Mein Zyklus, die Götter und ich
Divine Feminine, Fertility Cult, Female Goddess – schon mal gehört? Spirituelle Ansätze rund um den weiblichen* Zyklus haben eine lange Geschichte, vor allem in Schwarzen und afrikanischen Traditionen. Trotzdem wird die Verbindung als neuer Trend in unserer heutigen Gesellschaft gefeiert. Eine Gesellschaft, die den weiblichen* Körper bislang als komplettes Sperr- und Schamgebiet markiert hat, sobald es um Zyklus und Menstruation geht. Mit dem Hype tut sich automatisch auch ein seltsamer Dualismus der Perspektiven auf: Als Frau* bist du entweder glorifizierte Fruchtbarkeitsgöttin oder schambehaftete Aussätzige – was darf’s diesen Monat sein?
400 Mal
Das ist die durchschnittliche Häufigkeit in der sich der weiblicher* Zyklus zwischen Pubertät und Einsatz der Wechseljahre im Körper von Frauen* und anderen menstruierenden Personen abspielt. Und da dies sehr viele Menschen sind, ist die Wahrscheinlichkeit also relativ hoch, dass Männer* mit so einem Zyklus in Berührung kommen und lernen: Aha, das gehört eben mit zum Leben. Offenbar scheint die Transferleistung aber nicht so wirklich zu klappen. Die heutige Gesellschaft konsumiert in beunruhigender Regelmäßigkeit Medieninhalte mit expliziter physischer und psychischer Gewalt und Spielzeugwaffen gehören zur Grundausstattung im Kinderzimmer. Der Anblick von Menstruationsblut wird allerdings nur schwer verkraftet. Never forget die steril wirkenden Werbeclips, in denen Frauen* – dass auch andere Personen als Frauen* menstruieren, wird dabei natürlich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen – dank passender “Monatshygiene” endlich knallenge weiße Hosen tragen können, denn was gibt’s Bequemeres, wenn Unterleibskrämpfe gerade so richtig schön ballern. Zur Veranschaulichung tropft im Split Screen blaue Flüssigkeit völlig unironisch in einen Tampon. Blau. Ernsthaft? Wer hier hat schon mal blau menstruiert, Schlümpfe jetzt mal ausgenommen?
Durch ihn und mit ihm und in ihm
Seit der Antike gilt der männliche* Körper in westlichen Ländern als medizinische Norm von deren Ausgangslage alles definiert wird – auch die Frau*, aber eben als das Andere. Im Zuge der Rassentheorien und des Sozialdarwinismus kam zum Epizentrum Mann auch noch das Merkmal weiß hinzu. Frauen* und ihre Körper wurden schon immer verhandelt, definiert und beurteilt. Darauf basiert ihre Unterdrückung und darüber wird diese legitimiert. Der weibliche* Zyklus und die damit einhergehende Menstruation galten entweder als äußerst naturverbunden, mystisch und damit potentiell gefährlich oder sie wurden als unrein eingestuft. In jedem Fall galt es, den weiblichen* Körper zu markieren und durch Stigmatisierung, gesellschaftlichen Ausschluss sowie einschränkende Regeln während der Menstruation zu kontrollieren.
Spiritualität kann sich nicht einfach angeeignet werden
Viele indigene und Schwarze Traditionen, vor allem in Afrika, Süd- und Nordamerika, beschäftigen sich schon jahrhundertelang mit spirituellen Zugängen zum Verständnis des weiblichen* Körpers. Warum hier jedoch beispielsweise Mondphasen mit dem Zyklus in Verbindung stehen, hat Gründe und zwar ganz spezifische. In diesen Gesellschaften wurde und wird meist ein Verhältnis gepflegt, bei dem Mensch und Natur im Einklang miteinander sind. Das betrifft die Lebensweise, aber auch den Biorhythmus. Diese Art zu leben ist absolut konträr zum Globalen Norden, der vorrangig verstädtert ist und in dem Tageszeit, aufgrund von Elektrizität und einem sehr industriell diktierten Leben, längst irrelevant zu sein scheint. Zeit soll so optimal und profitabel wie möglich genutzt werden und das idealerweise in persönlicher Bestform – da ist es dann doch etwas schwierig auch noch parallel zum Mondzyklus zu menstruieren.
Traditionen und Bräuche entstehen nicht aus Zufall, sondern entwickeln sich aufgrund der Lebensrealitäten. Spirituelle Ansätze rund um den weiblichen Zyklus völlig ohne Kontext zu übernehmen, auf die eigenen Umstände zu übertragen und sogar noch Kapital daraus zu schlagen, ist nicht nur sinnfrei, sondern fällt auch ins Feld der Cultural Appropriation.
Der Hype um spirituelle Bedeutsamkeit des weiblichen* Zyklus verleiht ihm eine positive Konnotation. Frauen* werden also darin empowert, ihre Scham abzulegen und ihren Körper mit all seinen Abläufen zu feiern. Wenn sie durch die Bewegung also leichter zu Selbstakzeptanz und -liebe finden können, ist doch alles super oder?
Leider wird dabei leicht übersehen, dass sich zwar die Bewertung des Zyklus von schamhaft/schlecht zu göttlich/wundervoll ändert, aber in beiden Fällen der Wert von Frauen* über eine Körperfunktion verhandelt wird. Überspitzt gesagt:
„Du bist nichts wenn du blutest oder du bist alles, wenn du es tust!“
Der weibliche Zyklus ist für viele ein Bestandteil ihres Lebens und sollte als etwas Natürliches begriffen werden können. Frei vom Stigma, sich dafür schämen oder verstecken zu müssen. Aber auch frei vom Druck, deshalb als „Female Goddess“ performen zu müssen, die jede Körperfunktion begeistert beweihräuchert.
Jeder Zyklus ist anders – das klingt zwar wie ein schäbiger Kalenderspruch, ist aber ausnahmsweise mal wahr. Weil die eine Person vielleicht kaum davon beeinträchtigt ist, die andere jedoch jedes Mal völlig aus der Bahn geworfen wird. Weil ich mich superstark und energetisch, aber auch wie ein kleines Häufchen Scheiße fühlen kann – und beides ist ok. Es sollte eben nicht von außen definiert werden, was der Zyklus mit einer Person macht und wie sie sich dadurch zu fühlen oder zu verhalten hat.
Frau*sein wird nicht durch Körper definiert
Die Trendwelle rund um Female Devine und Fertility bringt auch mit sich, dass der weibliche Zyklus zum essentiellen Bestandteil einer Frau* und ihrer „Vollkommenheit“ überhöht wird. Dass Frau*sein damit auch direkt an weibliche* Geschlechtsorgane, Fruchtbarkeit und Menstruation geknüpft ist, schließt trans Frauen* und nicht binäre Personen aus. Eine Bewegung also, die nicht alle Frauen* und Femmes mitdenkt.
Auch problematisch und wissenschaftlich sicher nicht unbedingt valide: Die vermeintlich direkte Korrelation zwischen Verhaltensweisen, Gefühlslagen und verschiedenen Zyklusphasen. In beiden Fällen wird die gesamte Komplexität von Frauen* auf rein körperliche Funktionen und Abläufe herunter gebrochen. Und nur mal so aus Erfahrung: Die Taktik, Frauen* auf ihre Körper zu reduzieren und sie klein zu halten, indem ihnen bestimmte Rollen zugeschrieben werden, hat emanzipatorische Befreiungskämpfe nicht gerade vorangetrieben. Menschen sind komplexer als das bloße Zusammenspiel von Hormonen und chemischen Botenstoffen. Charakter, Umwelteinflüsse, Lebensumstände, Sozialisierung – all diese Faktoren müssen mit einbezogen werden, um ansatzweise zu verstehen, wieso wir fühlen, wie wir fühlen und handeln, wie wir handeln.
Gerade die Gesundheit Schwarzer Frauen* sollte immer ganzheitlich und intersektional betrachtet werden, da hier Rassismus und Sexismus, aber auch viele weitere mögliche Diskriminierungsformen, wie Queerfeindlichkeit, Ableismus, Klassismus, mentale Gesundheit usw. eine entscheidende Rolle spielen können. Dies hat neben unzureichender medizinischer Versorgung auch enormen Stress zu Folge, was wiederum sowohl das allgemeine Wohlbefinden als auch den Zyklus beeinflussen kann.
Und was jetzt?
Der weibliche* Zyklus ist wichtig, sinnvoll und bereichernd, aber er ist keine allumfassende und determinierende Superkraft.
Es ist toll, wenn Frauen* und menstruierende Personen ihn als natürlichen Bestandteil ihres Lebens und Alltags begreifen und die Signale ihres Körpers zu deuten lernen. Eine Verschiebung hin zu einem positiven Verständnis des Zyklus ist das, was wir brauchen. Wenn Spiritualität, Glaube und Naturverbundenheit dieses neue Mindset als Gegenbewegung zur misogynen Ablehnung von Frauen* und ihren Körpern vorantreiben, ist das erst mal als erfolgreiche Abnabelung von männlich* dominierter Zuschreibung zu feiern. Aber insgesamt sollte eine 360 Grad Perspektive mitgedacht und Körperfunktionen nicht romantisch verklärt dargestellt werden. Es gibt eben einfach Scheißtage und auch ganz besonders gute und nicht immer liegt’s am Zyklus. Auch wenn diese Erklärung manchmal die einfachste wäre.
Madeleina
Madeleina hat schon immer gerne Geschichten erzählt und geschrieben. Irgendwann hat sie sich dazu entschieden, diese endlich auch mit ihren Mitmenschen zu teilen. Oder diese damit belästigen, je nachdem wie man`s auffasst. In München hat sie Kommunikationswissenschaften studiert, aber für die wissenschaftlich akademische Karriere hat dann, weder ihr Herzblut, noch ihr Fleiß gereicht.
Madeleina interessiert sich für soziale, (pop)kulturelle und gesellschaftliche Fragen und legt ihren Fokus dabei auf Perspektiven, die von den Lead Medien, gerne mal beiseite geschoben werden. Sich auf ein Spezialgebiet einzulassen, fällt ihr aktuell noch schwer – dazu sind gedanklich von Feminismus, über Literatur, Schwarze Geschichte, Wissenschaft, Hip Hop, Naturheilkunde, Psychologie bis hin zu Entertainment und Beauty zu viele Tabs gleichzeitig offen.
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Von der Aussätzigen zur Leistungsmaschine
Die Situation hat sich mittlerweile geändert, nur leider eben zugunsten des Kapitalismus. Mittlerweile sind Frauen* keine mystischen Naturwesen mehr, die es aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen gilt, sondern ganz im Gegenteil: Sie sollen aktiv weiter in ihrer produktiven Rolle funktionieren und die Anforderungen der Leistungsgesellschaft ohne allzu große Ausfälle und Gejammere stemmen. Die komplizierte Zyklus-Sache müssen sie halt irgendwie mit sich selbst ausmachen – aber bitte leise, ok?
Dein Selbsthass ist lukrativ
Dieses feindlich kulturelle Klima gegenüber Frauen* und ihren Körpern ist der ideale Nährboden für einen Gegentrend: Spirituell angehauchte Analysen von Zyklus, Weiblichkeit* und Frau*sein, die aktuell vor allem in den sozialen Netzwerken zu finden sind, werden immer beliebter. Schlagwörter, wie Goddess und Female Divine sammeln begeisterte Anhänger*innen und aus dem Boom des Female Empowerment, der Spiritualität und dem Wunsch nach Selbstliebe, wächst ein ziemlich lukratives Geschäft heran.
Frauen* sind bereit, viel Geld, Zeit und Energie zu investieren, wenn das Ziel winkt, sich wohler in der Haut zu fühlen. Vor allem Schwarze Frauen*, die stets als das Gegenteil vom europäischen weißen Schönheitsideal markiert werden. Aber internalisierte Scham, Unsicherheit und Selbsthass legt kein Mensch von heute auf morgen ab. Die Kommerzialisierung von Bewegungen, und mögen sie in ihrem Ursprung noch so sinnvoll sein, ist nichts Neues. Trotzdem ist es schon makaber, dass ein Trend rund um die Verbindung von Spiritualität und Zyklus von Hoffnungen und Ängsten menstruierender Personen und Frauen* gefüttert wird, die von einem misogynen und rassistischem System überhaupt erst in diese Position gebracht wurden.
Selbstliebe ist enorm wichtig, eine Verbindung zum Glauben sowie ein spirituelles Verständnis können heilsam und bestärkend sein. Daraus ein romantisch verklärtes Geschäft zu schlagen, eher weniger.
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