Shary Reeves: „Ich habe immer darauf geachtet, dass die Schwarze Community stolz sein kann auf das, was ich mache“
Fotocredit: Shary Reeves
Im Gespräch mit Moderatorin, Schauspielerin, Autorin und Produzentin Shary Reeves
Wissen macht Ah! mit Shary und Ralph – Wer kennt’s nicht? Über 16 Jahre informierte uns Shary Reeves mit ihrem Co-Moderator Ralph über alltägliche Phänomene. Für viele Schwarze Menschen war sie die erste Schwarze Person, die sie überhaupt im Fernsehen zu Gesicht bekamen. Shary Reeves ist eine Pionierin mit einer schier unglaublichen Anzahl an Facetten, Interessen und Talenten.
Im Gespräch mit RosaMag erzählt sie von ihrer Familie und ihrer Kindheit bei einer Pflegefamilie in Köln. Sie spricht außerdem über ihre Zeit bei Wissen macht Ah!, die positiven Erlebnisse sowie auch über Widerstände und ihre Vorbildfunktion für eine ganze Generation junger Schwarzer Menschen.
Du sagst von dir, dass deine Wurzeln in Ostafrika liegen. Dein Vater kam aus Kenia. Deine Mutter kommt aus Tansania. Du bist selbst regelmäßig Vorort. Was ist dein Bezug zu dem Land?
Mein Vater ist in Kisiii geboren. Das liegt im Südwesten Kenias. Dort ist er auch zu Schule gegangen. Er war der erste afrikanische Philosophie Professor des Landes. Er hat in Köln studiert und hat seine Dissertation auf Latein geschrieben.
Anschließend ging es nach Bochum. Dort hat er angefangen, Jura zu studieren, was er in New York beendet hat. Anschließend ging er von dort aus nach Rom, wo er Theologie, Kunst und Geschichte studiert hat. In der Zeit in Köln hat er meine Mutter kennengelernt. Die haben sich gegenseitig befruchtet und vier Kinder zur Welt gebracht. Wir sind alle in Köln geboren worden. Unsere Eltern haben sich irgendwann getrennt. Mein Vater ging zurück nach Kenia, nach Nairobi. Wir sind in Deutschland geblieben. Ich bin dann in einer Pflegefamilie groß geworden, weil meine Mutter überlastet war mit allem und vielem. Wir sind alle unterschiedlich untergekommen. Nur mein Bruder und ich waren gemeinsam bei einer Familie. Dort sind wir die ersten Jahre groß geworden.
Was für eine Erfahrung war das für dich?
Ich hatte großes Glück. Ich bin als Kind zwar weggegeben worden, aber ich habe eine Familie erwischt, die mich abgöttisch geliebt hat, eine weiße, kölsche rheinländischen Familie. Mein Opa ist mal mit mir und meinem kleinen Bruder durch die Stadt spaziert, als man ihn ansprach: „Sind dat ihre Kinder?“ Hat er nur geantwortet: „Sieht man das denn nicht?“ und ist weitergegangen. Der hat sich Gott sei Dank nicht so viele Gedanken gemacht. Rechts und links wollten die Leute aber nichts mit uns zu tun haben. Die haben immer versucht, uns loszuwerden. Wir wurden als N****kinder betitelt und in der Schule nicht zu Geburtstagen eingeladen.
Wie bist du damit umgegangen?
Am Ende des Tages kann ich mich natürlich davon runter machen lassen und jammern: “Mir geht es so schlecht“. Oder ich stehe auf und sage: “I’m an African woman. Im tough enough und ich bekomme das irgendwie gerockt.” So mache ich das heutzutage immer noch. Ich besinne mich auf meine afrikanischen Wurzeln. Die kann und will ich nicht wegreden. Je älter du wirst, desto mehr zieht es dich zu deiner eigentlichen genetischen Heimat zurück. Du willst wissen: Wo komme ich eigentlich her? Wer sind die Menschen, die mich gezeugt haben? Wo kommen diese Menschen her? Auch, weil du in Deutschland nie wirklich akzeptiert wurdest, bist du auf der Suche nach einem Ort, der Heimat bedeutet. Selbst wenn in Kenia als Deutsche betitelt werde, ist das trotzdem meine genetische Heimat. Mein Vater kam aus Kenia. Meine Mutter kommt aus Tansania. Das ist ein Teil von mir.
Und wie ging es dann für dich weiter?
Mit sechs Jahren kam ich ins Internat, war danach auf dem Gymnasium und habe dort auch mein Abitur gemacht. Anschließend war ich kurz an der Uni in Bonn, aber ich fand das alles total scheiße. Die Leute und die Umgebung waren langweilig und ich bin da immer schräg angeschaut worden, weil ich so “exotisch” war. Das wollte ich nicht. Ich bin hochsensibel. Mir war das Angaffen zu viel. Ich wollte eigentlich amerikanische Literatur, Neuere Geschichte und Medienwissenschaften studieren. Das habe ich dann relativ schnell sein lassen und dann mit meinen Geschwistern Musik gemacht und parallel in der Fußball-Bundesliga gespielt. Mit unserer Band waren wir dann auf sämtlichen Bühnen unterwegs. Wir waren im Ausland, sind in der Schweiz und Österreich aufgetreten. Von der Musik bin ich dann zum WDR und später zu Wissen macht Ah!, wo ich 16 Jahre geblieben bin. Heute arbeite ich vor allem im Onlinemarketing und erstelle Internetseiten.
Inzwischen hast du auch einen Podcast, oder?
Ich arbeite ganz viel für andere. Ich mache für andere Podcasts. Ich schreib für Leute Blogs. Den Podcast habe ich für mich gemacht. Ich bin da ganz entspannt und mach’s einfach. Mir geht’s nicht darum, Tausende von Zuhörer*innen zu haben, sondern mir etwas von der Seele zu reden. Im Moment ist das das Thema Corona. Und irgendwann wird es vielleicht auch um Rassismus gehen. Ich versuche diese Themen immer mit einer gesunden Portion Ironie zu verkaufen. Wenn man schnallt, was in der Welt passiert, kann man das nur mit einem Lächeln ertragen. Ansonsten würde ich jeden Tag hier sitzen und weinen.
Du warst 16 Jahre bei Wissen macht Ah! War dir damals bewusst, dass du für viele Schwarze Menschen in Deutschland eine Art Vorbildfunktion erfüllst?
Ja, mir war damals schon klar, dass wir das auch für die Black Community machen. Eins meiner schönsten Erlebnisse, an das ich mich erinnere, war in München auf der Maximilianstraße. Eine wunderschöne, kluge Schwarze Frau kam auf mich zu, schaute mich an und sagte: “Dankeschön. Mach weiter so. Wir sind so stolz auf dich”. Das ist mir wichtiger, als hundert Autogramme zu unterschreiben, weil ich die Bestätigung dafür kriege, dass der Weg, den ich gegangen bin, den ich mir ausgesucht habe, bei meinen Leuten angekommen ist. Es ist mir wichtig nicht nur ein Teil der Schwarzen Community zu sein, sondern auch, sie richtig zu repräsentieren. In der ersten Reihe zu stehen und diese Dinge zu tun. Ich habe immer versucht, darauf zu achten, dass meine Community stolz sein kann auf das, was ich mache. Ich wollte nie der “white N*****” sein, der Bimbo, wie viele andere es leider gemacht haben. Roberto Blanco zum Beispiel. Ich wusste, dass ich nicht nur mich selbst vertrete, weil wir immer als Kollektiv wahrgenommen werden. In meine Fußstapfen sind jetzt schon ganz viele andere getreten. Dafür den Weg geebnet zu haben, macht mich sehr stolz. Ich habe mich durchgesetzt und 16 Jahre lang Bildungsfernsehen gemacht. Ich habe den Menschen etwas hinterlassen, was ihnen im Leben ein wenig den Geist öffnet und den Kopf und die Gedanken frei macht. Das war für mich immer ein Grundsatz.
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Du sprichst es gerade an: Du musstest dich auch durchsetzen. Pionier*innen müssen ja oft auch gegen Widerstände kämpfen. War das bei dir auch der Fall?
Ich bin damals von meiner Chefredakteurin, Ulrike Müller-Haupt, gemobbt worden. Sie ist mittlerweile pensioniert, deshalb kann ich darüber sprechen.
Für sie war ich erst eine Art großes, magical Wunderwerk. Sie hat mich idealisiert und meine Energiequelle angezapft. Irgendwann wollte ich das nicht mehr. Mir war das einfach zu viel. Letzten Endes habe ich dann ihretwegen keine anderen Jobs außerhalb von Wissen macht Ah! mehr bekommen, weil sie Angebote heimlich hinter meinem Rücken abgesagt hat. Das kam erst nach ein paar Jahren raus. Ich hätte beispielsweise in einer Serie mitspielen können. Das war so ein Ziel, das ich auch verfolgt hatte. Sie hat einfach die Türen zugeschlagen und hinter sich abgeschlossen. Das war echt bitter.
Und deine Beziehung zu deinem Co-Moderator Ralph?
Natürlich waren Ralph und ich bis zu einem bestimmten Grad auch befreundet, aber wir haben nie privat Zeit miteinander verbracht. Wahrscheinlich haben wir deswegen auch so gut funktioniert. Wir haben uns in den 16 Jahren nie gestritten. Das ist eher ungewöhnlich.
Warum hast du dich entschieden mit der Sendung aufzuhören?
Im Jahr 2016 war vom Sender eine grundsätzliche Veränderung angedacht und ich persönlich hatte mich schon zwei Jahre zuvor innerlich von der Sendung verabschiedet. Als die Chefredakteurin in Rente gegangen ist, kam bei mir alles hoch. Sie war dann weg und mit ihr eine Art toxische Abhängigkeit. Von dem Zeitpunkt an, konnte ich wieder ein völlig freies Denken und Fühlen zulassen. Das hatte ich vorher immer versucht von mir abzuwenden. Als ich mich damals umschaute, realisierte ich, dass noch ein paar mehr Leute beim Sender auf diesem Pfad unterwegs waren. Ich habe mich erst innerlich verabschiedet und bin zwei Jahre später gegangen. Das hat dann auch mit dem Sender ganz gut gepasst.
Ich brauchte dann auch erst mal eine Fernsehabstinenz. Jede*r, der*die in die Medien will, sollte sich das gut überlegen. Ich sage: Macht lieber was Eigenes. Ihr habt in eurer Generation das große Glück, dass ihr von den technischen Möglichkeiten her alles selbst machen könnt.
In einem Interview im Express hast du mal gesagt: “Man hat zwei Herzen. Das Schlimme daran ist aber, dass man nirgendwo wirklich zu Hause ist, weil man nirgendwo als das akzeptiert wird, was man selber glaubt zu sein. Das ist immer das Problem.” Wie hast du das gemeint?
Als Schwarzer Mensch lebst du oft irgendwo in der Mitte. Es ist wichtig, dass du deine eigene Mitte für dich findest. Wenn ich in Kenia bin, dann bin ich die Deutsche. Ich muss den Leuten dort immer sagen, dass ich Kenianerin bin. Was ja auch stimmt. Von den Genen her bin ich 50 Prozent Kenianerin, und 50 Prozent Tansanierin. Ich habe 1996 den deutschen Pass bekommen. Bis dahin war ich hier nur geduldet. In Deutschland wirst du nur als Deutsche anerkannt, solange du erfolgreich bist.
Wie sieht es in der Medienwelt aus?
In der Medienwelt ist es grundsätzlich ganz schwierig, sich zu positionieren. Ich nenne das deutsche Fernsehprogramm ganz bewusst deutsches, weißes Fernsehen. Das ist ja Fakt. Das ist nicht nur eine Wahrnehmung von mir. Wer sich das Vorabendprogramm der ARD beispielsweise anschaut, sieht das. Und dafür zahle ich auch GEZ. Am Ende des Tages kommen wir bei den öffentlich-rechtlichen trotzdem nicht vor. Das kann nicht sein. Unsere Medien haben eine unglaubliche Macht. Wenn Schwarze Menschen da beispielsweise nur in einem Negativbild gezeigt werden, fühlen sich manche Menschen automatisch in ihrer Meinung bestätigt. Es werden Meinungsbilder verkauft, die dazu beitragen, dass die Menschen auf die Straße gehen und für etwas Falsches demonstrieren. Nicht für ihre eigene Wahrheit, sondern eine Wahrheit, die andere ihnen vorgegaukelt haben.
Du hast in einem Interview auch mal vom “leisen Rassismus” gesprochen, der jetzt wieder laut geworden sei. Kannst du erklären, wie du das meintest?
Der Rassismus war früher sehr laut. Inzwischen ist er laut-leise und leise-laut. Das zeigt sich an so Bewegungen, wie die Identitären. Das sind ganz gefährliche Leute. Ursprünglich kommen die aus Frankreich. Irgendwann sind sie auch in Deutschland gelandet, wo sie extrem effizient agieren können. Schließlich treffen sie hier auf ein ganz anderes Fundament, eine ganz andere Vergangenheit. Das sind so die lieben, netten Tommy Hilfiger Träger*innen, die du auf den ersten Blick nicht erkennst. Ich habe mir mal Werbespots von denen angeschaut. Sie schaffen es gut, junge Leute für ihre Gruppe anzuwerben und sie wissen, wie sie sich organisieren müssen, auch im Internet. Das ist sehr gefährlich.
Wie siehst du die Zukunft?
Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Menschen sehr ichbezogen und wenig rücksichtsvoll sind. Ich kann nur sagen, dass ich gefühlsmäßig sehr darunter leide, weil ich eine Gerechtigkeitsfanatikerin bin. Ich will, dass mit allen Menschen auf dieser Erde gerecht umgegangen wird.
Celia
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