Wir alle haben die Verantwortung, nicht wegzuschauen – oder: not another Einzelfall
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Blumen, Fotos und Grabkerzen. Eine Gedenkstätte in der Achternstraße erinnert an die Nacht des Ostersonntags 2025, in der hier ein 21-Jähriger sein Leben an die Waffe eines Polizisten verlor. Deutschland, wie wirst du diesmal reagieren? Wird es wieder als ein weiterer Einzelfall geframed, der sich in die lange Geschichte staatlicher Gewalt gegen Schwarze Menschen einreiht? Lorenz A. aus Oldenburg wollte eine Nacht im Club verbringen, Spaß mit Freund*innen haben, so wie viele von uns. Jedoch kehrte er nie nach Hause zurück. Er wurde Opfer von Polizeigewalt. Ein Kommentar von Latifah Cengel.
Angst vor der Polizei ist etwas, mit dem die meisten Schwarzen und migrantisch gelesenen Menschen in Deutschland aufwachsen. Diese Angst habe ich bereits in meiner frühen Jugend immer wieder gespürt und in meinem direkten Umfeld bestätigt bekommen. Wer kennt sie nicht: die Geschichte vom Vater, der auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag „zufällig“ kontrolliert wird, der Freund, der trotz gültigem Fahrschein auf dem Weg zum Boxtraining aus der Bahn gezogen wird, die Freundin, die nach angemeldeten Demonstrationen für unsere Rechte von Polizeibeamt*innen schikaniert wird. Und das sind die guten Geschichten, denn sie enden mit Menschen, die gesund und semi-munter zu ihren Familien und Freund*innen zurückkehren können.
Als Teenager lernte ich, was rassistische Polizeigewalt bedeutet. Namen wie Tamir Rice, Sandra Bland und Alton Sterling schwappten über das Internet auch zu uns herüber. Später lernte ich ihr deutsches Gesicht kennen: Oury Jalloh, Christy Schwundeck, Laye Conde und Achidi John. Das waren die ersten Fälle, von denen ich hörte – bevor ich in meiner eigenen Politisierung live miterlebte, wie sich immer mehr Namen in diese Liste einreihten.
Zuletzt nun: Lorenz. Dessen Name derzeit durch die Medien geht, begleitet von den üblichen, rassistisch motivierten Diffamierungen seitens der Polizei: „Er hatte ein Messer“, „Wir haben uns bedroht gefühlt“. Das Narrativ vom „bösen Schwarzen Mann“, das sich Deutschland seit der Kolonialzeit zu eigen gemacht hat. Ob tatsächlich ein Messer im Spiel war, ist bislang nicht unabhängig bestätigt. Lorenz war ein junger Mann, der vielleicht sogar aufgrund von Racial Profiling keinen Zugang zu einer Bar bekam und daraufhin Pfefferspray einsetzte. War das die richtige Reaktion? Ehrlich gesagt, ich will mir kein Urteil erlauben. Zu oft habe ich gesehen, wie Sicherheitskräfte in diesem Land mit männlich gelesenen Personen umgehen, die nicht weiß und reich aussehen. Was ich aber weiß: Nichts davon rechtfertigt, dass Lorenz‘ Eltern ihren Sohn nicht mehr in die Arme schließen können.
In Oldenburg hat sich inzwischen ein Kreis von Unterstützer*innen zusammengefunden, die Gerechtigkeit für Lorenz fordern. „Die Familie von Lorenz wünscht sich vor allem eines: Aufklärung. Wahrheit. Gerechtigkeit. Sie will wissen, was in jener Nacht wirklich passiert ist – warum ihr Sohn, Bruder und Freund sterben musste“, erzählt Suraj Mailitafi, der auf seinen Social Media-Kanälen seit dem Vorfall unermüdlich für Gerechtigkeit kämpft und über den Fall informiert. „Die Familie fordert, dass Verantwortung übernommen wird – auf juristischer wie politischer Ebene. Und sie wünscht sich, dass Lorenz nicht als ‚tragischer Einzelfall‘ abgetan wird, sondern dass gesellschaftlich anerkannt wird, wie strukturell dieses Problem ist.“ Seine Familie braucht jedoch Zeit, um die Geschehnisse zu verarbeiten; eine Äußerung werde es zu gegebener Zeit geben, so Mailitafi.
Lorenz A. @Initiative Gerechtigkeit für Lorenz
In der Zwischenzeit dürfen wir Lorenz nicht zu einem weiteren Namen auf der Liste werden lassen. Im Namen aller Opfer von Polizeigewalt in Deutschland müssen wir endlich aktiv und community-orientiert arbeiten. Die Unterstützung von Initiativen wie in Oldenburg ist wichtig, denn wir wissen: Nach ein paar Jahren lässt der öffentliche Druck oft nach. Es liegt an uns, dem Staat weiter auf den Zahn zu fühlen. Für Lorenz finden momentan deutschlandweit Proteste und Gedenkveranstaltungen statt. Es gibt einen Spendenaufruf für die Familie, und online wird plattformübergreifend berichtet. Ich hoffe, dass dieser Support nicht in einigen Wochen wieder nachlässt, wenn das nächste Schicksal unsere Bildschirme erreicht. Alle Opfer verdienen unsere Aufmerksamkeit, und alle Hinterbliebenen unsere Solidarität. Oury Jallohs Mutter starb, bevor ihr Sohn Gerechtigkeit erfahren konnte. Die Mörder von Mouhamed Dramé wurden erst Ende letzten Jahres in Dortmund freigesprochen. Ihr Opfer war erst 16 Jahre alt. Dieser Kreislauf rassistischer Gewalt muss beendet und seine Täter*innen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber wie soll das gehen, wenn der Staat gleichzeitig Judge, Jury and Executioner ist und die Verantwortlichen auf unsere Straßen lässt?
„Wir alle haben die Verantwortung, nicht wegzuschauen. Wenn ein Mensch durch Polizeigewalt stirbt, ist das nicht nur ein ‚tragisches Ereignis‘ – es ist ein politischer Moment“, so Suraj in einem Appell an die Community. „Hinter jedem Namen steht ein Mensch. Lorenz war ein junger Schwarzer Mann mit Träumen, mit Familie, mit Zukunft. Er hätte leben müssen. Und wir werden nicht aufhören, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Für ihn und für alle, die von staatlicher Gewalt betroffen sind. Gerechtigkeit für Lorenz – jetzt.“
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