Schwarze Spiritualität und die Macht der Weiblichkeit – wie sie uns dabei helfen die Macht zurückzuerobern
Ich habe einige Kinderbibeltage mitgemacht. Wenn ich an meine jungen Jahre im konservativen südlichen Bundesland der Bundesrepublik zurückdenke, muss ich an folgendes Szenario denken: Ich war schon damals immer auf der Suche nach einer Schwarzen Frau im spirituellen Kontext – ich wollte mich selbst und meine Bedürfnis dort widergespiegelt sehen. Ich wollte sehen und dadurch bestätigt bekommen, dass meine vielleicht vorhandenen Spiritualität auch einen Platz am Tisch hätte und ich, oder wir, erwünscht waren und auch von Bedeutung waren. Daher begab ich mich auf die Suche und entdeckt das Göttlich Weibliche.
Das Göttlich Weibliche
Spätestens seit Dan Browns Da Vinci Code (dt.: Sakrileg) ist der Begriff des Göttlich Weiblichen (‘the Divine Feminine’) im Mainstream Bewusstsein angekommen. Die Verehrung des Göttlich Weiblichen existiert(e) in vielen Kulturen und Zivilisationen, wie in der Ägyptischen Mythologie, der Yoruba Kultur oder im antiken Rom. Weibliche Göttinnen und die Verehrung ihrer Tempel gehörten der Normalität an. Wir sprechen hier von mächtigen Göttinnen wie der Yoruba Meeresgöttin Yemayá, die die Meere beherrscht, Asase Ya, eine Göttin der Akan, die als Fruchtbarkeitsgöttin und Mutter Erde verehrt wird oder die Yorubagöttin Oya, die in der Mythologie der Yoruba die Winde und Stürme beherrscht.
Weibliche Göttinnen – Sanftmut oder Zorn?
Die Verehrung weiblicher Gottheiten kann in nahezu jeder Kultur gefunden werden, das heißt auch und vor allem in afrikanischen Kulturen und deren Mythologien. Wo also, frage ich mich, ist das Bewusstsein über diese Göttinnen hin? Wohin ist ihr Ansehen und ihre Macht? Und warum habe ich so lange graben müssen, um überhaupt von ihnen zu hören?
Die Urmutter Nana Buruku, die in der Dahomey sowie in der Yoruba Mythologie und einigen anderen Kulturen verehrt wurde und wird, mit teilweise anderen Benennungen, ist der Anfang allen Seins, des Todes und die Herrscherin der Meere und des Wassers. Sie ist das Zentrum, auf das sich viele Mythologien konzentrieren und nimmt innerhalb dieser einer herausragende Stellung ein. Eine Schwarze Urmutter – also auch eine Beschützerin, die ihre Hände heilend über uns hält, uns Hoffnung gibt, unser Ebenbild darstellt. Das Gefühl des Beschütztwerdens ist ein elementares Bedürfnis – vor allem in einer Welt, die uns Schwarzen Frauen oft nicht die Achtung entgegen bringt, die uns allen zusteht, haben viele von uns die Gewissheit und Hoffnung beschützt zu werden, oft bitter nötig – aber nie bekommen. Ganz einfach, weil vielen von uns aus kulturhistorischer Perspektive nie eine Schwarze mächtige und gleichzeitig beschützende Mutterfigur geboten wurde. Sie wurde uns vorenthalten. Ganz besonders dann nicht, wenn man im weißen europäischen Kontext sozialisiert wurde.
Sie wurde uns vorenthalten durch die Sklaverei, die christliche Missionierung und Kolonialisierung Afrikas. Die Göttinnen und damit auch das Göttlich Weibliche wurden verdrängt und verleugnet, denn sie entsprachen nicht dem Bild der demütigen, sich unterordnenden Frau – Nein, sie wurden für ihre Macht und Stärke angebetet. Schwarz, weiblich, mächtig – so ziemlich das Gegenteil von allem was die christliche europäische Kirche predigte. Man hat uns unserer spiritueller Identität beraubt. Etwas, in dem wir uns wiederfinden können, wurde uns genommen.
Dann folgten meine Bible Jahre. Die Spiritualität (hier die christliche, weiße europäische Spiritualität), die mir geboten wurde, war sehr weiß. Es war nie die Rede von einer Schwarzen Frau, alles war selbstverständlich weiß – die Bilder, die Beschreibungen, alles homogen. Die Message war: Schwarze Frauen und ihre Bedürfnisse sind nicht existent, sie sind einfach nicht vorhanden. Ich, ein sechs Jahre altes afrodeutsches Mädchen, hatte ein Gefühl der Verlorenheit, der nicht Zugehörigkeit. Es gab absolut niemanden, mit dem ich mich identifizieren konnte. Und dieses Gefühl ist beklemmend für ein kleines Mädchen. Umso wütender und trauriger macht mich das heute für mein jüngeres Ich.
Ich kann mich noch sehr genau an das Gefühl der Verlorenheit erinnern – ich fühlte mich nicht geborgen, auch wenn genau dieses Gefühl im christlichen Kontext immer wieder betont wird – Geborgenheit für weiße Frauen, vielleicht – von Geborgenheit für Schwarze Frauen im spirituellen Kontext war aber nie die Rede.
Aber ich habe sie gefunden, die Schwarze Spiritualität, und kann meinem jüngeren Ich doch noch ein Happy End bescheren. Denn die Schwarze Spiritualität existiert sehr wohl und wird aktiv gelebt. Sie erlebt gerade sogar eine Wiedergeburt!
Durch Überlieferungen von Ritualen und Traditionen hat sie überlebt und ist dadurch in den Kulturen und den Mythologien Afrikas und Amerikas nach wie vor tief verwurzelt. Von Gottheiten, die während der Sklaverei und später während Kolonialisierung hinter Heiligen des Christentums versteckt wurden bis hinzu Ritualen, Riten und Traditionen. Beispielsweise sind die Orisha Yemayá oder Oshun, die Wassergöttin, auch heute noch die wichtigsten Orisha auf Kuba.
Die Bedeutung des Schwarzen Weiblich Göttlichen für Schwarze Frauen
Im Gegensatz zum Christentum wurden weder die Sexualität noch der Körper verteufelt – vielmehr wurden die spirituelle Macht der Fruchtbarkeit, der Heilung und der Kreativität der Frauen und ihre Sexualität verehrt.
Die Idee der Urmutter, die den Beginn allen Seins darstellt, birgt bereits einen Machtanspruch in sich. Nur gebärfähige Personen können Leben schenken, ohne sie würde es also keine Menschheit geben. Das verleiht der Weiblichkeit so viel Macht, dass ihr in zahlreichen Kulturen der pre-christlichen Ära ein Heiligenstatus zukam. Eben das Göttlich Weibliche.
Die gerade wieder entdeckte Schwarze weiblichen Spiritualität und dadurch auch die wieder entdeckten Schwarzen Göttinnen, zeigen uns als Frauen der Afrikanischen Diaspora vor allem eines: Wir waren niemals schwach und abhängig
Mächtige, weibliche Figuren und eben auch Gottheiten, die nach wie vor verehrt und angebetet werden, zeichnen ein positives und unabhängiges Bild von Schwarzen Frauen für Schwarze Frauen, das wir vor allem in Zeiten wie diesen so unbedingt brauchen. In einer Welt, in der wir aufgrund unserer Hautfarbe und unseres Geschlechts regelmäßig rassistische und sexistische Erfahrungen machen, tagtäglichen Demütigungen und Konfrontationen ausgesetzt sind, brauchen wir mehr als unbedingt starke Frauenfiguren, die unser Aussehen gepaart mit Attributen wie Macht, Stärke und Unabhängigkeit widerspiegeln. Wir können also das Göttlich Weibliche in Bezug auf die Göttinnen der Yoruba Mythologie und Igbo Mythologie, als eine Chance auf die Entdämonisierung unseres Geschlechts und unsere Hautfarbe betrachten.
Eine Zurückeroberung unseres Selbstwertgefühls und unserer Würde
Die Philosophie und Religions Professorin Arisika Razak spricht von einer notwendigen Rückbesinnung auf Zeitalter und Kulturen, in denen der Körper der Schwarzen Frau nicht als negativ angesehen wurde, sondern als Inbegriff von natürlicher Schönheit, Heiligtum und Macht. Die Negativierung des Schwarzen Körpers ist ein europäisches rassistisches Machtkonstrukt. Der jahrhundertelang indoktrinierte, also gelernte, Selbsthass und die Scham, die laut Razak, nach wie vor viele Schwarze Frauen auf den eigenen Körper haben, muss rückgängig gemacht und ‘entlernt’ werden, um ein Heilen unserer Community möglich zu machen. Sie bezeichnet die Rückeroberung der Schönheit der Schwarzen Frau als einen politischen und spirituellen Vorgang, der von den eurozentrischen Schönheitsnormen losgelöst stattfinden muss.
Die Vereinbarkeit von Spiritualität und Schwarzem Feminismus
Das europäische Christentum, das den Schwarzen femininen Körper als Sünde darstellte und verteufelte, ist nur schwer mit Schwarzem Feminismus in Einklang zu bringen.
Verbindet man aber Schwarzen Feminismus mit dem positiven Bild des afrikanischen, pre-christlichen Verständnis von Schwarzer Weiblichkeit und Spiritualität, ergänzen sich Schwarzer Feminismus und Spiritualität.
Schwarze weibliche Spiritualität ist eine Kraftquelle
Schwarze Göttinnen und die mit ihnen in Verbindung stehenden Rituale und Traditionen, waren und sind seit Jahrhunderten Hoffnung und Anker für Schwarze Frauen.
Spiritualität kann uns empowern, uns durch schwere Zeiten helfen, Selbstwertgefühl vermitteln und ein Gemeinschaftsgefühl geben, dass wir durch mächtige, unabhängige Vorbilder erhalten – Schwarzer Feminismus ist genau durch diese Ideale geprägt: Unabhängigkeit, die Selbstermächtigung des eigenen Schwarzen Seins, die Positivierung des eigenen Schwarzen Körpers und das Wohlgefallen an diesem, ein positives Selbstwertgefühl, und die Unerschütterlichkeit als Schwarze Frau ebenbürtig und mächtig zu sein. Und Stärke zu entwickeln, um unsere Rechte einzufordern. Spiritualität kann zu einem Bindeglied für uns Frauen der Afrikanischen Diaspora werden, dass unsere Gemeinschaft stärkt, wachsen lässt und erlittene Traumata heilt. Wunden, die wir während dem Kämpfen, um unser Existenzrecht, auf dieser Welt davon getragen haben.
Also, Schwestern, holen wir uns zurück, was schon immer da war, wovon wir aber nichts (mehr) wussten und machen wir es zu unserem.
Sophia
Sophia ist ein Teil des RosaMag Redaktionsteams und beschäftigen sich mit u.a. Sprache, Rassismus und Schwarzen Feminismus. Ihr Studium im Bereich der Sprachwissenschaften hat sie genutzt, um Rassismus und Sexismus in der Sprache zu erforschen. Hier auf RosaMag finden Ihr also ziemlich viel, was sie aus ihrem Studium mitgenommen hat und euch vielleicht helfen kann, die Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten.
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