Schule und Klischees: Wie die Hautfarbe den beruflichen Werdegang bestimmt
Bild: Unsplash / Jamie Taylor
Was wurde dir in der Schule als potentieller Berufsweg empfohlen? Diese Frage stelle ich seit meinem Gespräch mit Josephine Apraku vom Institut für diskriminierungsfreie Bildung, Schwarzen Menschen leidenschaftlich gern. Es ist eine kleine empirische Studie, die ich da durchführe. Die Antworten ähneln sich. Etwas mit Sprachen, vielleicht in der Touristik? Weil man als Afrodeutsche ja so kosmopolitisch aussieht! Manchmal folgt auch die Unterhaltungsbranche, einfach Spaß, Sport, Rennen, Tanzen – vermutlich erkennst du bereits, was ich mit meiner Frage versuche zu implizieren. Es geht um Klischees. Sie bestimmen nicht nur unseren Alltag, sondern auch unseren Beruf, die Identität und somit auch die individuelle Ökonomie. Das ist ziemlicher Mist.
Sich gegen schulische Autoritätspersonen aufzulehnen, ist verdammt hart!
Wir haben uns anlässlich des Black History Month, die Schule als Institution angeschaut. Es ist der Ort, der darüber entscheidet, in welche Richtung Schüler*innen schreiten. “Während meiner Schulzeit hatte ich es besonders schwer,” so Dr. Mireille Ngosso in unserem Interview, “Ich hatte einige Lehrer*innen, die mich oft rassistisch behandelt haben. Ich habe dann mit 16 Jahren die Schule abgebrochen, weil ich psychisch nicht mehr in der Lage war den Abschluss zu machen. Ich habe dann einige Jahre gejobbt und mich damit buchstäblich über Wasser gehalten.” Ihr Titel verrät es bereits. Mit dem Schulabbruch endete nicht Ngossos Lebensweg. Ganz im Gegenteil: Heute arbeitet sie hauptberuflich in einem Krankenhaus in Wien, absolviert noch eine zusätzliche Ausbildung zur Allgemeinchirurgin und ist darüber hinaus stellvertretende Bezirksvorsteherin des ersten Wiener Bezirks. Obwohl Dr. Mireille Ngosso institutionell einige Steine in den Weg gelegt wurden, hat sie sich ihren Traum “Chirurgin” zu werden nicht nehmen lassen. Das ist verdammt gut und gleichzeitig zutiefst beeindruckend. Denn den Mut und die Willenskraft aufzubringen, sich gegen Autoritätspersonen, die vermeintlich das Beste für dich wollen, aufzulehnen, ist nicht leicht.
Klischeehafte Berufe sind nicht leichter, aber mit geringeren Mikroaggressionen verbunden
Es wäre auch viel zu eindimensional zu behaupten, dass es in den klischeehaften Berufen leichter ist. Arbeit ist Arbeit. Als Frau und vor allem, als Schwarze Frau, muss man überdurchschnittlich gut sein. “Ich lebe das Klischee von weißen Menschen aus,” lautete eine der vielen Feststellungen von Nikeata Thompson in unserem Interview mit ihr. “Warum habe ich Leichtathletik gemacht? Weil es der einzige Ort war, wo sie nett zu mir waren. Wenn man schlecht behandelt wird, dann ist es doch klar, dass man nicht in dem Bereich arbeiten möchte!” Nikeata Thompson beschreibt damit das Pionier-Paradoxum. Die beliebte Argumentation von weißen Männern dominierten Arbeitskontexten lautet: Es bewirbt sich halt niemand! Aber natürlich nicht! Es ist doch nachvollziehbar, dass ich ein Blick ins Team werfe, schaue, wer dort noch tätig ist. Und ja, als Schwarze Frau schaue ich auch, ob es eventuell wenigstens eine einzige Person of Color gibt. Was in meinem persönlichen beruflichen Weg nie der Fall war. Als einzige Schwarze Frau muss man sich allen Alltagsrassismen sowie Sexismen stellen. Ganz allein. Das ist echt hart. Gerade als junge Person, sich in einer solchen starren Hierarchie zu positionieren, vielleicht auch noch in einer Industrie, der Agilität schwerfällt – Hola die Waldfee, das wird sehr viel Arbeit. Und ist es das wert? Auf wessen Kosten geht das denn genau? Das war eine rhetorische Frage, weil die Antwort verdammt klar ist.
Schule ist ein interdisziplinärer und schmerzhafter Ort
Ich bin gelernte Fremdsprachensekretärin. In der Realschule war ich verdammt gut in Englisch. Das war ziemlich offensichtlich, da ich Bilingual aufwuchs. Trotzdem waren meine Lehrer*innen überzeugt, dass ich ein “Sprachtalent” sei. Meine Mathelehrerin war ziemlich fies. Nicht nur zu mir. Das muss ich zugeben. Zu meiner besten Freundin und mir. Sie schaute uns eines Tages verächtlich an und fragte: “Ob wir überhaupt den Abschluss schaffen würden?” Meine beste Freundin weinte. Ich tröstete sie. Wie zu erwarten, fiel meine weiterführende Empfehlung nicht besonders gut aus. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich in der Schule wohl fühlte. Es kamen so viele Faktoren dazu. Sexismus, Rassismus, Mobbing, Leistungsdruck, Ausgrenzungserfahrung – Schule war für mich kein Zuckerschlecken, wie vermutlich für verdammt viele Menschen. Das sage ich aus einer light-skinned, heterosexuellen, cis, able-bodied, dünnen Perspektive! Klischees waren in den 2000ern so tief verankert, dass es schwer war, darüber hinaus zu blicken. Am Ende machte ich über den zweiten Bildungsweg mein Abitur, absolvierte meinen Bachelor, dann meinen Master und ja manchmal denke ich über einen Doktor nach. Mit der Urkunde würde ich sehr gern zu meiner ehemaligen Mathelehrerin marschieren, ihr das Dokument unter die Nase reiben und “ha” sagen. Dann denke ich, dass das ziemlich blöd wäre. Dr. Mireille Ngosso, Nikeata Thompson und viele weitere Schwarze Frauen in Deutschland mussten sich ihren Weg verdammt hart erkämpfen. Für mich war es auch nicht leicht. Vielleicht hat es mich abgehärtet. Vielleicht aber auch nicht. Ich stelle Schwarzen Menschen gerne die Frage, welche Berufsempfehlung sie bekamen, weil ich mich frage: Wie wäre wohl mein Leben verlaufen, wenn ich ohne Klischees betrachtet worden wäre? Wenn meine Ethnizität nicht meinen beruflichen Werdegang bestimmt hätte? Hätte ich dieselbe Richtung eingeschlagen? Oder etwas komplett anderes getan? Was ich in Wahrheit versuche herauszufinden: Wie wäre eine Kind- und Jugendzeit ohne Rassismus?
Ciani
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