Ashley Yates: „Wir sind die, auf die wir gewartet haben. Wir sind diejenigen, die uns retten werden.“
Fotocredit: Adrees Latif/ Reuters
Im Gespräch mit Aktivistin Ashley Yates
„Den Leuten ist nicht wirklich bewusst, dass Ferguson kein Protest war, der über ein paar Tage oder Wochen ging. Es waren Hunderte von Tagen. Ich war sechs Monate da draußen, fast jeden Tag. Es war ein täglicher Widerstand. Das durchzumachen, traumatisiert dich“, sagt die Aktivistin Ashley Yates im Gespräch. Nach dem gewaltsamen Tod von Michael Brown Junior ging sie 2014 in Ferguson, Missouri auf die Straße, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Die internationale Bewegung Black Lives Matter, hier nahm sie ihren Anfang. Ashley half sie groß zu machen. Inzwischen wohnt sie in Oakland, Kalifornien. Dort ist sie nach den Protesten hingezogen, „größtenteils um zu heilen“, wie sie selbst sagt. Die Demonstrationen nach George Floyds Tod haben sie wieder auf die Straßen geholt.
Im Gespräch mit RosaMag erzählt die Aktivistin von der derzeitigen Lage in Oakland. Sie spricht über Black Lives Matter und die Proteste in Ferguson und erklärt, warum Schwarze Menschen weltweit sich auf sich selbst verlassen müssen, um echte Veränderung zu erreichen.
Wie ist die aktuelle Situation vor Ort in Oakland?
Wir konnten vor ein paar Tagen mit der Aktion „Fuck you Curfew“ die Ausgangssperre aufheben. Dafür sind viele Schwarze und POC- Organisationen zusammengekommen. Die Community hat sich versammelt und all unsere Allys dazu aufgerufen uns beizustehen. Es waren Tausende Menschen auf den Straßen. Am nächsten Tag wurde die Ausgangssperre aufgehoben. Die Menschen sind frustriert, sie sind wütend und organisieren sich deshalb auf den Straßen.
Wir haben in den letzten sechs Jahren viel gelernt, von Ferguson, von Baltimore. Wir konnten die Bewegung wachsen sehen. Die Leute versuchen die Dinge jetzt anders anzugehen. Es werden nicht mehr nur Verhaftungen gefordert oder die Freilassung von Verhafteten. Das System muss sich verändern. Ich erinnere mich, als wir in Ferguson anfingen, sagten wir den Leuten, dass es nicht nur um Mike Brown ginge. In jeder Stadt gäbe es einen Mike Brown. Und es scheint, als würden die Leute das dieses Mal wirklich verstehen.
Gibt es noch weitere Unterschiede zu den Protesten in Ferguson und Baltimore?
In Ferguson haben wir Black Lives Matter wirklich verkörpert. Wir hatten verstanden, dass es an der Zeit war, die Dinge zu ändern. Wir haben unsere Leben riskiert und sind auf die Straßen gegangen. Gerade fühlt es sich an, als wäre das bei noch viel mehr Menschen endlich angekommen. Der Hauptunterschied ist aber, dass jetzt auch weiße Menschen mit uns protestieren. Vorher waren es vor allem Schwarze Menschen und People of Color. Es gehen Leute mit den unterschiedlichsten sozioökonomischen Backgrounds auf die Straße. Die Akzeptanz ist viel größer. Fast jedes große Unternehmen in den USA hat sich zu dem Thema positioniert. Marken, die sich früher nicht geäußert haben, weil sie dachten, so könnten sie Geld verlieren. Jetzt müssen sie sich äußern, um keine Kund*innen zu verlieren.
In den sozialen Medien werden derzeit Bilder von knienden Polizist*innen verbreitet. Gleichzeitig gibt es Videos von den gleichen Polizist*innen, die mit äußerster Härte gegen die Demonstrierenden vorgehen. Passiert das auch in Oakland?
Die Polizei beherrscht das Schauspielern. Sie spielen ein Theaterstück, das die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen soll. Ich habe die Bilder gesehen. Überall im Land Polizist*innen, die auf die Knie gehen und 10 Minuten, zwei Stunden später verprügeln eben diese Polizist*innen Demonstrierende. Hier in Oakland spielen sie das Spiel auch. Es ist eine reine PR-Maßnahme.
Als Abolitionistin weiß ich, dass die Polizei nicht reformiert werden kann. Wie reformiert man Gewalt? Du kannst ein Genick nicht sanfter brechen.
Rassistische Polizeigewalt ist tief verankert in der US-amerikanischen Geschichte. Kann das Polizeisystem überhaupt reformiert werden?
Ich bin Abolitionistin. Ich glaube, dass die Polizei abgeschafft werden muss. Zum einen, weil sie nicht immer existiert hat und zum anderen baut ihre Existenz auf den früheren Slave Patrols auf. Diese sollten damals die Bewegung Schwarzer Menschen verhindern. Sie sollten uns davon abhalten, uns zu organisieren, uns zu versammeln und für unsere Freiheit zu kämpfen. Diese Wurzeln sind die Grundlage für alles, was diese Institution tut. Die Polizei agiert 2020 in derselben Funktion, wie damals, weshalb das gesamte System abgeschafft werden muss.
Auch das Gefängnissystem lässt sich nicht reformieren. Es ist eine direkte Erweiterung des Polizeisystems. Als Abolitionistin weiß ich, dass beide nicht reformiert werden können. Wie reformiert man Gewalt? Du kannst ein Genick nicht sanfter brechen. Genau das macht die Polizei gerade. Wenn ich mir ihre Funktion anschaue, wenn ich ihre Auswirkungen betrachte, wenn ich mir anschaue, wofür sie in meiner Community verantwortlich sind, gibt es nichts, was ich reformieren möchte.
Gibt es etwas, was du in der jetzigen Situation von internationalen Organisationen und Institutionen erwartest?
Nicht wirklich. Wir müssen verstehen, dass wir die Menschen sind, die etwas verändern werden. Unsere Community: Wir sind die, auf die wir gewartet haben. Wir sind diejenigen, die uns retten werden.Es hat einige Jahre gebraucht, bis ich das verstanden habe. Wir haben uns damals in Ferguson zuerst an die lokalen, demokratischen Politiker*innen gewendet. Sie haben nichts getan. Deshalb sind wir einen Schritt weitergegangen. Ich war eine der wenigen, die damals von Obama ins Weiße Haus eingeladen wurde. Er hat die Verantwortung von sich geschoben, meinte, die Polizei sei eine souveräne Einheit und er könne nichts für uns tun.
Also beschlossen wir uns an die Vereinten Nationen zu wenden. Ich bin damals in die Schweiz gereist, um auszusagen. Wir wollten in die Fußstapfen von Malcolm X steigen und Klage gegen die USA wegen Menschenrechtsverletzungen und Völkermord erheben.
Wie hat die UNO reagiert?
Einige Monate später veröffentlichten sie einen Bericht über unsere Arbeit, in dem sie im Grunde alles unterstützten, was wir gesagt haben. Es folgten aber keine Taten, weil die Vereinten Nationen die imperialistischen USA nicht sanktionieren. Was sollten wir also tun? Wir sind zurück nach Hause gefahren mit der Erkenntnis, dass Veränderung nur aus der Community heraus möglich ist. Sie muss von den Menschen kommen, die dort leben und betroffen sind. Das ist das Erste, was die Leute verstehen müssen. Wenn ein*e Stadträdt*in oder der*die Bürgermeister*in beispielsweise ein Gesetz nicht verabschiedet, was dann? Passiert einfach gar nichts? Nein, wir müssen Umwege finden und Dinge auch ohne Gesetze in unserer Community verankern. Diese Macht haben wir. Natürlich ist die systematische Unterdrückung Schwarzer Menschen nichts, was in einem Jahr, in fünf oder zehn Jahren gelöst werden wird. Aber wir können Fortschritte machen. Dafür müssen wir dieses Momentum jetzt nutzen.
Wir müssen uns global organisieren, um uns von diesem System zu befreien. Wir können uns nicht einfach innerhalb der Nationalstaaten organisieren, die uns aufgezwungen wurden. Das macht keinen Sinn.
Sollte der Panafrikanismus dabei auch eine Rolle spielen?
Ja, wir müssen verstehen, dass dieser Kampf international ist. Die USA profitieren davon, dass wir uns getrennt betrachten, von dem Rest unserer Schwarzen Geschwister rund um den Globus. Je mehr wir uns untereinander verlinken, desto mehr werden wir realisieren, dass unsere Unterdrückung global organisiert ist. Wir werden überall in bestimmte sozioökonomische Situationen und an bestimmte Orte gedrängt.
Diese Grenzen wurden von Imperialisten geschaffen. Wir müssen uns global organisieren, um uns davon zu befreien, um uns von diesem System zu befreien. Wir können uns nicht einfach innerhalb der Nationalstaaten organisieren, die uns aufgezwungen wurden. Das macht keinen Sinn. Es liegt so viel Macht im Panafrikanismus.
Du bist schon seit zwanzig Jahren Aktivistin. Hattest du auch Probleme mit dem Aktivist*innen-Burnout?
Absolut. Die Polizeigewalt und der Krieg gegen die Community, wie wir ihn in Ferguson überlebt haben, hatten Auswirkungen auf die Seele. Den Leuten ist nicht wirklich bewusst, dass Ferguson kein Protest war, der über ein paar Tage oder Wochen ging. Es waren Hunderte von Tagen. Ich war sechs Monate da draußen, fast jeden Tag. Es war ein täglicher Widerstand, bei dem wir immer wieder mit den Dingen konfrontiert wurden, die die Menschen jetzt erleben. Das durchzumachen, traumatisiert dich.
Diese staatliche Gewalt gegen Schwarze Körper wird nicht anerkannt. Wir sprechen nicht darüber, was passiert, wenn dir die eigene Regierung in deinem eigenen Land eine Posttraumatische Belastungsstörung gibt. Was passiert, wenn deine eigene Regierung deine Stadt einnimmt, sie mit Militärs besetzt und dich faktisch einsperrt. Hinzu kam die emotionale Arbeit, das Gefühl ständig gegen eine Wand zu rennen. Niemand erklärt dir, wo du Hilfe dafür bekommen kannst, wenn du so etwas durchgemacht hast.
Und wie ging es für dich weiter?
Ich bin nach Ferguson nach Oakland gezogen, um den Widerstand weiter zu organisieren. Größtenteils aber, um zu heilen. Kalifornien ist ein wunderschöner Staat in Wassernähe. Ich wollte in die Natur, habe mit dem Gärtnern angefangen.
Planting Justice, die Organisation, für die ich jetzt arbeite, konzentriert sich auf die Erde, Gerechtigkeit und Lebensmittelgerechtigkeit Das war sehr wichtig für mich. Aktivismus ist meine Berufung. Ich bin seit 20 Jahren in irgendeiner Form aktiv, seit ich ein Teenager war. Das ist eine lange Zeit. Und es ist von Jahr zu Jahr mehr geworden. Ich habe für mich selbst gelernt, ich habe von meinen Ältesten gelernt, wie man auf sich selbst aufpasst und sich daran erinnert, dass wir einen langen Weg vor uns haben. Dieser Kampf wird anhalten, solange ich lebe und wahrscheinlich darüber hinaus. Schwarze Menschen werden weiterhin für die Anerkennung ihrer Rechte kämpfen.
Hast du Tipps für junge Aktivist*innen?
Du kannst nicht immer weiter und immer weitermachen. Respektiere, dass es dir manchmal nicht möglich sein wird auf die Straße zu gehen. Aktivist*innen fühlen sich schlecht, weil sie ein Jahr freinehmen, weil sie in der Zeit nichts “Aktivistisches” machen. Auf sich selbst aufzupassen ist aber schon ein Teil davon.
Solange dein Herz noch in diesem Kampf steckt, solange du verstehst, dass du in diesem Kampf noch etwas zu tun hast, bist du immer noch bei uns. Erst wenn dein Herz nicht mehr bei der Sache ist, hast du den Kampf verloren.
Wie können wir euch von hier aus unterstützen?
Am besten wäre es tatsächlich, wenn sich die Leute individuell Menschen, die jetzt in Not geraten sind, raussuchen, in den sozialen Medien vielleicht, und diese direkt finanziell unterstützen. Je lokaler die Spende, desto mehr Einfluss hat sie auch. Eine lokale Organisation, die ich empfehlen kann, ist das East Oakland Collective.
Wenn ihr an größere Organisationen spenden wollt, stellt sicher, dass ihr nachverfolgen könnt, was mit eurem Geld passiert.
Celia
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