Helga Emde: “Zukunft heißt für mich, eindeutig, klar und kompromisslos Stellung zu beziehen.”
“War ich doch gewohnt unsichtbar zu sein, wurde ich durch meine Aktivität verstärkt sichtbar, angreifbar und verletzlich,” erklärt Helga Emde über ihren Politisierungsprozess in Deutschland. Helga ist 1946 geboren, die Mutter von zwei Söhnen, die Oma von drei Enkelkindern, ehemalige Krankenschwester und hat einen Abschluss in Education und Psychology/Counseling. Doch bis dahin, war es ein lange Weg. Durchsetzt mit einigen Hürden. Zwischenstopps, indem sie zur Co-Gründerin von der ISD in Rhein-Main gehört, mit an “Farbe bekennen” arbeitete, an Marion Krafts “Kinder der Befreiung” und vielen weiteren Werken. Mit ihr haben wir über Identität, Selbstliebe, Politisierung, Sexualität und die Zukunft gesprochen.
1) Identität
Rückblickend sage ich, dass sich meine Identität bereits als Kleinkind zu entwickeln begann. Das Anders-sein wurde hervorgehoben.
“Wenn weiße Gesichter sich über mich beugten, um mich zu begutachten, war das der Beginn einer sich bildenden Identität. Wenn diese weißen Finger sich mit meinem Haar vereinten, um kundzutun das ich Rosshaar habe, war das der Beginn meiner Identität.”
Gibt es für ein kleines Mädchen irgendeine Möglichkeit etwas positives zu sehen? Sich gar als schön zu empfinden? Positiv war für mich das Verhalten meiner Mutter, wenn sie auf der Straße in meiner Anwesenheit angesprochen und gefragt wurde, ob ich adoptiert sei. Ihre Antwort war kurz und klar. Nein, sie ist meine Tochter. Mit diesem Eingeständnis wurde sie die Ausgestoßene, die Gefangene. Sie wurde als weiße Frau mit einem Schwarzen Kind sichtbar.
Es war ihr Verhalten, das mir in meiner gesamten Entwicklung half mich durchzusetzen und zu kämpfen, wenn es um Ungerechtigkeit ging. Ein Spruch meiner Mutter der mir bis dato in Erinnerung ist: Wer A sagt, muss auch B sagen. Das heißt, sie bekannte sich in der Öffentlichkeit zu mir als meine biologische, leibliche Mutter.
“Beleidigungen, sei es durch Verhalten oder verbal, waren an der Tagesordnung. Dadurch gab es für mich keine Chance zu einer positiven Identitätsentwicklung, wie beispielsweise meine Gesamterscheinung anzunehmen, zu akzeptieren und/ oder mich zu loben.”
Meine Realität war, mich verstecken zu wollen, nicht aufzufallen, meine Haare nicht sehen zu lassen, meine Lippen zu kneifen, um sie schmaler aussehen zu lassen. Es fehlte in jeglicher Hinsicht an Vorbildern, mit denen ich mich hätte identifizieren können.
2) Selbstliebe
Als junge Erwachsene, in meiner ersten Ausbildung zur Krankenschwester war ich akzeptiert. Weil es ein Beruf des Dienens ist, vorwiegend für weisse da sein zu können. Zu helfen gegen die Schmerzen, für die körperliche Hygiene zu sorgen, inklusive Toilettengang mit Endreinigung. Das waren akzeptierte Tätigkeiten.
Meine zweite Entwicklungsphase war über den dritten Bildungsweg. Ich machte mein Abitur und studierte.(In meinem Freundeskreis waren alle angehende Akademiker:innen, Mediziner:innen, Lehrer:innen sowie Jurist:innen. Ich stieß auf massive Reaktionen. Sie erklärten mir, dass ich doch schon einen Beruf habe. In der Zeit war ich bereits verheiratet mit zwei Kindern. Ich war Hausfrau und Mutter. Das sollte reichen. Für mich klang es, wie als würden sie sagen: “Komm nicht auf den Gedanken dich mit uns gleichsetzen zu wollen“. Ich verlor viele Freunde , als ich studierte. Auch mein Mann studierte. Ich erhielt den Vorwurf, dass ich ihnen den Freund, Bruder etc, entfremde.
Da wurde meine Identität erneut blockiert. Es hinderte mich aber nicht daran, meinen Bachelor in Soziologie und meinen Master in Psychologie, Erziehung und Beratung zu absolvieren.
“Ich war stolz, dennoch spielte ich meine Erfolge herunter. War es doch nicht selbstverständlich für mich, mich in einer anderen gesellschaftlichen Definition (Klasse) einzureihen, meine Identität zu verändern.”
3) Politisierung
Durch meine Tätigkeit in der Evangelischen Kirche und als deren „Black Token“ nahm ich an vielen nationalen und internationalen Konferenzen teil. Vor allem mit dem Schwerpunkt Rassismus. Der Weltkirchenrat in Genf ernannte mich zur Kontaktperson für uns Schwarze Deutsche in Deutschland.
Ich war eine der Founding Mothers/Members der Initiative Schwarze Deutsche/Rhein Main, zu diesem Zeitpunkt war die Initiative Schwarze Deutsche noch nicht offiziell.
Von der Abteilung Combat Racism des Weltkirchenrates in Genf wurde ich beauftragt, ein Curriculum zu entwickeln für anti-Rassismus Seminare und Workshops. Die ursprüngliche Gruppe für diese Tätigkeit bestand aus fünf Personen: Eleonore Wiedenroth, Marie-Theres Aden, Austen Brand, Flois Knolle-Hicks und mir.
Dieser Zeitabschnitt war eine harte, jedoch sehr wichtige Zeit in meiner politischen Weiterentwicklung, die oftmals massiv angstbesetzt sein konnte.
“War ich doch gewohnt unsichtbar zu sein, wurde ich durch meine Aktivität verstärkt sichtbar, angreifbar und verletzlich. Es war eine Zeit des Heraustretens aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit, motiviert, um anderen Schwestern und Brüdern in ähnlicher Situation Mut und Kraft zu geben, wann immer es für sie die richtige Entscheidung ist, ebenfalls herauszutreten aus ihrer Isolation, Einsamkeit und Unsichtbarkeit.”
Als Mutter von zwei Schwarzen Söhnen, war es ein tägliches erinnern, dass meine Söhne nicht zu den gesellschaftlich privilegierten Weissen zählten. Beide Söhne wechselten von der Grundschule zum Gymnasium. Wenn der Lehrer meines jüngeren Sohnes meinte mir empfehlen zu dürfen, dass es für ihn besser sei die Mittelschule zu absolvieren, nicht wissend, dass mein Sohn bereits in seiner neuen Schule angemeldet war. Er musste keinen zusätzlichen Abschlusstest absolvieren, da seine akademischen Leistungen über den Durchschnitt waren.
“Meine Präsenz als Schwarze Mutter war ein Imperativ, ein Schutz für meine Söhne zwischen ihnen und der Welt. Sehr oft hatte ich Angstzustände, dass mir oder meinen Lieben etwas zustoßen könnte”.
Dass etwas durch Aktivismus und Aktionen verändert werden kann, wurde für mich sehr früh klar. Sei es in der Schule gegen Ungerechtigkeit zu protestieren, ich als einzige(s) Schwarze(s) Kind, Schülerin, Studentin, Mutter, gegen den Rest der weissen Welt. Meine Mutter war eine Kämpferin, meine ständige Verteidigerin. Ich lernte früh für mich einen Platz zu erkämpfen.
4) Sexualität
“Mein größtes Learning ist die Kombination aus Sexualität und Selbstliebe.”
Sexualität und Selbstliebe ist Yin und Yang. Es ist mein Zentrum, meine Balance. Ich bin es. Ich und Ich. Meins und Meins.
„Akzeptanz heißt „being radical non judgemental“. Das ist alles, was wir brauchen.“
Seit Ende 1999 lebe ich in der Karibik, St. Croix, auf einer der U.S. Virgin Islands.
Hier arbeitete ich als Therapeutin, mit sexuell traumatisierten Kindern und Jugendlichen. St. Croix ist mein zuhause. In diesem beruhigenden Umfeld entdeckte ich meine Spiritualität. Ich war fähig mich zu öffnen. Seit 2016 bin ich eine zertifizierte “Dream Coach.”
5) Zukunft
Ich investiere und erlaube mir mehr Zeit für mich zu haben. Mit Meditation und weniger Ego meinen Tag beginnen und enden zu lassen. Ich akzeptiere und lebe meine Spiritualität aus.
“Zukunft heißt für mich, eindeutig, klar und kompromisslos Stellung zu beziehen.”
Ich kann es mir aussuchen und mich auf weniger Herausforderungen einzulassen. I can chose my battle field. Nicht (mehr) den Anspruch zu haben von allen geliebt werden zu müssen. Auch die Freiheit die Wahrheit zu äußern, ohne das Gefühl der Schuld.
“Ich grenze mich von psychischen Vampiren ab. Mein Status älter zu sein, gibt mir die Freiheit wenig geduldig zu sein. Ich verschwende meine Zeit nicht mehr mit dem Ego anderer Leute.”
Ich möchte weiterhin etwas bewegen, verändern, jedoch weniger fremdbestimmt. Mehr Zeit finden zwischendurch zu danken. Dem Universum, meinem spirituellen Guide und meiner Community. Zu akzeptieren, dass ich nicht nur eine spirituelle Studentin bin, sondern auch eine Lehrerin.
Ciani
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