Thüringen: “Ostdeutschland als No-Go-Area zu deklarieren, hilft nicht”
Bild: Mirjam Elomda
Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich ist zum thüringischen Ministerpräsident gewählt worden. Das klingt zunächst ganz normal, doch es gelang ihm mit einer Partei, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet wird: Der AfD. “Du läufst auf der Straße und weißt, dass jede*r Vierte diese Partei gewählt hat,” erklärt uns Mirjam Elomda, die in Erfurt lebt. “Diese Wahl ist ein Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte”, heißt es, der “Coup der AfD” und während sich die Schlagzeilen, Shitstorms sowie Neuwahl- und Rücktrittspekulationen häufen, stellten wir uns die Frage: Wie ergeht es Schwarzen Menschen in Thüringen, die in dieser politischen Situation leben?
“Es ist eine extreme Belastung” und macht aktiv
“Der politische Rechtsruck ist nicht neu,” erklärt die Fotografin und Studentin Mirjam Elomda. Es begann mit Demos, Pegida, dann erschien die AfD auf der Bildfläche, sie mobilisierten sich, gewannen den Landtag, schafften es, dass jede vierte Person ein Kreuz auf dem Stimmzettel für ihre rechtsextremen Dystopien abgab und nun die politische Strategie, der bürgerlichen Mitte zu suggerieren, dass sie ja gar nicht so “rechts” sind, indem sie dafür sorgten, dass die CDU und FDP gemeinsame Sache mit ihnen machten. Sie schlängeln sich in die politische Norm. Das macht Angst. Aber auch aktiv, wie im Falle von Mirjam: “Im ersten Moment bist du fassungslos. Der erste Wahlsieg für die AfD war ein Schock. Doch dann macht dich das aktiv.” Mirjam ist bei der Initiative für Schwarze Menschen in Thüringen aktiv und bemüht sich mit einem kleinen Team, um mehr Sichtbarkeit. “Ich habe es in meiner Pflicht gesehen, mich zu solidarisieren, zu vernetzen und mir das Recht der politischen Teilhabe nicht nehmen zu lassen,” erklärt sie, aber unterscheidet zwischen ihrem aktivistischen Ich und dem Gefühl neben einer “Oma” an der Kasse in der “Kaufhalle”, wie sie mit einem Schmunzeln sagt, zu stehen und dann trifft es sie. Das Gefühl, in der Position sein zu müssen, sich politisch zu verteidigen. “Es ist eine extreme Belastung.”
Bild: Marielle Gutermann; Sie berichtet uns von ihrer Kind- und Jugendzeit in Gotha.
“Ich bin froh nicht mehr in Gotha zu wohnen”
“Ich war auf der einen Seite verwirrt und auf der anderen enttäuscht,” erklärt die 22-jährige Marielle Gutermann. In Gotha geboren und aufgewachsen, zog sie direkt mit 18 Jahren weg. Erst in die USA, dann nach München und nun Leipzig, die sächsische “linke Blase”, die sie trotzdem, aufgrund ihrer Erfahrungen in Gotha, triggert. “Ich bin enttäuscht, weil ich von vereinzelten Leuten aus Thüringen lesen musste, wie sie die politische Situation herunterspielten und verharmlosen. Das macht mich traurig, weil ich weiß, was es für reale Auswirkungen auf Menschen hat, wie meine drei Schwarzen Geschwister, die immer noch in Gotha leben.” Sie erklärt, dass sie ohne ein Schwarzes Bewusstsein in Gotha aufwuchs, dass Schwarzesein mit etwas Negativem assoziiert wurde und wie schwer und schmerzhaft es für sie wahr, ein autonomes und eigenständiges Black Empowerment Gefühl zu erlangen. Dabei half ihr, vor allem ein neues Umfeld, wie in den USA, so Marielle. In Nordamerika war es für sie heilend, mit Schwarzen Menschen zusammen zu sein, die ihre Hautfarbe zelebrieren und stolz darauf sind. Danach ging es ein Jahr nach München. Als sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Hund unterwegs waren und jemand sie ansprach, erwartete sie Schlimmes. “Wenn ich in Gotha auf der Straße angesprochen werde, dann war es meist etwas Negatives. Ich wurde dann angepatzt. Das war in München echt anders. Wir haben einen tollen Hund und die Leute wollten uns nur ein Kompliment für ihn geben.” Für Marielle ist klar: Sie möchte in naher Zukunft nicht wieder nach Thüringen. “München war viel diverser. Dort war man nicht die einzige Schwarze Person, die da herumläuft. Trotzdem wissen auch dort weiße Menschen wenig über Rassismus. Aber das ist einfach überall in Deutschland ein Problem. Oder auf der ganzen Welt.”
Bild: Marielle Gutermann; Marielle gemeinsam mit ihrem Hund.
Der ostdeutsche Nazistempel sitzt viel tiefer
“Innerhalb der Community ist Ostdeutschland ein schwieriges Thema”, erklärt Mirjam. Eigentlich ist sie bayerisch “sozialisiert”, doch 2015 hat sie sich bewusst dafür entschieden, in Erfurt zu leben. Die Reaktion aus ihrem Umfeld, auf diesen Wohnsitzwechsel ist: Mitleid. “Es ist nicht besonders empowernd, Ostdeutschland als eine No-Go-Area zu deklarieren und nicht hilfreich für Menschen, die hier leben,” erklärt Mirjam und wünscht sich mehr Sichtbarkeit und Empowerment für Schwarze Menschen, die sich entweder dafür entscheiden, im Osten des Landes zu leben oder dort aufgewachsen sind und sie hat Recht. Für mich rückt Thüringen mit den letzten Schlagzeilen und den Siegeszügen der AfD in weiterer Ferne, ein Ort an dem Schwarze Menschen nicht willkommen sind, ein Ort, an dem politische Frustration so groß ist, dass die Mehrheitsgesellschaft direkt in die Arme des rechten Lagers rennen. Doch Ostdeutschland pauschal einen Nazistempel zu erteilen, hilft Mirjam, die gemeinsam mit ihrer Familie und vielen weiteren Menschen, mit denen sie sich mobilisiert, nicht. Ein Beweis, sind die Erfahrungen, die Marielle in ihrer Kind- und Jugendzeit in Gotha sammelte. Denn letztendlich hat Marielle recht: Rassismus ist überall. In Gotha. Erfurt. In Deutschland und auf der ganzen Welt. In Ostdeutschland ist es brisanter, doch es gibt keinen rassismusfreien Ort für Schwarze Menschen. Doch vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Mirjam nehmen, indem wir uns, unsere Teilhabe nicht wegnehmen lassen. Oder, der Wahl, wo wir wohnen möchten.
Ciani
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