Pflegeprodukte aus dem Drogeriemarkt? Warum es für dich schädlich sein kann
Gehörst du auch zu den Kandidat*innen, die im Drogeriemarkt zur Spülung oder Haarkur greifen – auch wenn sie nicht für Afrohaare oder Locken konzipiert sind- und dann bei der Haarwäsche die gesamte Packung aufbrauchen? Jepp, ich auch. Das ist aber keine gute Idee. Diese Produkte wurden nicht für Menschen mit Afrohaaren konzipiert. Das wusstest du vermutlich schon. Spätestens mit dem grinsenden Model mit den langen glatten Haaren auf dem Cover. Aber warum das sogar schädlich für dich sein kann, haben wir von Dr. Ruta Almedom erfahren. Sie ist die wissenschaftliche Leiterin bei CodeCheck, der App zum Checken von Inhaltsstoffen in Lebensmitteln und Kosmetik. Als promovierte Biochemikerin beschäftigt sie sich mit den Inhaltsstoffen von Produkten und nimmt die Bewertung jener in der App vor. Im Gespräch mit uns erklärt sie, worauf Du bei Produkten, die für kaukasisches oder asiatisches Haar konzipiert sind, achten musst und was die bessere Wahl für Dein Haar ist.
Dr. Ruta Almedom ist die wissenschaftliche Leiterin bei CodeCheck.
Ciani: Lass uns ganz einfach beginnen: Was ist denn der Unterschied zwischen Afrohaaren und kaukasischem Haar?
Dr. Ruta Almedom: Die Struktur. Afrohaare sind im Vergleich zu kaukasischen oder asiatischen Haaren gelockt. Ein Blick unter dem Mikroskop zeigt, sie haben einen elliptischen Querschnitt. Darüber hinaus sind Afrohaare nicht nur elliptisch, sondern drehen sich auch noch um sich selbst. Kaukasisches und asiatisches Haar ist im Vergleich dazu rund und gerade oder wellig. Mechanische Reizungen, wie Kämmen oder die Haare mit einem Handtuch trockenrubbeln, sind besonders große Strapazen für deine Afro Haare. Das wirkt auf sie wie Sandpapier. Die Reibung über die Oberfläche und sorgt dafür, dass sie brechen.
Dadurch brauchen Afrohaare viel mehr Schutz an der Oberfläche, damit ein Kamm über das Haar gleiten kann. Ein weitere Faktor ist: Afrohaare sind auch noch viel trockener als kaukasisches oder asiatisches Haar. Das liegt daran, dass die hauteigenen Kopföle, das Sebum, auf der Kopfhaut bleibt statt hinunter gleitet. Das geschieht nämlich bei kaukasischem und asiatischem Haar, was es dann irgendwann fettig aussehen lässt, wenn es nicht weggewaschen wird. Deswegen ist das Afrohaar grundsätzlich sehr trocken. Wenn Trockenheit und auch noch diese Angreifbarkeit der Oberfläche zusammenkommen, dann hält es umso weniger solchen mechanischen Reizungen stand und bricht. Viele Frauen* mit starkem Afro haben daher Mühe die Haare lang wachsen zu lassen.
Ciani: Deshalb braucht es unterschiedliche Pflegeroutinen?
Dr. Ruta Almedom: Genau. Pflegeprodukte, vor allem für die Zeit zwischen den Haarwäschen, spielen bei Afrohaaren eine wichtige Rolle, weil sie mit reichhaltigen Inhaltsstoffen und Ölen, die natürliche Lücke füllen können und Afrohaare vor mechanischen Reibung schützen können, indem sie sich wie ein Schutzschild um die Locken legen. Konventionelle Haarpflegeprodukte nutzen dafür Silikone, die genau diesen Zweck erfüllen – eine Schutzschicht über die Haut zu legen, die mechanische Reibung abschirmt. Natürliche Alternativen sind Pflegeprodukte auf Basis von Ölen oder Haarbutter.
Ciani: Aber es gibt auf dem deutschen Markt kaum Produkte für die Pflege von Afrohaaren, außer kleinere Marken. Warum ist das ein Problem?
Dr. Ruta Almedom: Es gibt viele wissenschaftliche Auseinandersetzung und Erhebungen aus den USA, die zeigen dass es einen Zusammenhang zwischen Pflegeprodukten für Schwarze Frauen* und dem häufigeren Aufkommen von Brustkrebs oder Asthma in dieser Gruppe gibt. Das hängt unter anderem mit den Inhaltsstoffen der Produkte zusammen, die sie verwenden.
Ciani: Die importierten Produkte aus dem Ausland? Wie im Afroshop oder aus dem Internet?
Dr. Ruta Almedom: Zum einen. Der Vorteil bei diesen Produkten ist, dass sie sehr reichhaltig in der Pflege sind, weil sie für Schwarze Menschen konzipiert sind. Dabei gibt es allerdings immer die Gefahr, dass wenn man sie einfach von außen bestellt, sie nicht den gesundheitlichen Richtlinien der EU entsprechen, weil sie nicht den gleichen Kontrollmechanismen durchlaufen sind. Es befinden sich zudem oftmals mehr problematische Inhaltsstoffe in diesen Produkten, wie zum Beispiel Konservierungsstoffe mit Verdacht auf hormonelle Aktivität. Diese sind in Produkten für kaukasisches Haar kaum noch zu finden, da sie bereits in der öffentlichen Wahrnehmung unter diesen Verbraucher:innen eine schlechte Publicity bekommen haben. Dieses Bewusstsein über die Inhaltsstoffe und Produkte steigt in der Schwarzen Community auch an. Auf Seiten der Produkte, vor allem bei importierten Marken, gibt es aber noch zu wenig empfehlenswerte Beispiele.
Ciani: Also, dann doch lieber Produkte aus dem Drogeriemarkt für kaukasisches oder asiatisches Haar benutzen?
Dr. Ruta Almedom: Leider sehe ich hierbei auch ein gewisses Risiko. Bei der Sicherheitsbewertungen werden die Anwendungsrealitäten von Schwarzen Menschen überhaupt nicht mitgedacht. Hier ein kurzes Szenario: Eine Person mit feinen, glatten Haaren benutzt beispielsweise ein Shampoo und gelegentlich eine Pflegespülung. Sie braucht es im Vergleich zu Menschen mit Afrohaaren nicht einmal die Woche, sondern fast täglich, aber sie benötigt viel weniger Produkt und seift das Haar nur einmal ein. Das ist das sogenannte “Regular Habit.” Für solche Handhaben sind die Sicherheitsbewertungen für Produkte in diesem Markt ausgelegt. In dieser Dosis und Handhabe sind die Konzentrationen von Konservierungsmitteln mit potentiell hormoneller Aktivität (zum Beispiel Parabene), im grünen Bereich. Schwarze Menschen benutzen aber nicht nur eine größere Ratio, sondern schäumen ihre Haare bis zu drei Mal mehr in einer Haarwäsche. Zudem nutzen viele Schwarze Frauen* Pflegespülungen und Conditioner, die sie im Haar belassen, anstatt sie auszuwaschen, da sie so bessere Ergebnisse erzielen. In solchen auswaschbaren Pflegespülungen sind aber höhere Konzentrationen dieser problematischen Inhaltsstoffe erlaubt, da bei der Sicherheitsbewertung davon ausgegangen wird, dass sie nicht auf dem Haar verbleiben. Natürlich werden auch höhere Mengen auf die Sicherheit in der Anwendung getestet und auch geringere, aber Menschen mit Afrohaaren kombinieren oft mehrere Produkte miteinander oder lassen sie länger in den Haaren wirken. Dieser eine Konservierungsstoff ist dann in geringer Konzentration im Shampoo, Conditioner, Pre-Conditioner, in der Haarmaske und in einem Öl Treatment, dass dann vielleicht auch noch zu einem Leave-In umfunktioniert wird, enthalten. Es befinden sich bereits fünf Produkte auf dem Kopf und der Kopfhaut, die diese hormonell aktiven Substanzen beinhalten. Natürlich alle in der sicheren Konzentration, aber nur für das eine Produkt unbedenklich, nicht in der Masse. In der Summe birgt dieser Ablauf ein höheres Risiko, weil ich sehr viele Produkte über einen längeren Zeitraum miteinander in Kombination benutze. Für diese Haarroutinen vor allem bei Produkten die für diesen Markt konzipiert sind, ist meiner Meinung nach viel zu wenig Bewusstsein von Herstellerseite und auch von der Sicherheitsbewertungsseite da.
Ciani: Das heißt, ich sollte nicht einfach so Produkte, die für weiße Menschen konzipiert wurden für meine spezifische Haarroutine umfunktionieren?
Dr. Ruta Almedom: Bei konventionellen Produkten wäre ich vorsichtig und würde die Inhaltsstoffe checken. Die Alternative wäre, dass ich mir ein grünes Shampoo und Conditioner kaufe und die quasi “pimpe”, indem ich – für die Afrohaare entsprechend – reichhaltige Inhaltsstoffe hinzufüge, wie ein Avocadoöl oder ein anderes Öl. Wichtig ist: Schwarze Menschen müssen sich dieser Realität bewusst sein, dass sie bei Sicherheitskontrollen und Risikobewertungen für diesen Markt nicht mitgedacht werden. Langfristig braucht es Lösungen von Hersteller und Sicherheitsbewertungsseite und ein Bewusstsein über die Bedürfnisse Schwarzer Verbraucher*innen in Deutschland.
Ciani
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