Wir brauchen eine schwarze Pippi
Wenn ich auf mein Kinderzimmer zurückblicke, sehe ich sich türmende Kisten, gefüllt mit Barbie-Variationen. Schlösser, ein Ponyhof, das Traumauto und natürlich die Einkaufspassage, damit meine kleine Puppe modisch bleibt. Barbie wird heute 60! Sie gilt als die berühmteste Puppe der Welt und wird weiterhin alle drei Minuten an irgendeinem Ort auf dem Globus gekauft. Trotzdem musste sie sich über das letzte halbe Jahrhundert einiges an Kritik anhören, allen voran, dass sie ein unrealistisches Schönheitsideal an Kinder vermittelt. Der Konzern hat bereits reagiert und versuchte sich an die Curvy Barbie und besitzt bereits eine große Auswahl an schwarzen Puppen.
Doch was bewirkt es, als junges schwarzes Mädchen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft sich noch nicht mal im eigenen Kinderzimmer identifizieren zu können? Im Kindergarten nach dem Stift mit der Hautfarbe zu fragen und eben diesen an den eigenen Arm zu halten, um zu erkennen:
Ich entspreche nicht der Norm. Pippi Langstrumpf zulesen, dass von allen Kindern auf der Welt gefeiert wird, um auch hier feststellen zu müssen, dass ihr Vater ein Kolonisator war, der als Südseekönig über Eingeborene herrschte und dass meine Realität nicht auf Pippis Pferd mit Herr Nilsson, Annika und dem Rest wäre, sondern eben… ja genau, wie sieht denn die Welt von einem schwarzen Kind aus?
Auch Tebbi und Olaolu haben sich darüber Gedanken gemacht. Nachdem sie mit den gleichen Büchern, Puppen und Buntstiften aufgewachsen sind. Jahre später stellten die beiden bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder fest, dass auch im Jahr 2019 Vielfalt im Kinderzimmer immer noch keine Normalität ist. Daraufhin gründeten sie den Onlineshop Tebalou, eine Wortmischung aus ihren Vornamen. Ihr Ziel: Einen Ort zu schaffen, an dem alle Kinder in Deutschland sich mit ihren Eltern repräsentiert sehen, ob queer, alleinerziehend oder eben schwarz.
Die Diskrepanz zwischen Kinderbüchern und der Realität
Die Mutter, der Vater, der großer Bruder, die kleine Schwester, ein Hund, eine Katze. Sie alle leben gemeinsam in einem freistehenden Haus. Was nach einem Klischee klingt, ist das vorherrschende Narrativ von Kinderbüchern – im Jahr 2019. Patchworkfamilien, das Leben in Mietshäusern oder die kopftuchtragende Lehrerin – sie alle finden keinen Platz in der heilen Kinderwelt. “Es besteht eine große Diskrepanz, zwischen dem, was wir in den Kinderbüchern sehen und dem was in der Realität passiert,” erläutert Olaolu und Tebbi fügt hinzu: “Die am stärksten wachsende Familienkonstellation in Deutschland ist die Ein-Elternschaft, allerdings gibt es nur wenige Kinderbücher, welches diese Thematik aufgreift.” Normalität im Kinderzimmer, genau das ist den Gründerinnen wichtig. “Wenn es Bücher gibt, die sich das Thema Vielfalt auf die Fahne schreiben, wird Diversität problematisiert. Dann geht es nicht, um Karla, die Heldin im Kindergarten, die mit ihrem Papa alleine lebt. Sondern es geht um die arme Karla, weil ihre Mama weg ist,” untermauert Olaolu.
Die Wirkungskraft einer mangelnden Repräsentation
Wie wichtig ein Narrativwechsel ist, zeigt der “Doll Test” von Kenneth Bancroft und Mamie Phipps Clark. Kinder wurden im Vorschulalter gebeten, sich zwischen zwei Puppen zu entscheiden: Die eine ist weiß und die andere ist schwarz. Das Ergebnis: Ganz gleich, welche Hautfarbe das Kind hat, es wählt lieber die weiße Puppe. Damit nicht genug: Die schwarze Puppe wird im Experiment auch häufiger als „böse“ bezeichnet. Erstmalig in den 1940er durchgeführt, wiederholte der amerikanische Nachrichtensender „CNN“ den Test 2010 mit dem gleichen Ergebnis. Während sich viele schwarze Kinder mit den schwarzen Puppen identifizierten, bevorzugten sie aber mehrheitlich die weißen Puppen zum Spielen. Dieser Test zeigt, die Wirkungskraft von Bildern. “Schwarze Kinder sollen nicht als Problem dargestellt werden,” sagt Co-Gründerin Olaolu. “Erst wenn Kinder sowie Eltern Geschichten lesen, in der die Protagonistin einer Heldengeschichte ein Mädchen ist und schwarz, ist es für sie auch nicht mehr fragwürdig, dass sie zu einer Ärztin gehen, die schwarz ist und dass ihre Lehrerin ein Kopftuch trägt. Weiße Kinder müssen dabei lernen, dass neben ihnen auch andere Kinder existieren”, ergänzt Olaolu.
Zwei Frauen wollen die Kinderwelt verändern
Vor einem halben Jahr sind Tebbi und Olaolu mit ihrem Onlineshop gestartet und erhalten schon viel positive Resonanz. Vor allem an Ständen auf Events kommen sie mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Von der Mutter, die verwundert ist, dass es einen Onlineshop für Diversität im Kinderzimmer überhaupt gibt, um dann erschrocken festzustellen, dass in ihrem eigenen Bücherregal Geschichten von diversen Lebenswelten fehlen, bis hin zur alleinerziehenden Mutter, die sich freut ein Buch zu finden, indem ihre eigene Situation, nicht problematisiert, sondern widergespiegelt wird. Bei der Frage, warum es kaum vielfältige Lebenswelten in den Kinderbüchern gibt, erklärt Tebbi: “Es gibt zwei Gründe. Zum einen tendieren Eltern dazu, ihre Kinder in Watte zu packen und ihnen die heile Welt vorzulesen, zum anderen liegt es an den Verlagen. Je größer der Verlag, desto schwieriger fällt es ihnen, etwas Neues zu machen. Sie denken, es gibt keinen Markt für solche Themen.” Das sie sich irren, erläutert Olaolu an dem globalen Kassenschlager Good Night Stories for Rebel Girls von Elena Favilli und Francesca Cavallo: “Die beiden Autorinnen wollten für ihre Kinder 100 außergewöhnliche Frauen porträtieren, jenseits von der Prinzessin. Von Rosa Parks, Malala Yousafzai bis hin zu Yoko Ono – standen alternative Frauenbilder im Zentrum. Als sie an diverse Verlage herantraten und sie nur Absagen erhielten, entschieden sie sich schließlich dazu, es selbst zu wagen. Mit einer Crowdfunding-Kampagne über Kickstarter haben sie das Buch finanziert und heute gehört es zu einem der meistverkauftesten Bücher.” Inzwischen befindet sich Rebel Girls im Carl Hanser Verlag.
Vielfalt im Kinderzimmer ist die Lösung für eine moderne Welt
Die Lebenswelten von türkischen Müttern, schwarzen Eltern oder queere Familien ist für die Entscheider in der Verlags- und Kinderspielwelt viel zu weit weg. “Wir sind schwarze Mütter, wir achten und steuern bewusst, was unsere Kinder lesen, hören und sich anschauen,” erläutern die Gründerinnen, doch auch Tebbi räumt ein: “Ich kann die Herausforderung, die Perspektive zu wechseln, schon nachvollziehen. Ich merke immer wieder, dass ich mich in viele Themen hineinlesen muss. Ich habe wenig queere Freunde oder Familien in meinem Umfeld. Umso wichtiger ist es für mich, dass meine Kinder ein besseres Bewusstsein für alle Familienkonstellationen erhalten. So korrigieren sie mich bereits, als es vor kurzem um eine Hochzeit ging und ich sagte ‘Mann und Frau’,
woraufhin sie erwiderten ‘Nee Mama, es können auch zwei Frauen oder Männer sein’.” Die beiden Gründerinnen sind sich einig: Vielfalt gehört in das Kinderzimmer aller Kinder. Heranwachsende und ihre Eltern sollten der Realität ausgesetzt werden, denn wenn sie ihre Wohnung verlassen und auf dem Spielplatz ihre Freundin Marie entdecken, die von zwei Müttern abgeholt wird, ist das für sie Normalität. Wenn sie bei Çiğdem zu Besuch sind, gehört diese Lebenswelt auch für sie zur Normalität. Dass es ein schwarze Pippi Langstrumpf gibt, worin ihre Hautfarbe nicht thematisiert wird, sollte auch für alle Kinder normal sein. Dafür kämpfen Olaolu und Tebbi. Jeden Tag.
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