Stolzeaugen.books: Unsere Bücher sind von und für BIPoC – Wir sind ein notwendiger Safe Space
Fotocredit: Privat
Weiß, elitär und akademisch. So könnte man den deutschen Literaturbetrieb gut beschreiben. Damit auch die Stimmen von BIPoC in der Literaturszene gehört werden, haben sich die Studentinnen Viviane Camara und Wandi Wrede gedacht: Wir ändern das. Gemeinsam mit den Mitgründer:innen aus dem Team von Holla e.V. – Zentrum für intersektionale Gesundheit in Köln haben sie 2020 die erste BIPoC-Verlagsgesellschaft in Deutschland gegründet – stolzeaugen.books. Wir haben mit ihnen über die Gründung, ihre erste Veröffentlichung „Texte nach Hanau“ und ihre Wünsche für die Zukunft gesprochen.
Wie habt ihr euch als Team zusammengefunden?
Viviane: Als ich 2018 anfing, beim Verein Holla zu jobben, hat sich eine völlig neue Welt für mich eröffnet: Dort lernte ich Menschen kennen, die meine Erfahrungen verstanden. Wir haben uns gegenseitig empowert. Irgendwann kam die Autorin Souzan AlSabah, Gründerin von Holla e.V., mit der Idee um die Ecke einen Verlag zu gründen. Ich hatte nicht wirklich einen Bezug zu Büchern, habe früher nie gelesen. Am Anfang waren deshalb Hemmungen da. Ich dachte: Ich lese nicht so viel, deshalb kann ich diesen Verlag nicht gründen. Aber es geht ja darum, einen Raum zu schaffen, in dem BIPoC verlegen können.
Wandi: 2020 war für mich ein einschneidendes Jahr. Zusammen mit meiner Cousine habe ich in Köln die erste Black Lives Matter-Demo organisiert. Durch die Bewegung ist so viel passiert: Leute haben Bücher geschrieben, Vereine gegründet und Veranstaltungen organisiert. So bin ich auch auf den Verlag gestoßen und habe Souzan AlSabah kennengelernt. Ich hatte davor auch keinen richtigen Bezug zu Büchern. 2020 habe ich interessanterweise erst richtig angefangen zu lesen. Die Chance, dann in einem Verlag mit BIPoC für BIPoC zu arbeiten, war ein unglaublich.
Was für Erfahrungen habt ihr im deutschen Literaturbetrieb gemacht?
Viviane: Ein Grund, warum wir uns gegründet haben, war die Entstehungsgeschichte um das Buch Samira und die Sache mit den Babys. Die Autorin Souzan AlSabah wollte das Buch, noch bevor es unseren Verlag gab, woanders veröffentlichen. Sie erzählte uns von den krassen Erfahrungen, die sie im Literaturbetrieb gemacht hat: Es wurde einfach über den Kopf hinweg entschieden, die Perspektive verfälscht, ohne Absprache Figuren verändert – auch von der Hautfarbe her. Perspektiven zu verfälschen, hat aber nichts mit einem Lektorat zu tun.
Wir wollen ein Verlag sein, in dem BIPoC ihre Stimmen und ihre Perspektiven so darstellen können, wie sie sind.
Warum war es euch so wichtig, den Sammelband Texte nach Hanau als erstes Werk zu veröffentlichen?
Viviane: Ich finde, dass Texte nach Hanau gut abbildet, was unser Verlag „stolzeaugen. books“ sein will. Ein Verlag, in dem BIPoC ihre Stimmen und ihre Perspektiven so darstellen können, wie sie sind. Ihre Perspektive wird nicht verfälscht, sie wird nicht geändert. Bei uns gibt es natürlich auch ein Lektorat wie bei anderen Verlagen, allerdings ein Intersektionalitätsbewusstes und Machtkritisches.
Wandi: Wir haben den Verlag unabhängig von Hanau gegründet. Zu sehen, dass sich in Hanau so viel spiegelt, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, ist heftig. Hanau darf niemals vergessen werden. Das Ereignis war in unseren Köpfen so präsent, dass es nur logisch erschien, dass Hanau das Thema unseres ersten Buches wird. Nach unserem Open Call für Texte nach Hanau haben uns so viele Leute geschrieben. Ich kriege richtig Gänsehaut, wenn ich daran denke. Wir wollten BIPoC sprechen lassen. Jeder einzelne Text ist krass, geht richtig ins Herz und zeigt, wie viel wir zu sagen haben und wie viel Schmerz wir in uns tragen.
Mit dem Buch habt ihr auch für Aufklärung gesorgt, da ihr Gefühle und Gedanken zu Hanau sichtbar macht, die zuvor ausgespart wurden. Ich nehme das Werk auch als ein Stück Erinnerungskultur wahr.
Viviane: Ganz viele Menschen lesen das Buch, auch weiße Menschen. Das Buch sollte es BIPOC abnehmen, Rassismus mal wieder erklären zu müssen. Wir wissen, wie schmerzhaft das ist, deshalb habe ich die Hoffnung, dass Menschen unser Buch lesen und aus diesen Perspektiven etwas mitnehmen. Denn wir als BIPoC müssen uns tagtäglich damit auseinandersetzen. Es ist unsere Lebensrealität.
Was braucht es denn, damit der deutsche Literaturbetrieb diverser wird?
Wandi: Es wird immer ganz schnell davon gesprochen, dass ein Arbeitsumfeld divers ist, wenn dort verschiedene Menschen arbeiten. Das ist alles schön und gut. Aber genau an diesen Orten passiert auch unglaublich viel Rassismus. Ich denke dann: Es ist schön, dass ihr euch damit rühmen wollt, dass hier jede*r arbeiten kann. Aber schafft ihr auch einen Raum, in dem jede*r arbeiten möchte? Die Antwort lautet Nein. Ich finde es wichtig, dass die Verantwortlichen sich wirklich mit Rassismus und machtkritischem Denken auseinandersetzen und das auch kommunizieren. Ich wünsche mir, dass das Lernen anfängt.
Wie könnte das aussehen?
Wandi: Wir brauchen Rassismus-Schulungen. Jede Person im Betrieb muss abgeholt werden. Rassismuskritisches Denken muss so weit in den Strukturen etabliert werden, dass es zur Norm wird. Es ist nicht damit getan, dass man einfach nur Leute mit verschiedenen Hintergründen einstellt. Das kratzt nur an der Oberfläche. Es muss auch dafür gesorgt werden, dass die Arbeitsumgebung ein sicherer Raum für die Menschen ist. Wir als stolzeaugen.books haben den Anspruch, rassismussensibel und machtkritisch zu arbeiten und Intersektionalität in den Vordergrund zu stellen. Wir setzen uns damit tagtäglich auseinander. Das heißt nicht, dass wir perfekt sind. Diese Arbeit dahinter ist ein täglicher Kampf. Man muss seine eigenen Privilegien erkennen, das alles gehört dazu, und zwar regelmäßig und nicht nur einmalig. Durch unseren Verlag habe ich erkannt, zu sagen: Wir sind gegen Rassismus, reicht nicht.
Was sind denn eure nächsten Pläne und was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Viviane: Wir planen derzeit die zweite Auflage von Texte nach Hanau und unser nächstes Buch. Das soll ein Roman werden. Unsere:n Autor:in dafür haben wir noch nicht gefunden, also an alle BIPoC Autor:innen da draußen: schickt uns euer Exposés!
Wandi: Zu unserer Reihe Samira und die Sache mit den Babys werden noch weitere Bücher rauskommen. Unsere Bücher sind von und für BIiPoC und wir sind ein notwendiger Safe Space. Die Frankfurter Buchmesse hat die Notwendigkeit für solche Safe Spaces mehr denn je gezeigt. Das, was wir produzieren, hat Qualität, Tiefe und eine Wichtigkeit. Wir wachsen und lernen natürlich und wollen größer werden, um im nächsten Schritt Arbeitsplätze zu schaffen für die nächste Generation. Wir sind unglaublich dankbar für die Unterstützung der Community. Wir haben enorm viel positives Feedback bekommen. Ich wünsche mir, dass es noch mehr Schwarze Autor:innen gibt und dass wir einen enormen Anteil daran haben, dass wir Bücher produzieren, die auch von Schwarzen Menschen gelesen werden wollen.
Yeama
Yeama Bangali, 27 lebt in Stuttgart und hat dort auch germanistische Literaturwissenschaft studiert. Dort sind ihr auch zum ersten Mal die Gedichte May Ayims begegnet, über die sie auch ihre Masterarbeit geschrieben hat. Neben ihres Studiums hat sie beim SWR als Radio- und Multimedia-Reporterin gearbeitet und war der festen Überzeugung im Journalismus zu landen. Sie flitzte dann für eine Weile nach Glasgow, um da mal die Luft dieser vielfältigen Kulturlandschaft zu schnuppern. Es hat sie aber dann doch in die Wissenschaftskommunikation eines Forschungsinstituts verschlagen. Still sitzen ist nicht so ihr Ding, deshalb schreibt sie in ihrer Freizeit Songs und andere Texte, singt und arbeitet eifrig an ihrem Projekt als Solokünstlerin. Tiefe Gespräche, Empowerment und ein Mitwirken in gesellschaftlichen Debatten ist ihr wichtig. Deshalb engagiert sie sich auch in der Stuttgarter Regionalgruppe der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. 2014 hat sie mit ihrer Mutter den gemeinnützigen Verein Vision:Life e.V. gegründet, der sich für Kinder und Jugendliche in Sierra Leone einsetzt. Bei RosaMag liegen ihre Schwerpunkte auf afrodeutscher Literatur und Kultur sowie intersektionalem Feminismus.
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