Was bedeutet “woke”?
“Woke” ist ein Begriff. Ein Symbol von Zugehörigkeit. Die Beschreibung eines Prozesses. Das Wort kann als Kategorisierung dienen. Sogar als Beleidigung. Es kann eine Kluft in die Schwarze Community reißen. Wir und sie. Die “Woken” und die Verpennten. Die Erleuchteten, die Unerleuchteten. Solltest du durch die Syphären der intersektionalen, feministischen, aktivistischen, politischen, intellektuellen Elite schlängeln, dann kennst du vermutlich den Begriff bereits. Falls nicht, dann lasst uns drüber sprechen. Falls doch, um so mehr.
Ein kurzer Abriss über den Terminus
“Woke” (auf deutsch “wach”) ist die Vergangenheitsform von wake, „aufwachen“, grammatikalisch richtig wäre allerdings “awake” – wie in, jemand, der den Prozess des Aufwachens hinter sich hat. Das Urban Dictionary definiert „woke“ als bewusstsein und „wissen, was in der Gemeinde vor sich geht“. Es erwähnt auch eine spezifische Verbindung zu Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit. Um „erwacht“ in einem Satz, der seine Konnotationen und Nuancen genau erfasst, zu verwenden, müsste man sich auf jemanden beziehen, der selbstständig denkt, der sieht, wie Rassismus, Sexismus und Klassismus unser tägliches Leben beeinflusst. Während “nicht woke” dementsprechend jemanden beschreibt, der es nicht tut.
“Sie ist nicht woke”
Manche Schwarze Frauen glätten ihre Haare chemisch, andere sind Natural. Die eine ist bei jeder Black Lives Matter Demo dabei und eine andere hat noch nie davon gehört. Es gibt kein ideales Schwarzsein. Das Jeti-Level, dass du erreichen kannst, sobald du jegliche antirassistische Lektüre einverleibt hast. Du kommst nicht, mit einem schwarzen Heiligenschein hinaus, welches symbolisiert: Du bist erwacht. Du bist woke. Doch gleichzeitig fühlt es sich so an, oder? Rassismus, Sexismus sowie Klassismus steckt auf einmal überall. Auf dem Weg zur Arbeit, mit dem Blick in die Nachrichten und der weißen hetero-normativen Berichterstattung, in morgendlichen Gesprächen in der Bahn über gesellschaftlich bestimmte Schönheitsnormen und Jugendlichen, die eine Youtuberin für ihren Look ordentlich herunterputzen, während wir gemeinsam eingepfercht in der sich schaukelnden Bahn sitzen. Am Arbeitsplatz, Smalltalk mit den Kollege/innen, ob sie deine Haare anfassen dürfen und wow, wie cool die grünen Braids aussehen! Dann beim Bier mit den Freunde/innen, die Fragen zur kulturellen Aneignung haben, beim Streit mit dem Partner, dass es doch nur ein “Witz” von seinen Freunde/innen war, aber das du es als problematisch ansiehst. Dann beim Entspannen auf der Couch, bei der Entscheidung, welchen Film ihr heute Abend auf Netflix schauen möchten und die Realisierung, dass es immer den selben Charakter gibt mit dem du dich identifizieren darfst: Die Angry Black Woman. “Woke-sein” beschreibt den Prozess des “aufwachens”. Eine neue Perspektive auf das eigene Leben, auf die gesamte Gesellschaft. Aussagen zu revidieren, die da lauten: “Ich habe noch niemals Rassismus erlebt.” Was gelinde gesagt, unmöglich ist. Aber vielleicht doch. Vielleicht bist du die 0,000001 Prozent, die davor bewahrt blieb. Masel Tov!
#Wokeness boomt. Warum?
Du kannst deine Wokeness in einem Quiz testen, auf Twitter wird #StayWoke für fast alles verwendet, von Fast-Food-Verschwörungstheorien bis hin zu Fahrgemeinschafts-Preissprüngen. Doch die eigentliche Formulierung von „woke“, ist seit Jahrzehnten ein Teil der Schwarzen Kultur, in den USA zumindest. Ähnlich, wie „bae“ und „twerk“ und „trap queen“, wie Bustle-Autorin Maddy Foley erklärt, wird es vermutlich auch nicht der letzte Begriff bleiben. In der Popkultur erschien der Begriff das erste Mal 2008 im Song “Master Teacher” von Erykah Badu. Gemeinsam mit Bilal und Georgia Anne Muldrow sangen sie darüber, wie sie von einer Welt träumten, in der es „keine N****s“ gäbe, sondern „nur Meisterlehrer*innen“. Sie deklarierten, dass sie “erwacht bleiben”: “stay woke”. Was so viel bedeutet, dass sie erkennen, dass ihr Traum von “Race”-Gleichheit, obwohl es schön wäre, weit von der Realität entfernt ist. Aus diesem Grund wird Badus Lied als erste große Verwendung der Phrase angesehen. Doch die steigende Popularität von „woke“ ist an die #BlackLivesMatter-Bewegung geknüpft, die erstmals 2013 nach den tödlichen Schüssen auf Trayvon Martin auftauchte. Der Anstieg des Hashtags #StayWoke begleitete zu jener Zeit oft Social Media Posts über Polizeibrutalität, systematischen Rassismus und den industriellen Gefängniskomplex.
Wenn du eine detaillierte Zeitleiste zur jüngsten Entwicklung von “woke” sehen möchtest, dann schau unbedingt in den Artikel von Charles Pulliam-Moore auf Splinter
Bye bye Empowerment: Von der Subkultur zum Mainstream
#StayWoke ist die Mahnung daran, dass es mehr als eine Realität gibt. Eine Erinnerung, die eigenen Privilegien (oder nicht existierenden) zu hinterfragen. Es ist ein Ausdruck, der zum kritischen Denken über soziale Fragen und Ungerechtigkeiten anregen soll. Doch inzwischen ziert der Begriff viele englischsprachige Headlines. Es verwässert die Bedeutung, die Intention. Von der Subkultur verwandelt sich der Begriff zu einem popkulturell Ausdruck von Ironie. Charles Pulliam-Moore beschreibt auf Splinter den Bedeutungsverlust von “woke”, als eine Tragödie. Es sei schmerzhaft. “Wie #SayHerName oder #IfIDieWhileInPoliceCustody war #StayWoke eine Zeit lang ein legitimes Wort für Schwarze, um sich gegenseitig daran zu erinnern, sich die Schwarzen Kämpfe in einer Zeit der systematischen Ungerechtigkeit, bewusst zu sein.” “Woke” bedeutet somit auch: Du bist nicht allein. Doch nun entwickelt es sich zu einer Hülle ohne Substanz.
Die intellektuelle deutsche Schwarze Elite: “Sie ist nicht woke”
Jetzt haben wir ziemlich lange über den Teich geschaut. Doch wie steht es um Deutschland? In der Schwarzen, intellektuellen Szene ist “woke” im heimischen Vokabular bereits eingenistet. Es wird sogar zur Kategorisierung verwendet, um jemanden verbal zu degradieren, der/ die nicht dem eigenen intellektuellen Gustus entspricht. Sätze, wie “sie ist nicht woke”, beschreibt: Die Person sieht Rassismus, Sexismus, Klassizismus nicht. Und: Diese Person ist nicht “eine/r” von uns. Dabei ist Schwarzsein kein Zuckerschlecken. Ob woke oder nicht. Ich habe auch viele Jahre behauptet, dass ich “keine Rassismuserfahrungen” gemacht habe und das alles Friede-Freude-Eierkuchen sei. Bis der Schalter umschlug, der Groschen fiel und ich erwachte. Doch diese Prozesse sind intim, einfach weil sie so schmerzhaft sind. Jede Person geht anders damit um. Es gibt unterschiedliche Mechanismen in dieser weiß-dominierten Welt zu bestehen und jeden Tag über Rassismus, Sexismus oder Klassizismus zu sprechen, ist ermüdend, fast schon lähmend. Also, statt “sie ist nicht woke” zu sagen, zu denken, zu kategorisieren, braucht es mehr Verständnis für die individuellen Entwicklungen und auch eine Akzeptanz, dass es kein Optimum des Schwarz-seins gibt. Das Konzept des Protests ist komplex, wenn du selbst nicht so genau weißt, wer du bist. Die ursprüngliche Bedeutung von “woke” kritisierte die fundamentalen Systemfehler, doch es evolutionierte zu einer gegenseitige Degradierung innerhalb der Schwarzen Community. Wir sollten unsere Energie bündeln, denn wer profitiert letztendlich von diesen “Community internen” Auseinandersetzungen?
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