Natasha A. Kelly: “Meine Geschichte“
Agavengrüne Blätter und khakifarbene Pflanzen leuchten aus vielen einzelnen Blumentöpfen. Auf den Böden, auf kleinen Höckern im gesamten Wohnzimmer sind sie verstreut. Ummantelt von ihnen sitzt Natasha A. Kelly – afrodeutsche Feministin, Mutter, promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin, Autorin, Kuratorin, Dozentin und nun kommt auch noch eine weitere Bezeichnung hinzu: Filmemacherin. Bei der 10. Berlin Biennale präsentierte Kelly ihren preisgekrönten Debütfilm Millis Erwachen (2018), welches acht afrodeutsche Künstlerinnen eindrucksvoll porträtiert.
Natasha A. Kelly ist eine Kämpferin und blickt auf insgesamt fünf verlegte Publikationen zurück. Von Buch zu Buch entwickelte sie sich weiter, schrieb sich den Ärger von der Seele, vernetzte afrodeutsche Frauen und führte die Pionierarbeit unserer großen Vorbildern fort. Auf einem unebenen, steinigen Weg, räumte sie für unsere junge Generation auf. Angetrieben von einem Hunger, nicht nur all die wichtigen Chroniken von afrodeutschen Frauen zu memorieren, nein sie hat auch ein weiteres Ziel: Sich selbst zu finden. “Meine Geschichte ist eine Publikationsgeschichte,” erklärt Kelly schmunzelnd, blättert durch ihre Bücher und stapelt sie an einem Freitagmittag in Berlin-Kreuzberg übereinander. Kellys Reise begann, natürlich, mit einem Buch.
Natasha A. Kellys Spurensuche beginnt
Als junge Studentin wollte Kelly sich intensiver mit ihrer eigenen Geschichte befassen. Eine Lösung finden, warum sie sich jedes Mal aufs Neue für ihre Schwarze deutsche Identität rechtfertigen musste. Als Kelly selbst zur Schule ging, hat sie das Thema Rassismus vermieden, obwohl sie häufig damit konfrontiert war. “Im Nachhinein glaube ich, dass es meine Strategie war damit umzugehen, auch wenn mir das zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich bewusst war. Als meine Tocher dann an ihrem zweiten Schultag ihre ersten Rassismuserfahrungen machen musste, und das nicht nur von ihren Mitschüler*innen verursacht sondern auch von ihrer Lehrerin war der Kampfgeist in mir geweckt. Es hat mich mehr verletzt meine Tochter darunter leiden zu sehen als Rassismus direkt am eigenen Leib zu erfahren,” so Kelly.
Sie war müde, ihre Daseinsberechtigung in der deutschen Gesellschaft erkämpfen zu müssen. Als ihr während der Recherche für ihre Magisterarbeit das Buch Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (1986) von Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz in die Hände fiel, eröffnete sich für die junge Frau eine ganz neue Welt. “Mir wurde ab dem Moment klar, dass ich mich auch in der Theorie mit dem Afrodeutschsein beschäftigen wollte”, erzählt Kelly weiter, weshalb sie ihre Magisterarbeit mit einer Analyse des damals erschienen Albums Lightkultur (2001) der Brothers Keepers einreichte.
Das Jahr X
Aus der Theorie heraus, schritt sie dann zur Tat. Kelly wollte ein Magazin herausgeben, dass sich mit afrodeutscher Kultur beschäftigt. Kurze Zeit später kam ihre Kollegin Angela Kamara mit ins Boot. Die beiden haben sich auf einer Buchveranstaltung in Dortmund kennengelernt, wo sie sich gemeinsam über die einseitig organisierte Veranstaltung ärgerten. Das verband sie und so wurden die beiden Partnerinnen. Als das alle zwei Jahre stattfindende Afrika Festival in Osnabrück nahte, sahen die jungen Redakteurinnen ihre Chance und arbeiteten fieberhaft auf das Event zu. Sie nahmen Kurs auf eine neue journalistische Errungenschaft und nannten ihr Baby X – Das Magazin für Afrokultur. “Wir wollten eigentlich nur schauen, wie das Magazin überhaupt ankommt,” erklärt Kelly. Sie trafen einen Nerv der Zeit und als schließlich auch noch eine Teilfinanzierung ins Haus geflattert kam, schienen die jungen Schwestern auf dem richtigen Weg zu sein. Doch es kam ganz anders. “Es blieb bei dieser einen Sonderedition.”
Gescheitert, aber glücklich – oder nicht?
“Gescheitert ist X daran, dass ich mich zum ersten Mal für ein Projekt hoch verschuldet hatte. Hinzu kamen interne Auseinandersetzungen, die das Team bis heute nicht überwunden hat”, berichtet Kelly rückblickend. Kelly fiel es schwer ihr Projekt hinter sich zulassen, aber nicht nur das: Es war für sie der Abschied vom Journalismus. Trotzdem wird das X Magazin immer noch über ihre Webseite verkauft. Die Themen sind noch immer hochaktuell. Dennoch änderte sich der Kurs von Kelly. Doch die Grundidee – Afrokultur – blieb: . “Im Prinzip ist meine Dissertation, Afrokultur. Der Raum zwischen gestern und morgen (2016), die Idee vom Magazin, nur ausgereift.” Doch bis dahin lagen 10 Jahre harte Arbeit, ohne Stipendium oder desgleichen. Kelly jobbte als Sprachlehrerin und Übersetzerin, lebte ihr Leben in Osnabrück, wo sie ihre ersten Gehversuche als Aktivistin gemacht hatte. Sie gründete damals die AFO – Afrodeutsche Familien Osnabrück, engagierte sich für den ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und arbeitete beim Büro Für Friedenskultur mit. Doch das Schicksal kratzte schon bald wieder an ihrer Tür.
Zum ersten eigenen Buch
“Zwei Jahre nach meiner Magisterarbeit kam ein Verlag auf mich zu, der sie in den Archiven der Universität Münster gefunden hatte. Sie wollten die Arbeit veröffentlichen!” Kelly lacht über ihre Anfänge. Sie erklärt, dass sie zu dieser Zeit noch komplett grün hinter den Ohren war und keine Ahnung vom Verlagswesen hatte. Doch zunächst war sie begeistert: Ihr erstes eigenes Buch! Doch die Freude war zu früh. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein Print on Demand handelt, sprich das Buch wird erst gedruckt, sobald Leser*innen das Buch per Klick in ihren Einkaufskorb befördert haben. Das führt dazu, dass der Stückpreis hoch ist. Ganze 49 Euro beträgt der Preis ihres ersten Buches Afroism. Zur Situation einer ethnischen Minderheit in Deutschland. “Ich dachte mir: Das zahlt doch kein Mensch!”
Die erste Buchtour
Die Auflage stagnierte und die Verkäufe stiegen im Schneckentempo an. Doch wie Kelly nun mal ist, packte sie das Problem an und überlegte sich eine Lösung: “Ok, wenn die Leser*innen nicht zum Buch kommt, dann muss das Buch zu den Leser*innen.” Gesagt, getan! Sie startete mit ihrer ersten Lesetour innerhalb Osnabrücks. Während sie von dort quer durch Deutschland tourte, wurden verschiedene Wissenschaftlerinnen* von der Humboldt-Universität zu Berlin auf Natasha A. Kelly aufmerksam. Nachdem sie an einer Publikation zu Rassismus in der deutschen Sprache mitwirkte, bot Lann Hornscheidt, damals Professorin am Gender Institut ihr einen Job an. “Ich packte meine Sachen in Osnabrück, schnappte mein Kind und dann ging es schon los”.
Adieu Leben als Theoretikerin
Drei Jahre war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig, wo sie an ihrem Doktor weiter arbeiteten konnte. Dort lernte Kelly viel, aber auch einiges an rassistische Erfahrungen kennen. “Während meines Studiums hatte ich immer schon Rassismus erlebt, hatte aber die Illusion, dass dieser irgendwann verschwinden würde, umso höher ich auf der akademischen Leiter klettern würde. Leider ist genau das Gegenteil eingetreten. Die Universität ist ein Haifischbecken, umso mehr Macht und Einfluss du bekommst, um so mehr Rassismus erlebst du, vor allem. da wo du es am wenigstens erwartet,” entsinnt sich Kelly.
Es waren inzwischen einige Jahre seit dem X Magazin vergangen und Kelly hatte eine große Transformation hinter sich. “An der HU kamen dann vermehrt genderspezifische Themen hinzu. Eine Schwarze Feministin war ich in der Praxis schon immer, nun auch in der Theorie.” Nach dem Universitätsleben blieb Kelly mit ihrer Familie in der Hauptstadt und schlüpfte direkt in ihr neues Leben hinein: Ab 2013 wurde sie Freiberuflerin. Kelly wollte nicht ewig in der Theorie verharren. “Ich bin weitaus mehr als eine Wissenschaftlerin!” So begann sie gemeinsam mit dem Orlanda Frauenverlag, der das Buch Farbe bekennen publiziert hatte, das letztendlich den Stein zum Rollen gebracht hatte, zu arbeiten.
Die Zeit danach
Da sie für ihre damaligen Student*innen an der Humboldt Universität immer wieder Großbestellungen an den Verlag gab, wurde dieser neugierig. “Irgendwann kam dann die Verlegerin vom Orlanda Frauenverlag, Anna Mandalka, auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht ein Buchkonzept zu May Ayims 20. Todestag verfassen möchte. Ich fühlte mich sehr geehrt und so entstand schließlich Sisters and Souls. Inspirationen durch May Ayim (2015).” Natasha A. Kellys vierte Publikation. Dabei wurden nicht nur May Ayims Werke analysiert, sondern die zentrale Frage in dem Buch lautet: Was haben die Worte und Werke von May Ayim in den letzten 20 Jahren innerhalb der Community angestoßen? Für Kelly selbst, konnte May mit ihren Worten genau die Erfahrungen artikulieren, die sie am eigenen Leib erlebt hatte. “Beim editieren stellte ich relativ schnell fest, dass Spoken-Word in einem Buch, nicht ihre volle Kraft entfalten würde. Die Körpersprache, die Tonalität, das Sprechtempo spielen dabei alle eine wichtige Rolle. Ich sagte mir: Natasha, wenn ich das Buch launche, werde ich es auf einer Bühne präsentieren.”
Die Suche ging weiter, nach der richtigen Bühne
Nachdem einige Berliner Theater die Idee gar nicht so toll fanden, startete Kelly gemeinsam mit dem HAU, Hebbel am Ufer Theater Berlin 2015 den Book Launch von Sisters and Souls mit einer sequentiellen Performance. Kelly kuratierte eine Mischung aus Gesprächen, Poetry und Film von und mit den beteiligten Schwarzen Autorinnen des Buches, die unterschiedlichen Alters, sexueller Orientierung, Klasse und Bildungsstand sind und Themen auf die Bühne brachten, die für die Schwarze Community von Relevanz sind. “Der Ansturm war überwältigend”, erinnert sich Kelly. ”Bei der ersten Aufführung mussten wir sogar Leute wegschicken, was mir sehr schwer fiel.” Doch es blieb nicht bei diesem einen Mal. Es folgten vier weitere Aufführungen, in der mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen das Leben und Wirken von May Ayim unter dem Motto M(a)y Sisters gefeiert wurden. Der Sprung von den Live-Auftritten hin zum bewegten Bild war dann eigentlich nicht mehr weit.
Von der Bühne zum bewegten Bild
Bei den ersten Performances hatte Kelly vergessen, selbst Bilder zu schießen. “Wir vergessen zu oft unsere politischen und kulturellen Beiträge zu dokumentieren”, lautet Kellys Selbstkritik. Als sie bei einer ihrer Lesungen auf eine junge Kameracrew traf, lud sie sie zur nächsten Veranstaltung ein. Und wieder einmal begann durch diese Zusammenarbeit ein neuer Kapitel in Kellys Leben. Das Medium Film spielte fortan die Hauptrolle. Als schließlich Yvette Mutumba, Co-Kuratorin der Berlin Biennale auf Kelly zukam und ein Film für die internationale Ausstellung in Auftrag gab, war es geschehen: “Die Kamera sieht alles!” sagt Kelly. “Es war ein ganz neuer Weg für mich, um Geschichten zu schreiben.” Entstanden ist der 47-minütiger Schwarz-weiss-Film Millis Erwachen (2018), der mit dem Black Laurel Film Award 2018 in der Kategorie Best Documentary Feature ausgezeichnet wurde. Doch Kelly konnte es nicht lassen. “Bei der Produktion sind 80 Prozent der Inhalte herausgefallen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, daher entschloss ich mich dazu, noch zusätzlich ein Buch dazu herauszubringen.” So ist die zweisprachige Publikation Millis Erwachen. Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand (2018) ebenso im Orlanda Frauenverlag erschienen, in der die ungekürzten Interviews mit den Protagonistinnen zu finden sind.
Von X bis zum Erwachen- die Reise von Natasha A. Kelly endet nie
Jetzt sitzen wir hier in Berlin an einem August Nachmittag. Kelly blickt auf ihre Bücher, die in Reih und Glied übereinander aufgestapelt auf ihrem Wohnzimmertisch stehen. Diese Werke reflektieren ihre eigene Lebensgeschichte, ihre Entwickelung als Frau und Mutter, zeigen die Transformation, die Natasha A. Kelly beruflich, politisch und persönlich gemacht hat. In jeder Seite steckt ein Teil ihrer Selbst. Wenn Kelly nun zurückreisen und ihrem jungen studentischen Ich etwas sagen könnte, wäre es: Gut, dass du weitergemacht hast. “Ich bin durch so viele Turbulenzen gegangen. Es war wirklich nicht leicht, doch es hat sich gelohnt!,” schmunzelt die 45-jährige. Als Herausgeberin, Autorin, Dozentin, Kuratorin und nun als Filmproduzentin hat Natasha A. Kelly einige Etappen erklommen. Motiviert, sich ein wenig mehr mit der eigenen Persönlichkeit, ihren Wurzeln und ihrer Beziehung zu ihrer Heimat Deutschland auseinanderzusetzen, all das wurde letztendlich der rote Faden ihrer Reise. Das Ziel: Den Dialog anzustoßen und zu belegen, dass Schwarze Deutsche in der Nationalgeschichte verwurzelt sind.
Heute wird Natasha A. Kelly als Expertin für afrodeutsche Geschichte und Gegenwart verhandelt und trotzdem ist sie der Meinung, dass sie noch lange nicht ausgelernt hat. Und wie sollte es anders sein: Das nächste Buch wird im März 2019 erscheinen. Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. ist eine Übersetzung der Schwarzen feministischen Originaltexte, angefangen bei Sojourner Truth, über Angela Davis und bell hooks bis hin zu Kimberley Crenshaw. “Das ist mein Beitrag zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts, denn was Rassismus angeht, hat die weiße Frauenbewegung in Deutschland noch immer nicht dazugelernt!” Für alle Schwarzen Frauen, die auch einen Weg gehen möchten, der uneben und unbekannt ist, rät Kelly: “Es ist wichtig herauszufinden, wofür du bereit bist zu sterben. Wenn du das weißt, dann weißt du, wofür es sich zu leben lohnt!”
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