Warum wir Rosa Parks kennen, aber Claudette Colvin nicht
Es war ein warmer Frühlingstag im Jahr 1955. Eine junge Schwarze Frau steigt am zweiten März in einen Capital Heights Bus im US-Bundesstaat Washington. Sie war auf ihrem Rückweg. Zu dieser Zeit waren Busse in mehreren Abschnitten unterteilt. Vorne durften nur Weiße sitzen, hinten waren Plätze für Schwarze. Als eine weiße Frau zustieg, ordnete der Busfahrer Robert W. Cleere an, dass die junge Frau aufstehen sollte. Sie weigerte sich. Daraufhin musste sie den Bus verlassen und wurde von zwei Polizeibeamten festgenommen. Ihr Name war Claudette Colvin. Diese Situation geschah knapp neun Monate vor Rosa Parks. Warum kennen wir Parks Namen und Colvins nicht?
Sehr amüsantes Format, in dem sehr überspitzt die Rosa Parks und Claudette Colvins Geschichte erläutert wird
Die eine Geschichte ging um die Welt, die andere nicht
Wir heißen RosaMag wegen Rosa Parks. Als ich die Geschichte von Claudette Colvin las, stockte mir zunächst der Atem. Ist somit Rosa Parks Vorfall konstruiert? Jaein. Doch Fakt ist: Beide haben dasselbe erlebt und das, weil sie Schwarze Frauen waren, die unter der Apartheid und den Rassismus in den 50er Jahren in den USA litten. Colvin und Parks kannten sich auch. So erklärte Colvin in einem BBC Interview, dass sie Parks in der Jugendgruppe des National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP) kennenlernte. Parks leitete einen Kurs, um junge Schwarze Frauen zu empowern. Sie wurden sogar FreundInnen. Beide waren starke Frauen, die gegen die Ungerechtigkeiten in ihrem alltäglichen Leben kämpften. Sie waren beide wichtig für die Liberalisierung von Schwarzen Menschen in den USA. Doch warum zirkulierte Claudette Colvins Boykott nur in einigen Zeitungen in Montgomery, während Parks Vorfall, um die ganze Welt ging und sogar die Bürgerrechtsbewegung in den USA maßgeblich veränderte?
Identifikationsmittel helfen einer Bewegung
Wer mobilisieren will, muss emotionalisieren. Dabei hilft Personifizierung, als Identifikationsmittel. Es führt zu einer Komplexitätsreduktion. Doch welche Faktoren bestimmen darüber, wer das Gesicht einer Bewegung wird und wer nicht? Was muss die Heldin für eine politische Transformation mitbringen? Colvin erklärte, dass Parks aufgrund ihrer früheren Arbeit mit der NAACP das richtige Image hatte, um zum Gesicht des Segregationswiderstandes zu werden. Hinzu kam, dass Colvin lediglich 15 Jahre alt und schwanger von einem verheirateten Mann war. „Sie sagten, sie wollten keinen schwangeren Teenager einsetzen, weil es kontrovers wäre und die Leute mehr über die Schwangerschaft als über den Boykott reden würden“, so Colvin. Doch es gibt weitere Faktoren, die eine Person war light-skinned, die andere dark-skinned. Rosa Parks war aus einem gehobenen Haushalt, Colvin nicht.
Die Faktoren des Personenkults sprachen eher für Parks, als für Colvin
Der Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte ist die Person und wie kultig sie sein könnte. Der Begriff des Personenkults stammt von Max Webers „charismatische Herrschaft“ ab. Es ist zugegeben, oft ein wichtiges Instrument für Propaganda oder Diktatoren, aber auch Popstars oder InfluencerInnen fallen unter diese Kategorie. Personenkult bezeichnet die übermäßige Verehrung und Glorifizierung einer in der Regel noch lebenden Person, die eine behauptete oder tatsächliche Vorbildfunktion hat. Der Historiker Reinhard Löhmann nennt drei Merkmale, damit ein Personenkult funktioniert. Zum einen muss eine Überhöhung einer Einzelperson stattfinden. Das war bei der unschuldig wirkenden Parks eher möglich, als bei Colvin. Wir denken uns heute, ja mei, dann hatte die Colvin halt eine Affäre mit einem verheirateten Mann, doch in den 50ern war der Moralkompass ziemlich hoch. Das obwohl jede*r mit jede*m pipperte. Was jedoch eine ganz andere Geschichte ist. Bei dem Personenkult handelt es sich um eine überproportionale Glorifizierung einer Persönlichkeit. Der Verdienst einer Bewegung wird auf diese einzelne Person reduziert. Es wird so dargestellt, als wäre nur dieser Mensch fähig, diese angeblichen Leistungen zu erbringen. Was in Parks Fall nicht so recht stimmt, denn Colvin vollzog den selben heroischen Akt neun Monate zuvor. Die Darstellung, dass beispielsweise nur Parks diesen Boykott vollziehen konnte, unterstützt den letzten Faktor: Die Mythisierung der Person. Damit die Botschaft aber auch bei allen ankommt, ist noch eine Sache wichtig: Das die Massenmedien gehörig über die Heldin oder den Held berichten. Weber war überzeugt, dass die ständige Präsenz in den Medien eine Charismatisierung bewirken kann, weil sie der betreffenden Person den Anschein großer Bedeutung gibt. Nochmal, es waren die 50er. Zu dieser Zeit wurde alles geglaubt, was im Radio gesagt wurde. Für den letzteren Faktor sorgte Parks, indem an dem Tag ihres Boykotts, ihr Freund, ein Journalist, dabei war. Er konnte dadurch das Bild schießen, welches um die Welt ging. Die perfekte Geschichte, mit der passenden charismatischen Person für eine bitter nötige politische Bewegung, um die Rechte von Schwarzen Menschen in den USA zu entfalten. Smart.
Wir stehen auf perfekte Geschichten
Geschichten sind magisch und griffig. Wir können sie aufgrund der Physiologie unseres Gehirns besser memorieren. Relevant ist allerdings auch, dass wir uns in die Heldin oder den Held hineinversetzen müssen. Dabei mögen wir Leute, die fast schon überirdisch perfekt sind. Zum Beispiel Jesus. Für jeden, der nun auf die Idee kommt, dass Rosa Park Geschichte unecht sei: Das stimmt nicht so recht. Bei Parks Verhaftung war nichts vorgetäuscht. Solche Dinge passierten damals (leider) häufig. Die Bürgerrechtsbewegung, oder um genauer zu sein die NAACP, sorgten lediglich dafür, eine geplante Reaktion auf einen Vorfall zu organisieren, der sich wieder und wieder wiederholte. Ihr Ziel war es lediglich, dem ein Ende zu setzen. Hinzu kommt, dass Rosa Parks eine überaus engagierte und fleißige Aktivistin für die Bürgerrechte war. Erst kürzlich wurde darauf aufmerksam gemacht, welche wichtigen Fälle sie als Sekretärin bei der NAACP betreute. Letztlich war Rosa Parks keine alte Lady (das wird immer wieder geschrieben, dabei war sie 42 Jahre alt. Entschuldigt mal bitte!). Ihr haftet das Bild einer alten, müden Frau an, die sitzen blieb. Das war´s! Dabei leistete sie weitaus mehr Arbeit. Doch auch Claudette Colvin sollte in Erinnerung bleiben und gefeiert werden. Sie war 15 Jahre alt und wehrte sich gegen ein System, dass sie strukturell und auch gesetzlich das Recht dazu hatte, sie zu verletzen. Claudette Colvin war so unfassbar mutig. Vielleicht sollten wir den Personenkult, um einen Gruppenkult erweitern. Warum können wir nicht beide Frauen feiern?
Ciani
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