an denen wir als Gesellschaft arbeiten könnten, die die Gesundheitsergebnisse in den Communitys verbessern würden und dabei keine Einzelpersonen stigmatisieren. Und doch scheint es in vielerlei Hinsicht für viele Menschen einfacher, billiger und wahrscheinlich auch logischer Individuen die Schuld zu geben. Dies ist das Problem, mit dem wir konfrontiert sind.
Es ist wahrscheinlich auch für viele Menschen rentabler.
Das ist die Logik dahinter. Es scheint rational, weil es zur kapitalistischen Ideologie passt: Wer bei schlechter Gesundheit ist, soll sich aus eigener Kraft aus der Situation befreien. Es wird als individuelle Schuldfrage verkauft, obwohl es sich in Wirklichkeit um ein strukturelles Problem handelt.
Fotocredit: Unsplash/ Leighann Renee
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