Ausgrenzung wegen Hautfarbe verdoppelt sich – doch die traurige Wahrheit hinter diesen Zahlen
Bild: Maarten van den Heuvel
Hanau und die N-Wort-Debatte – es fühlt sich so an, als würden wir gigantische Schritte zurückfallen. Ist das eine subjektive Beobachtung oder Fakt? Als ich mit der afrodeutschen Historikerin Katharina Oguntoye sprach, wirkte sie optimistisch. Immerhin wird das N-Wort nicht mehr im Fernsehen verwendet, war ihr begeisterter Ausspruch. Das dauerte mehr als dreißig Jahre. Tut es ja eigentlich immer noch, immerhin hat das Gericht in Karlsruhe deklariert, dass die Begrifflichkeit nicht per sé rassistisch sei. Nichtsdestotrotz: Wird Rassismus schlimmer oder weniger? Von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gibt es eine Antwort: Es wird schlimmer.
Wir brauchen Allys
Laut dem Deutschlandfunk erhält die Antidiskriminierungsstelle des Bundes vermehrt Meldungen, in denen Menschen rassistisch bedingte Benachteiligungen erleben. Die Gründe sind mannigfaltig. Zum einen verändere sich das gesellschaftliche Klima, was eine überaus milde Formulierung ist, wenn man sich die Morde in Hanau anschaut, aber auch ein gestiegenes Interesse den Betroffenen zu helfen. Letzteres sind gute Nachrichten. Auf dem Weg in eine gerechtere Gesellschaft brauchen wir Allys, etablierte Advokat*innen, die Rassismus sowie Diskriminierung sehen und aktiv dagegen vorgehen. Das Konzept des Allytums ist in den USA bereits fest verankert, während es in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt.
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Doch ob die Diskriminierung zunehme, lässt sich nicht ganz zweifelsfrei belegen. Konkrete Zahlen folgen im Jahresbericht, heißt es. Nach Angaben des Familienministeriums lässt sich aber hochrechnen, dass sich die Fälle innerhalb von zehn Jahren wohl mehr als verdoppelt haben. Jetzt haltet euch fest von 462 Meldungen auf 855. Die Zahl wirkt schwindelerregend klein. Es soll nur 855 Vorfälle geben? In einem ganzen Jahr? Obwohl jede vierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund hat? Keinen sichtbaren, zugegeben.
Eine andere Zahl stammt vom Bundesinnenministerium aus dem Jahr 2018 und zwar wurden hierbei 7.701 rassistische Straftaten gemeldet. Das waren rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. 971 der Delikte waren Gewalttaten. Wobei die Kategorisierung bereits problematisch ist. In der Statistik des BMI werden rassistische Delikte als „fremdenfeindlich“ bezeichnet. Der Begriff ist in der Hinsicht umstritten, weil es einerseits ungenau ist, zur gesellschaftlichen Andersmachung beiträgt und letztendlichen den rechten Ductus in die Hände spielt und die Perspektiven der Täter*innen einnimmt.
Diskriminierende Menschen sind nicht dumm
Diskriminierung ist subtil und Menschen die diskriminieren sind nicht dumm. Manchmal schon, wie der Fall mit JD Sports Deutschland zeigt. Landu João erfuhr, dass es eine offene Stelle als Verkäufer in einer Filiale in Köln gab. Allerdings nicht für ihn. Per Whatsapp erhielte er die Nachricht “Keine Schwarzen” gemeinsam mit einem Hitler-Emoji. Das ist tief rassistisch und gleichzeitig konnte João diesen Vorfall beweisen. Diese perfide Whatsapp-Unterhaltung ging viral. Doch im Gespräch mit der afro-österreichischen Journalistin Imoan Kinshasa mit Vice erklärte Landu João: „Ich bin für die Leute jetzt gebrandmarkt als ein Risikofaktor, weil ich für meine Grundrechte einstehe.” Damit hat er (leider) recht und reißt damit einen Grund an, warum es bei den 855 Fällen, zu dem er vermutlich von nun an dazugezählt wird, eine exorbitante Dunkelziffer gibt. Einfach, weil Schwarze Menschen nicht als “schwierig” und “anstrengend” deklariert werden möchten, auch wenn sie gegen den strukturellen Rassismus vorgehen. Dieser beeinträchtigt sie bereits in der Berufswahl, schulischen Potentiale und Joboptionen. Hinzu kommen verbal geäußerte diskriminierende oder rassistische Vorfälle, wie Simone es erlebte. Simone ist Physiotherapeutin und wurde kurz vor dem Ende ihrer Probezeit gekündigt, weil sie, so lautete die Aussage der damaligen Geschäftsführerin, in den Männer dominierenden Bereich nicht hinein passe. “Und die Vorgesetzte hat die Aussage in einem Gespräch ohne Zeugen gemacht. Die Vorgesetzte war zu diesem Zeitpunkt noch Geschäftsführerin und hat das Rehazentrum Augsburg fünf Jahre lang geleitet. Seit Januar 2020 gibt es einen neuen Geschäftsführer, sowie zwei therapeutische Leitungen, die ebenfalls männlich sind. Ihre Aussage mir gegenüber bezog sich auf diese Personen und sie hat diese Aussage mir gegenüber dreimal geäußert, da ich zunächst nicht verstehen wollte was sie damit meint.” Simone klagte. Ohne Erfolg. Es handelt sich um Aussage gegen Aussage.
Was ist die Lösung?
Erst vor kurzem habe ich selbst einen rassistischen Fall erlebt und dachte nicht eine Millisekunde daran es zu melden. Mein Umfeld kam auf die Idee. Ich nicht. Einfach, weil ich nicht daran denke, dass der Rechtsstaat auf meiner Seite ist. Urteile, wie die N-Wort-Debatte, begünstigen diese Skepsis. Hinzu kommen, Skandale, wie die NSU, Schlagzeilen über rechte Tendenzen bei der Polizei – all das machen den Schritt über Rassismus in einem weißen-tendenziell-rechten Normativ zu erläutern, unrealistisch. Doch ist das die Lösung? Natürlich nicht! Deshalb bin ich Landu João sowie Simone überaus dankbar, dass sie die Energie und Kraft aufbringen, gegen strukturelle Ungerechtigkeit vorzugehen. Ernüchternd stelle ich fest, dass es mich nicht schockiert, dass in Deutschland rassistische und diskriminierende Vorfälle zunehmen, doch in Wahrheit glaube ich: Das es weitaus mehr sind.
Ciani
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