White feminism – eine (un-)endliche Geschichte?
Lange Zeit habe ich angenommen, dass Feministinnen nicht rassistisch sein können oder zumindest keine rassistischen Denkmuster aufweisen können. Denkste! Weißer Feminismus ist nicht gezwungenermaßen anti-rassistisch. Wie feministisch ist es, wenn Gleichberechtigung nur bis zum Geschlecht reicht und bei der Hautfarbe endet.
Intersektionalität ist der Schlüssel
Intersektionalität. Wir, als BIWoC (Black, Idenginous and Women of Color), sind doppelt betroffen – sowohl von Sexsimus als auch von Rassismus. Eine Doppelbelastung. Edition F hat erst kürzlich auf Instagram folgendes Zitat der Ungleichheitsforscherin Aylin Karabulut gepostet: “Wir müssen lernen, intersektionale Mehrfachdiskriminierung zu berücksichtigen, denn Schwarze Frauen sind nicht heute von Rassismus betroffen und morgen von Sexismus – beide finden gleichzeitig statt. Feminismus muss daher intersektional sein, um nicht weitere Ungleichheit herzustellen und zu manifestieren.”
Die Beanspruchung der Deutungshoheit über kultureller Eigenheiten ist an rassistischer Denkweise kaum zu übertreffen
An dieser Stelle möchte ich ein Beispiel einbringen, warum der Mainstream-Feminismus hierzulande oftmals noch sehr weiß und elitär geprägt ist und dabei Deutschlands wohl bekannteste, inzwischen umstrittene, Feministin ins Spiel bringen: Alice Schwarzer. Sie kann als DIE Wegbereiterin des Deutschen Feminismus betrachtet werden. Des deutschen, weißen Feminismus, denn: Sie reproduziert Rassismen.
Eine ihrer Hauptargumentationspunkte im Kampf gegen das vorherrschende Patriarchat ist das muslimische Kopftuch. Muslimische Frauen werfen Alice Schwarzer vor, rassistisches Verhalten an den Tag zulegen, da Schwarzer das Kopftuch als das ultimative Symbol für die Unterdrückung der Frau sieht. Sie spricht kopftuchtragenden Frauen also jegliche Art von Feminismus ab. Dadurch eignet sie sich die Deutungshoheit über ein kulturell-religiöses Symbol an, das außerhalb ihres Kulturkreises besteht und von ihr daher nur sehr begrenzt verstanden und bewertet werden kann. Die Übernahme der Deutungshoheit über eine Sache, die Schwarzer selbst nur sehr begrenzt einschätzen kann, da ihre kulturelle Prägung und Sozialisierung eine andere ist, ist eine Reproduzierung von Rassismen.
Gleichzeitig ist die Deutungshoheit über und Bewertung von Kulturen und die damit einhergehenden Bräuche, Riten sowie Kleidung eurozentrischer Rassismus, frei nach dem Motto: Ich, als weiße Europäerin, sage dir, wie du die Welt sehen sollst bzw. kategorisieren sollst. Schwarzers Feminismus ist eindimensional, nicht intersektional und exklusiv. Er schließt so ziemliches alles aus, was nicht der weißen europäischen Norm entspricht. Schwarzer hat den weiterfahrenden Zug der Feminismusbewegung scheinbar verpasst. Das macht es für BIWoCs schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, sich mit Feminismus á la Alice Schwarzer zu identifizieren, wenn er doch genau die Problematik darstellt, die weißer, exkludierender Rassismus für uns darstellt.
Schwarzers 70er Jahre Feminismus passt nicht in die heutige Zeit
Wie alles in dieser Welt entwickelt sich auch die Feminismusbewegung weiter und nimmt neue Ideen auf, verwirft alte Ansichten, diskutiert diese und versucht, im besten Fall, einen Konsens zu finden. Und er passt sich (muss sich!) an neue, sich verändernde Gesellschaftsstrukturen an.
Es gibt nicht nur DIESEN EINEN Feminismus – Feminismus ist divers, da er intersektional ist.
Als eine Vertreterin eines aufgeklärten, intersektionalen Feminismus, der weiß und inklusiv ist, kann Margarete Stokowski bezeichnet werden. Sie könnte als eine aufgeklärte, sich den unterschiedlichen Feminismen unterschiedlicher ethnischen Gruppen bewussten, Feministin bezeichnet werden. Und sie erkennt Rassismuserfahrungen Schwarzer Frauen und die dadurch veränderte Form des Feminismus an. Vielleicht liegt das auch an ihrem zwar nicht sichtbaren, aber dennoch vorhandenen Migrationshintergund, der sie auf einer sprachlichen Ebene Diskriminierung hat erfahren und spüren lassen.
Dennoch muss Rassismus auch ohne Rassismuserfahrung von der Nicht-marginalisierten Gruppe auskommen und anerkannt werden.
Die eigenen Nicht-Erfahrungen können nicht als universeller Maßstab oder Standard gelten. Auch dies ist die Aneignung der Deutungshoheit.
Sowohl Rassismus als auch Sexismus beruhen auf Machtstrukturen. Das heißt, dass eine mächtige Gruppe, Macht gegen eine weniger mächtige Gruppe ausübt: Die weniger mächtige Gruppe wird ausgeschlossen und ungleich behandelt, also diskriminiert. Hier handelt es sich natürlich um eine Einbahnstraße, denn eine Gruppe mit weniger Macht, hat kaum dieselben Möglichkeiten zur Hand, wie eine mächtigere Gruppe. Reversiven Rassismus und Sexismus gibt es also schlicht und ergreifend nicht. Das Relativieren eben dieser Machtstrukturen durch Teile der mächtigen Mehrheitsgesellschaft, führt zu unreflektierten Weißen Feminismus.
http://rosa-mag.de/ist-feminismus-nur-fuer-weisse-frauen/
Erst kürzlich habe ich auf einer Facebookseite, die sich mit feministischen Filmen und Serien beschäftigt, folgenden Kommentar einer weißen Frau zu der unglaublichen guten Serie Insecure (in der Schwarzer Feminismus zur Hauptthematik gehört) gelesen:
“Sehr gute Serie (die Problematik der Rassenkonflikte ist sehr auf [die] USA [zu]-geschnitten natürlich, aber der feministische Ansatz ist witzig anzugucken.)”
An dieser Stelle möchte ich auf die problematische Wortwahl eingehen: das Wort “Rasse” wurde von den Nazis missbraucht, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und Menschen als wertvoll oder minderwertig zu kategorisieren, also abzuwerten, und Ihnen somit ihre Menschenwürde abzusprechen. Aber auch schon davor haben Persönlichkeiten, wie beispielsweise Immanuel Kant, Wertigkeitskategorien aufgestellt, wonach Menschen mit heller Hautfarbe wertvoller dargestellt wurden, als Menschen dunkler Haut. Rasse ist also ein durch und durch negativ assoziierter Begriff.
Neben der problematischen Wortwahl spiegelt diese Aussage genau das Problem des weißen Feminismus wider – er schließt BIWoCs und deren Lebensrealität aus. Denn weiße Frauen sind von Diskriminierung in Form von Sexismus betroffen, nicht aber von Rassismus. Für BIWoCs wiederum ist Rassismus ein Teil ihres Alltags. Die Diskriminierung hört für BIWoCs nicht beim Frau-Sein auf, er beinhaltet auch rassistische Konflikte und Erfahrungen, die die sexistischen Erfahrungen sogar noch intensivieren.
Und, ganz nebenbei, gibt es auch hierzulande Rassifizierung. Denn auch in hier in Deutschland leben Schwarze Frauen, deren Lebensrealität geprägt ist von Rassifizierungen. Sie mögen in andere Form erscheinen, sind aber trotzdem Realität. Der Kommentar verleugnet diese Realität und bezeichnet sie dadurch als unwahr.
BiWoCs (Black, Indigenous Women of Color) sind sehr zahlreich auf dieser Welt vertreten, wenn man sich den demographischen Aufbau/Verteilung der Weltbevölkerung ansieht. Im Kampf gegen Ungerechtigkeit aufgrund des Geschlechts, zumindest so wie er derzeit vielerorts betrieben wird, entstehen neue Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. Das hört sich im Bezug auf Feminismus nicht nur konträr an, das ist es auch. Es ist paradox.
Wer Gerechtigkeit fordert, muss diese auch anderen gewähren. Feminismus MUSS intersektional sein, sonst ist er nicht authentisch und hat erst recht weder Bestand noch Wert für sehr viele Frauen dieser Welt.
Selbstreflexion ist der Schlüssel
Dies bedeutet aber auch gleichzeitig Verantwortung für sein eigenes Handeln und Denken zu übernehmen und sich seinen eigenen Unzulänglichkeiten zu stellen. Es könnte also unbequem werden.
Manche halten aber an ihrer Show fest. Genau das bezeichnet man als White fragility. Die “Weiße Fragilität”. Es ist ein recht neuer Begriff, der erst in den letzten Jahren immer mehr Verbreitung gefunden hat, vor allem in gesellschaftskritischen Medien. In Verbindung mit White fragility steht auch der Begriff White tears. Und eben diese Weiße Fragilität hindert weiße Feministinnen daran, den Rassismus, den WoC ausgesetzt sind, anzuerkennen.
Die Grundvoraussetzung einer Bewegung, die Ungerechtigkeit anklagt und Gleichstellung fordert, muss zuallererst dafür sorgen, dass sie selbst keine Diskriminierung in jeglicher Form reproduziert und damit Personengruppen marginalisiert und ausgrenzt. Was wir brauchen ist eine produktive, schwesterliche, inklusive Zusammenarbeit, und keine exklusiven Grabenkämpfe, die einen Keil zwischen uns treiben. Wir müssen unsere Kräfte vereinen, Allianzen eingehen, uns gegenseitig stärken. Dazu gehört auch, die Lebensrealität aller Beteiligten anzuerkennen und zu akzeptieren. All diese Punkte beschreiben einen aufgeklärten, inklusiven und modernen Feminismus, der unser aller Vorankommen fördert.
Sophia
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