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Schwäche ist Stärke

Das Thema „Mentale Gesundheit“ ist in vielen afrikanischen Communities ein Tabu-Thema. Unsere Autorin Petra nahm vor drei Monaten das erste Mal eine psychotherapeutische Beratung in Anspruch, um sich beraten zu lassen. Hier verrät sie, warum es für sie unerlässlich ist, dass wir in allen Schwarzen Communities Diskussionen um mentale Gesundheit führen.

Heute komme ich nicht aus dem Bett. Meine Beine fühlen sich wie schwere Steine an, die seit vielen Jahren am Boden festkleben. In meinem Kopf wird ein schreckliches Orchesterstück aufgeführt. Meine Gedanken spielen verrückt. Die Sicht meiner Augen ist vernebelt. Da ist er also wieder: Dieser depressive Tag. An diesem Tag fühlen sich leichte Alltagsaufgaben an, als müsste ich den größten Berg der Welt erklimmen: Das Aufstehen morgens aus dem Bett, das Zurechtmachen für den Tag, das Wäsche aufhängen und das Einkaufen.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie meine Gefühle und Gedanken die Seele so sehr einnehmen können, dass sie mein gesamtes Wesen blockieren. Hier sitze ich nun und beobachte jeden einzelnen meiner störenden Gedanken ganz genau: Warum kriege ich mein Leben nicht auf die Reihe? Wie schaffe ich es weniger zu zweifeln? Mir fehlt innerer Frieden, ich will wieder lernen, glücklich zu sein. Weshalb spüre ich diese Zweifel und Traurigkeit so intensiv? Gleichzeitig frage ich mich: Woher kommen diese Gedanken? Was wollen sie? Was mache ich mit ihnen? Was machen sie mit mir?

Ja, dieser Tag kommt mich in den letzten Wochen oft besuchen – meistens sehr überraschend. Unangekündigt klopft er an der Tür. Ich lasse ihn herein.

Der Blick hinter die Fassade

Den ersten dieser depressiven Tage hatte ich vor sechs Monaten. Gelegentlich Stimmungsschwankungen und ein Gefühl von Antriebslosigkeit erlebte ich schon davor oft. Doch diesmal war es anders: Es fühlte sich an, als wäre mein Inneres voller gedanklicher Tabs, zu denen mir die Kraft fehlte, sie zu schließen. Das war mehr als Trauer, Erschöpfung oder Niedergeschlagenheit.

Ich empfand keine Freude mehr. Keine Freude für die Dinge, die in mir einst ein Feuerwerk entfachten. Ich wollte nur noch funktionieren. Und selbst das konnte ich nach einigen Monaten nicht mehr: das Konzentrieren auf meine täglichen Aufgaben, die Pflege sozialer Kontakte und die positive Sicht auf die Zukunft und das Leben, das alles fiel mir plötzlich ziemlich schwer. Die Depressionen machten sich nicht nur seelisch bemerkbar, sondern auch körperlich: Ich litt an Rücken-, Nacken- und starken Kopfschmerzen. Diese Symptome begleiteten mich, bis ich mir irgendwann selbst zugestehen musste: Ich brauche Hilfe.

Also vertraute ich mich einem Familienmitglied an: „Ich denke sehr viel nach, bin dauerhaft traurig, erschöpft und leistungsunfähig. Ich werde eine psychotherapeutische Sprechstunde in Anspruch nehmen, um mich beraten zu lassen“, erzählte ich ihm. Er reagierte erst erschrocken, dann grinste er und lachte. Sein Lachen klang schief in meinen Ohren. „Aber weshalb,” fragte er mich. „Das brauchst du doch nicht. Du hast starke Gene und vor allem deinen Glauben. Der hilft dir am besten. Vertraue dich deiner Familie und den Pastoren an. Geh’ nicht den Weg der Deutschen. Du kriegst das auch so hin“. Die Worte stachen mir direkt ins Herz: War das ein Scherz?: Ich schüttete ihm mein Herz aus, lud ihn ein in meine innere Welt und öffnete mich voll und ganz. Und als Antwort erhielt ich ein Lachen, das meine Hoffnung auf Akzeptanz und Annahme enttäuschte.

petra

Versteckt unterm Mantel der Kolonialgeschichte

Seine Worte konnte ich nicht vergessen. Woher kam dieses Bild, das er sich von Depressionen gemacht hatte? Weshalb nahm er das Erzählte auf die leichte Schulter? Sah er nicht, wie ernst ich es meinte? Als ich mir länger darüber Gedanken machte und nach Gleichgesinnten in der Black Community suchte, wurde mir eins klar: Seine Meinung ist nur ein Puzzleteil eines größeren Gesamtbildes.

Schon seit der Sklaverei und dem Kolonialismus kämpfen Schwarze Menschen um ihr Überleben. Frantz Fanon schrieb in seinem Buch Schwarze Haut, weiße Masken: Weiße Menschen seien der Grund für die Spaltung und verantwortlich für das resultierende negative Selbstbild von Schwarzen, People of Colour und Indigenen Menschen. Stark sein war für Schwarze Menschen eine Notwendigkeit.

Meine Eltern haben ihre Flucht von Ghana nach Deutschland überstanden. Sie erzählen mir jedes Mal, wie schwer sie es hier in Deutschland hatten. Ich solle mich von niemandem aufgrund meiner Hautfarbe oder meiner Herkunft niedermachen lassen. Denn ich bin stark, genauso wie meine Vorfahren. Hier geht es um viel mehr als Minderwertigkeitsgefühle aufgrund von Rassismus und mangelnder Akzeptanz der Identität. Innere Erschöpfung, Trauer und Sorgen, diese negativen Empfindungen können im Leben einen großen Raum einnehmen. Für viele Betroffene ist das ein ununterbrochener Kreislauf. Die einen verdrängen ihren Kummer, Sorgen, Fragen über Fragen und Frust. Die anderen lassen Wut, Trauer und Angst mit voller Wucht raus, bis sie sich ausgelaugt fühlen. Den Ausweg suchen sie vergeblich. Stattdessen halten die negativen Empfindungen solange an, bis sie zu einer Krankheit werden.

Wie viele Schwarze Menschen in Deutschland von Depressionen betroffen sind, ist unklar. Der Afrozensus des Bildungsvereins EOTO aus dem vergangenen Jahr gibt einen kleinen Einblick in die Datenlage zu psychisch erkrankten Schwarzen Menschen. Befragte Schwarze Psychotherapeut*innen erklärten darin, inwiefern rassistische Strukturen und rassistische Gewalt Indikatoren für mögliche körperliche und seelische Beschwerden sind. Wie viele der Schwarzen Menschen in Deutschland Depressionen haben, wurde nicht erfasst.

Mehr als der Rassismus-Schmerz: Schwäche ist Stärke!

Stark, du musst stark sein, um dem deutschen System standzuhalten, dich zu beweisen, um etwas erreichen zu können. Das höre ich oft von Familienmitgliedern und anderen Menschen aus der afrikanischen Community. Für Schwäche ist wenig Platz. Das Festhalten am individuellen Glauben und der Religion soll den Weg zur therapeutischen Sprechstunde ersetzen. Ein Glaubenssatz, der für viele Schwarze Menschen in Deutschland gilt. Damit meine ich vor allem die Menschen, die in einem afrikanischen Land aufwuchsen und wenig Berührungspunkte mit Therapie hatten. Aber auch die Schwarzen, die in Deutschland leben und die Therapie nicht für notwendig halten.

Ich solle mich zusammenreißen, stark bleiben, diese “Phase” durchstehen, positiv und hoffnungsvoll durch das Leben gehen – diese Glaubenssätze wurden mir von meiner afrikanischen Community und meiner Familie mitgegeben.

Innerlich weiß ich, dass ich diese Gedankenmuster angenommen habe. Versteckt, geduckt und verdrängt: Sobald ich gefragt wurde: „Wie gehts dir,“ hielt ich den Atem an. Es fühlte sich komisch an, auszusprechen, dass es mehr als der Rassismus war, der mich schmerzte. Diesen steht die Black Community stets gemeinsam durch, doch, was ist mit anderen seelischen Schmerzen? Mir fehlt der Austausch und vor allem die Erkenntnis, dass diese depressiven Tage mehr sein können, als nur ein Grübeln. Krankheit bedeutet Schwäche, das wird uns von der Gesellschaft immer noch oft suggeriert. Auch wenn sich das langsam ändert.

Gemeinsam Richtung seelische Gesundheit

Vor drei Monaten hatte ich meinen ersten Termin bei einer psychologischen Beratung. Ich verließ die Praxis mit einem Gefühl der Erleichterung. Ich wusste, dass ich vor einer Herausforderung stand, doch die erste Hemmschwelle hatte ich überwunden. Das Gespräch mit dem Familienmitglied werde ich nochmal suchen. Selfcare und Selbstliebe sind zwar ein erster Schritt zur Anerkennung seelischer Schmerzen, doch bis wir Probleme mit der Psyche innerhalb afrikanischer Communitys wirklich akzeptieren und lernen, mit ihnen umzugehen, ist es noch ein langer Weg. Diesen Weg gehe ich gerne als eine der Ersten in meiner Familie.

Was ist mit dir, liebe Rosella? Ich ermutige dich dir professionelle Hilfe zu holen, wenn dein seelischer Schmerz sehr groß ist. Eine Beratung kann dir helfen, das Chaos in deinen Gedanken Schritt für Schritt zu lösen. Kommst du mit?

Petra Autorin

Petra

Petra Görner ist Hamburgerin. Sie ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt mentale Gesundheit, Spiritualität, soziale Gerechtigkeit, Gesellschaftsthemen und Themen rund um die afrikanische Diaspora.

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