Wir brauchen keine Afrohaar-Journey, wir brauchen eine Afrohaar-Ruhe!
Und warum du aufhören solltest, an deiner Haarlänge zu arbeiten.
Als ich sieben Jahre alt war, lag ich mit meinem fliegenden Teppich vor dem klobigen, anthrazitfarbenen Fernseher in meinem Kinderzimmer. Mit großen Augen betrachtete ich Jasmin von Aladdin mit ihren langen, dicken, schwarzen Locken. Hastig lief ich ins Badezimmer und schnappte ein leuchtendes rosa Handtuch sowie gelb gepunktete Haargummis. Vor dem Fernseher angekommen, befestigte ich dann das Tuch, die drei gelben Bänder in meinem Handtuchhaar genau wie Jasmin,. Ich sprang auf und sang lautstark die verliebten Worte von Aladdin und Jasmin mit: „A whole new world!“ Meine perfekte und ganz neue Welt war zu dieser Zeit, genauso lange Haare wie Jasmin zu haben.
Gen Norden schlafen, dreimal im Kreis drehen und weitere Afrohaar-Wachstumsmythen
Seitdem ich klein war, hatte ich ein Ziel: Lange Haar zu haben. Meine Abkürzungen waren eine Weave, relaxte Haare oder Braids, doch in meinem Herzen fühlte sich das nach einer Schummelei an. Es war keine ehrliche Errungenschaft. Es war einfach nicht echt. Das war nicht ich. Doch ich bin mit diesen Gedanken nicht alleine. Es gibt so viele wundervolle schwarze Frauen, die dem Wunsch nach einer langen natürlichen Afromähne hinterher jagen. Mythen, Tipps, Tutorials, ich möchte gar nicht über die Menge an Geld, Zeit oder Schmerzen denken, die wir bereit sind auszugeben und zu ertragen. Wobei es in den USA sogar handfeste Statistiken gibt: Schwarze Frauen zahlen das neunfache mehr für ihre Haarpflegeprodukte, als alle anderen Frauen. Sobald du bei Google die drei Wörter “Afro hair growth” eingibst, erscheinen ganze 27.500.000 Beiträge, Vorschläge, Videos, Guides, die sich teilweise ergänzen, aber meistens eher widerlegen. Jojobaöl, Nachtkerzenöl, kämmen, nicht kämmen, häufig waschen, überhaupt nicht waschen oder dreimal im Kreis drehen, mit dem Kopf in Richtung Norden schlafen und Uga-Uga schreien -es gibt mehr Verschwörungstheorien über den Afrohaarwachstum, als über Tupac Sharkus Überleben, die Reichsbürger, das World Trade Center und die Illuminatis zusammen!
Eine kleine Übersicht von den #Afrohaarjourneys auf Pinterest.
Mit den Wünschen spielen – die Auswirkung des Marketings
Es ist eine Maschinerie, gepaart aus Marketing und puren Kapitalismus – das Spiel mit dem Wunsch nach wunderschönen langen und echten(!) Afrohaaren. Der Heilige Gral, die Inbegriff von heteronormativer Femininität, die Erleuchtung und endlich ankommen, das erwartet mich, sobald ich ganze 30 Euro für ein 5ml winziges kleines Ölchen ausgebe. Selbstverständlich sollte es täglich angewendet werden und auch wenn ich am Ende ganze 200 Euro leichter bin, ist es egal. Mit den perfekten langen Afrohaaren gehöre ich zu den wenigen, die den Code geknackt haben! Das Genetik, Ernährung sowie Umwelteinflüsse eine signifikante Rolle spielen, lassen wir mal außer acht. Mit einem Tropfen von der Hanf-trinkenden-Ottermilch ist das alles vergessen. Natürlich gibt es einen gewissen Grad an Beeinflussungsmöglichkeiten, doch bei zu unrealistischen Zielen, gleicht es, als würde ich mit meinen untrainierten Armen gegen den starken Strom eines wilden Flusses schwimmen. Es frustriert, macht müde und kann verletzten.
Afro Haar Journey das Pendant zum Vor-Nachher-Fitness Hype
So sehr ich auch diese ganzen Natural Hair Journey Beiträge liebe, stört es mich, dass sich eine große Auswahl auf das Ziel konzentriert, statt zu sagen: „Hey, genauso, wie du jetzt bist, bist du einfach wunderschön!“ Nein, statt mit Smoothies für den perfekten Po und mit Diättabletten für einen flachen Bauch zu werben, positionieren Unternehmen das perfekte Model, mit Afrolocken, die gefühlt bis zu den Fußnägeln reichen und suggerieren: Das kannst du auch sein! Sie spielen mit diesem sensiblen Wunsch, gerade in einer Mehrheitsgesellschaft, wo ich mit meiner weißen Freundin zeitgleich die Haare schneide und sie nach sechs Monaten wieder zum Friseur muss, weil ihre Haare bis zum Boden reichen, während meine Afrohaare, statt in die Länge, einfach in die Breite gehen. Auch ich hetzte, diesem unrealistischen Ziel, eine Haarlänge oder Struktur zu erreichen, die ich vermutlich niemals Erlangen werde, hinterher. Ich schmierte und schmierte und meckerte und meckerte so lange, dass ich gar nicht sah, was ich hatte: Wundervolle Haare. Doch es geht schneller, besser und selbstverständlich auch schöner, zeigt mir zumindest der Hashtag #naturalhairjourney.
Wir brauchen keine Afrohaar Journey, wir brauchen eine Afrohaar Ruhe!
Doch nun, ist es mir auch fast passiert. Ich bin in die Falle getappt. Als ich gerade über neue Themen für RosaMag nachdachte, erwischte ich mich dabei, wie ich „5 Tipps, damit deine Afrohaare schnell wachsen“, aufschreiben wollte und musste innehalten. Für mich ist Empowerment nicht, dir einen Tipp zu geben, der eventuell nicht klappt. Für mich ist es wichtig, dass du gesund und glücklich bist. Ich möchte nkeineicht Versprechungen machen, sondern einen offenen Dialog darüber starten, dass es mehr schwarze Frauen braucht, die ihre Varietät zeigen! Zeigen, dass es Kinky Curls gibt, wobei der Name bereits einen eigenen neuen Beitrag wert wäre, da er eine negative Konnotation hat, kurze, kleine, große, voluminöse, flache, braune, schwarze, mit grauen Strähnen dazwischen, blond – es gibt so viele wundervolle Afrohaare! Was wir in Wahrheit brauchen, ist mehr Sichtbarkeit, statt immer wieder die gleichen Bilder zu sehen!
Vielleicht hätte sich dann mein kleines siebenjähriges Ich, nicht ein Handtuch als vermeintliches Haar aufgelegt, sondern wäre stolz mit meinen kurzen Afrolocken herumgesprungen. Dann hätte ich mir keine ganz neue Welt gewünscht, sondern die aktuelle genossen. Aus diesem Grund, ist es Zeit für eine Afrohaar-Ruhe-Bewegung! Locke für Locke, Kraus um Kraus sollten wir jeden Winkel unserer Afrohaare zelebrieren. Bist du dabei?
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