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    Jutta Weber

    Weiße Mutter, Schwarzes Kind

    Jutta Weber – Weiße Mutter, Schwarzes Kind

    Die Rolle, die unsere Eltern für unseren Stand im Leben, für die Entwicklung unserer Persönlichkeit spielen, ist immens groß. Wir Menschenkinder sind als Säuglinge in besonderer Weise abhängig von unseren Müttern oder unseren Hauptbezugspersonen, entwickeln uns aber mit enormer Energie und Vielfältigkeit aus uns selbst heraus. Wir brauchen niemanden, der uns zeigt, wie man krabbelt, sich hinsetzt, läuft, wie man Türme baut, Türen öffnet, Perlen auffädelt, wie man Laufrad fährt oder sich ein Glas einschenkt.

    Wir versuchen und üben all das aus uns heraus, solange, bis wir es können. Man muss uns nur lassen, am besten uns gerne zuschauen, uns bei unseren Versuchen ermutigen, uns allenfalls ein Vorbild sein.Wir kommen mit grenzenlos vielen Optionen zur Welt. Welche von ihnen wir wie ausleben und entwickeln können, hängt zu großen Teilen von den Gegebenheiten ab, in die wir hineingeboren wurden- von gesellschaftlichen Strukturen, von Tradierungen, von ökonomischen Faktoren, aber am Anfang in allererster Linie von unseren Eltern. Auf welche Weise werden wir von ihnen in der Welt empfangen und begleitet? Welchen Umgang haben sie mit uns? Welche Werte werden uns von ihnen vermittelt?

    Ein Schwarzes Kind mit weißem Elternteil oder mit weißen Eltern zu sein, war in den sechziger Jahren, als ich zur Welt kam, etwas komplett anderes als heutzutage. Es gab eigentlich keine Schwarzen Mütter, die mit einem weißen Mann ein Kind bekamen, also waren die wenigen Schwarz/weißen Kinder, die es gab aus einer in den allermeisten Fällen nicht- ehelichen Verbindung zwischen einer weißen Frau und einem Schwarzen Mann entstanden.

    Um die gesellschaftliche Atmosphäre, die in den 50er und 60er Jahren herrschte darzustellen, ein kleiner Exkurs: Nicht- ehelich schwanger zu sein, war in den Sechzigern an sich schon eine ganz besondere Herausforderung. Man galt als Frau als „gefallenes Mädchen“.

    Die einzige Möglichkeit, diese „Misere“ ins gesellschaftlich Akzeptable zu wenden, war eine Ehe. War der Vater ein Schwarzer, war dies schon wegen seiner Hautfarbe undenkbar. Die ungewollte Schwangerschaft trieb die Frauen oft in tiefe Verzweiflung. Nicht selten überließen sie sich den Händen sogenannter Engelmacher*innen, die mit gefährlichen Methoden die Schwangerschaft unterbrachen.

    Fehlte dazu der Mut (Abtreibung war strengstens verboten) oder hielten die Frauen emotionale oder religiöse Gründe von diesem Weg ab, hatten wir Schwarzen Babys im Bauch unserer weißen Mütter diese erste, sehr wesentliche Hürde überlebt. Unsere Mütter- damit auch uns- erwartete jedoch auch dann ein unbestimmtes Schicksal: Manche der unverheiratet schwangeren Frauen wurden von ihren Familien in Klöster oder in Mütterheime geschickt, manche begaben sich „freiwillig“ dorthin. Sie blieben und arbeiteten dort. Viele gaben ihr Kind nach der Geburt zur Adoption frei, um danach wieder in ihr normales Leben zurückzukehren, was jedoch meist nicht gelang. Viele hörten nie auf, ihre Kinder zu vermissen.

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    Jutta Weber und Ihre Mutter.

    Entschieden sich die Mütter, ihre Schwarzen Babys bei sich zu behalten, waren wir Schwarzen Kinder immer noch längst nicht sicher an ihrer Seite. Nach 1945 waren 5.000 der insgesamt 70.000 nicht- ehelich geborenen Kinder, die aus Verbindungen mit ausländischen Soldaten hervorgingen, Schwarz.

    Diese sogenannten „Brown Babies“ stellten ein Politikum dar und wurden als „rassisches Problem“ im Bundestag diskutiert. Sie galten als nicht integrierbar und sollten daher nach Amerika verschifft und dort von Schwarzen Familien adoptiert werden. 1951 wurden die ersten beiden Schwarzen Kinder aus Mannheim zu Schwarzen Adoptiveltern nach Amerika gegeben. In der Zeitung erschien damals die Meldung: „Zwei kleine N*****lein, die fahren über‘n Teich“. Rund 2500 Kinder wurden auf die Weise bis zum Anfang der 60er Jahre verschickt. Ihre Mütter hatte man ein Papier unterzeichnen lassen, das ihre Kinder zur displaced person, zur staatenlosen Person, werden ließ. Das beschreibt Charlotte Wiedemann in Der lange Abschied von der weißen Dominanz.

    Ich wusste tatsächlich bis vor einem Jahr nichts von diesen barbarischen Praktiken, aber dennoch habe ich früh gewusst, haben wir Schwarzen Kinder weißer Mütter in den 60er Jahren früh gespürt, dass wir nicht selbstverständlich an der Seite unserer Mütter waren.
    Was ich also mit vielen Schwarzen Kindern weißer Mütter meiner Generation gemein habe, das uns von den Schwarzen Kindern späterer Generationen unterscheidet: wir waren nahezu alle ungewollt, blieben auch nach unserer Geburt für unser Umfeld, abgesehen von unseren Müttern, unerwünscht und wuchsen sehr oft ohne den leiblichen Vater an unserer Seite auf.

    Die Bindung an unsere Mütter war aus verschiedenen Gründen deutlich enger und existentieller, als sie bei Babys schon normalerweise ist. Wir waren ihnen grenzenlos dankbar: Sie hatten uns nicht abgetrieben, nicht den Nonnen im Heim überlassen und nicht zur Verschiffung nach Amerika freigegeben. Damit hatten sie ganz bewusst reale, existentielle Bedrohungen von uns abgewendet. Auch wenn natürlich kein Baby etwas von all diesen Umständen begreift, beschreibt dies dennoch die Atmosphäre, in die dieses Baby hineingeboren wurde. Es ist das genaue Gegenteil eines langersehnten, viel umliebten Wunschkindes.

    Meine Mutter und ich waren eine Insel: Ich war ihr Ein und Alles- und sie meins. Was von draußen zu stören drohte, wurde abgewehrt. Mein Vater sollte keine Rolle spielen, dass ich braun war, war schön und basta. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Meine Mutter fand Schwarze Männer schön und attraktiv, also schloss sie, dass jede*r weiße Deutsche dazu in der Lage sein sollte, Schwarze Menschen schön und attraktiv zu finden.

    Von klein auf wollte ich meine Mutter nie verärgern- wenn wir uns gut verstanden, sie an meiner Seite war, war ich sicher. Weiße Mütter Schwarzer Kinder haben keinen eigenen Erfahrungsschatz darüber, was Schwarzsein bedeutet. Wenn kein Schwarzes Elternteil mit dem Kind lebt, wird es vollkommen anders aufwachsen, als wenn ein Schwarzer Elternteil mit seiner transgenerationellen Prägung und seinen eigenen Erfahrungen bzgl. Rassismus an der Erziehung beteiligt ist.

    In Zwischen mir und der Welt, berichtet Ta- Nehisi Coates eindrucksvoll, dass Schwarze Eltern(teile) ihre Kinder auf die rassistischen Anfeindungen, die auf sie zukommen könnten, vorbereiten. Sie stellen sich zwischen ihre Kinder und die weiße Welt. Schwarze Eltern haben die Erfahrungen der „gestohlenen Körper“ impliziert. Sie sind Teil ihrer Familiengeschichte. Coates richtet sich mit seinem Buch an seinen Sohn.
    James Baldwin schreibt in seinem Buch Nach der Flut das Feuer an seinen Neffen: Eindrücklich erklärt er die Angst Schwarzer Eltern um ihr Kind, wenn sie spüren, dass es manche Grenzen zu akzeptieren nicht bereit ist oder wenn es gar selbstverständlich davon ausgeht, dass es in der Welt als Schwarzes Kind alles tun kann, was ein weißes Kind tun kann. Weiße Eltern Schwarzer Kinder haben diese Angst eher vage, sie sitzt ihnen nicht so tief, sie scheint für sie ein lösbares Problem zu sein.

    Als ich aufwuchs, gab es in meinem Umfeld eine sehr geringe Anzahl Schwarzer Menschen und ein sehr geringes Bewusstsein für Rassismus. Das N- Wort war gang und gäbe, genauso wie Black Facing, auch ich sang lauthals rassistische Kinderlieder (N.-Aufstand ist in Kuba, zehn kleine N.). All dem wurde keine Bedeutung beigemessen- auch nicht von meiner Mutter.

    Was für sie zählte, waren Anfeindungen gegen mich persönlich. Da wurde sie zur Löwin. Bevor ich die Situation oft überhaupt verstanden hatte oder ein Gefühl in mir aufkommen konnte, war sie schon für mich in die Bresche gesprungen. Vielleicht auch dadurch, dass ich kein Vokabular für das hatte, was mir teilweise draußen widerfuhr, machte ich das mit mir selber aus- und maß ihm so wenig wie möglich Bedeutung bei. Nie hätte ich mit Freunden oder Familie von mir aus über meine Hautfarbe oder meine Erfahrungen diesbezüglich gesprochen, da dies nicht von ihnen und auch sonst nirgendwo überhaupt Thema war.

    Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen das Bewusstsein für gesellschaftlichen Rassismus. Viele der weißen Mütter oder Väter Schwarzer Kinder in meiner Praxis sind aufgeklärt. Sie leben in Schwarz-weißen Beziehungen und haben ihre Kinder geplant, wie alle anderen Paare. Sie bekommen Schwarz-weiße Wunschkinder mit komplett anderen Startbedingungen. Viele Eltern sind belesen über Rassismus, Schwarze Literatur, verfolgen das Alltagsgeschehen. Rassismus ist in aller Munde, nicht erst, aber deutlich intensiver seit der Black- Lives- Matter- Bewegung.

    Und dennoch: Der offene Umgang mit dem Thema Rassismus hat es für die weißen Eltern(teile) Schwarzer Kinder nicht leichter gemacht. Es wird darüber gesprochen, es gibt Mitstreiter*innen, aber bis hin zur Selbstverständlichkeit von Schwarzsein in Deutschland ist es noch ein langer Weg. Wie meine weiße Mutter vermitteln auch heute noch weiße wie Schwarze Mütter und Väter Schwarzen Kindern, dass sie sich bilden sollen so gut es geht, mehr leisten müssen, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden- daran hat sich seit den 60er Jahren wenig geändert.

    Die Weißen in diesem Land werden noch genug damit zu tun haben, sich selbst und einander zu akzeptieren und lieben zu lernen- und, wenn sie das geschafft haben, was nicht morgen geschieht, was eventuell überhaupt nicht geschieht-, gibt es kein „Negro problem“ mehr, das wird dann nämlich nicht mehr gebraucht. (James Baldwin)

     

    Jutta-Autorin

    Jutta

    Jutta Weber wurde 1964 am Niederrhein geboren. Nach dem Abitur studierte sie in Göttingen und Düsseldorf Humanmedizin und absolvierte danach ihre Doktorarbeit, eine Fachärztinnenausbildung zu Kinder- und Jugendärztin und eine Ausbildung zur Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Jutta Weber lebt mit ihrer Familie in Krefeld und arbeitet dort in eigener Praxis.

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