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Anta Helena Recke

Anta Helena Recke: Die Konstruktion von Whiteness im Theater

Im Gespräch mit Regisseurin Anta Helena Recke
Die Spielzeit 2017/18 lief ganz gut für Anta Helena Recke – sogar verdammt gut! Die Künstlerin und Theaterregisseurin feierte mit ihrer Inszenierung „Mittelreich“, das auf einem (Nach-)Kriegsroman von Josef Bierbichler basiert und an den Münchner Kammerspielen zu sehen war, einen Riesenerfolg. Das Besondere an dem Stück: Anta Helena Recke kopierte eine bereits bestehende Inszenierung und tauschte lediglich das weiße Ensemble mit einem Schwarzen aus. Das gab es in der deutschen und hauptsächlich weiß geprägten Theater Landschaft so noch nie – und diese Veränderung der Stellschrauben schlug große Wellen. Diesen September 2019 steht schon ihr neues Stück in den Startlöchern: „Die Kränkungen der Menschheit“. ROSAMAG hat Anta getroffen und mit ihr über die Motivation ihrer Arbeit und die Konstruktion von weiß-sein in der Theaterkunst gesprochen. Außerdem verrät sie, was uns in „Die Kränkungen der Menschheit“ erwartet!
Mittelreich Credits_ Judith Buss

Mittelreich an den Münchner Kammerspielen / All Photo Credits: Judith Buss

Es herrscht eine schwer einzuordnende Atmosphäre in dem Café, in dem ich mich mit Anta für das Interview verabredet habe – das Wort emsig würde es wohl am besten beschreiben. Denn jede*r sieht hier irgendwie extrem beschäftigt aus. Nur inwiefern das schnelle Einhämmern in die MacBook Tastatur und die parallel geführten, sehr lautstark geteilten Telefonate eher das chronisch busy Freiberufler*innen-Image repräsentieren sollen oder tatsächlich notwendig sind, ist schwer zu beurteilen. Die Kellner*innen sind sehr damit beschäftigt den Eindruck zu vermitteln, sie würden für ihre gelangweilte Coolness bezahlt und nicht etwa für den Service  – aber das erwartet die Kreuzberger Kundschaft schließlich auch. Dagegen bietet Anta, im luftigen Overall, mit  Fahrradschloss und breitem Grinsen, einen angenehm entspannten Kontrast. Unaufgeregt. In sich ruhend. Wir verziehen uns in eine gemütliche Sitzecke und während wir im besten Denglisch Kaffee und Snacks bestellen, fängt Anta auch schon an zu erzählen. Sie arbeitete bereits am Berliner GRIPS Theater als sie 2011 zum Studium der Szenischen Künste nach Hildesheim ging. Den Übergang vom studentischen zum professionellen Theater empfindet sie im Nachhinein eher fließend, aber das Stück „Lovepiece“ markierte 2015 für Anta einen wichtigen ersten Meilenstein in ihrer beruflichen Karriere. Ihr Lebensmittelpunkt ist aktuell Berlin, doch da Anta viel unterwegs ist, definiert sie sich auch deshalb nicht nur als Schwarze deutsche Frau, sondern auch als diasporisches Subjekt. Für die Regisseurin ist dies ein wichtiger Teil ihrer Identitär, da sie weltweit mit allen nicht-weißen Menschen auf ein gemeinsames Referenzsystem zurückgreifen kann.

Wie würdest du deine Arbeit beschreiben? Was macht sie aus oder für dich besonders?

Ich glaube, meine Arbeit wird sehr stark aus präzisen, abstrakten und theoretischen Ideen generiert. Wenn man benennen müsste, in welchem Feld ich arbeite, dann würde ich am ehesten sagen, dass es um das Feld der Wahrnehmung geht. Ich interessiere mich nicht so sehr dafür, etwas additiv hinzuzufügen oder kreativ zu erschaffen. Sondern mich interessiert eher: Wie kann man herausarbeiten, dass das, was wir wahrnehmen, auch etwas ganz anderes sein könnte, je nachdem wie wir es wahrnehmen und verarbeiten. Ich würde alles, was es gibt, erst mal als Material betrachten. Wie werden eigentlich Dinge in die Realität geholt, nur dadurch, dass wir sie wahrnehmen und wie wir sie wahrnehmen? Du merkst, es ist irgendwie super abstrakt, aber gleichzeitig auch krass konkret für mich.

Es geht dir also nicht darum, Neues zu erschaffen, sondern Bestehendes neu zu interpretieren bzw. um einen Perspektivwechsel?

Ja, zu verstehen, dass man das Bestehende selber erschafft und dass nichts so ist, wie es einfach ist, sondern dass man Dinge nur durch seine eigene Wahrnehmung erfahren kann. Genauso ist das mit der materiellen Wahrheit: Das hier ist z.B. ein Teller, weil ich eben gelernt habe, dass es ein Teller ist. Aber es ist auch Abermillionen von anderen Sachen. Oder es ist gar nicht da. Und es stimmt alles gleichzeitig. Erst mal schaue ich einen Teller an und dann mache daraus Kunst und über dieses Erlebnis kann ich vielleicht, wenn es gut läuft, für einen kleinen Moment checken: Oh, das ist das hier. Aber auch jenes hier. Sodass ich für einen kleinen Moment auf den Trichter komme, was das Leben ist und was die Existenz ist und wie man sich Wirklichkeit konstruiert. Ich interessiere mich nicht einfach nur für Dekonstruktion, weil ich alles zertrümmern will. Ich interessiere mich nicht für die Kritik „Oh, das ist ja nur konstruiert und deswegen ungültig.“ Wenn man das wirklich mal verstanden hat, dass es eigentlich nichts als Konstruktion gibt, kann man daraus eine krasse Freiheit erlangen und gestalterisch tätig werden. Und ich glaube, dass in dieser Erkenntnis Möglichkeiten liegen, die noch total unberührt sind.

Lass uns über dein super erfolgreiches Stück „Mittelreich“ sprechen. Damit hast du eine Kopie einer bereits bestehenden Inszenierung von Anna-Sophie Mahler auf die Bühne gebracht.

Das Besondere bei deiner Version ist, dass du lediglich das weiße Ensemble mit einem komplett Schwarzen ausgetauscht hast. Die Geschichten, Rollen und Texte sind gleich geblieben. Kritiker*innen nannten das „radikal“ und „provokant“. Wie hast du das selbst empfunden?

Mir war sehr bewusst, dass das so gelesen wird. Mir war auch sehr klar, wie Leute das wahrnehmen würden und dass es als radikal verstanden wird, wobei radikal ja ein Kampfbegriff ist. Wenn man diesen Begriff benutzt, dann geht es ja schon darum, dass man einen Dissens provozieren will. Wenn man diese Vokabeln „radikal“ und „provokant“ verwendet, dann geht es um etwas anderes als das, um was es mir geht, wenn ich künstlerische Arbeitsweisen entwickle. Ich denke nicht: „Was kann ich jetzt machen, das provoziert?“ Ich bin ja kein Kleinkind.

Stattdessen überlege ich: „Was mach ich eigentlich und warum und was interessiert mich?“ Mir gefällt das Wort konsequent eigentlich viel besser. Aus meinem künstlerischen Interesse und der Perspektive heraus, war das die konsequenteste Umsetzung, die mir dazu eingefallen ist. Es ist eine saubere, ganz klar vereinfachte, mono-konzentrierte Setzung. Ich würde es also eher als konsequent und klar beschreiben, und nicht als radikal und provokant.

Wie waren denn die Reaktionen aus dem Kreis der Theatermachenden im Vergleich zu den Theaterkritiker*innen?

Sehr verschieden. Es gibt ja sowohl bei Kritiker*innen als auch bei Theatermacher*innen verschiedene Grade in Bezug auf eine Auseinandersetzung und Bildung zu dem Thema struktureller Rassismus. Ich glaube, dass die Reaktion, die man auf diese Art von Ausdruck hat, zu 100 Prozent mit dem Bildungsgrad zu diesem Thema zusammenhängt. Diese verschiedenen Bildungsgrade gibt es in allen Sparten und Berufsfeldern. Es gab viele Leute, die voll supportive waren oder sogar inspiriert. Die haben das total gecheckt. Und dann gab es auch andere Leute, die davon krass verunsichert waren und die damit gar nichts anfangen konnten. Sie hatten eine ganz andere Lesart davon und stellten die Frage: „Aber was soll das denn? Soll ich im Theater sitzen und mich jetzt schlecht fühlen?“ Die konnten das aufgrund ihres Bildungsstands konzeptuell nur viel zu kurz verstehen und dann darauf nur trotzig reagieren. Wie das halt immer so ist, wenn weiße Leute anfangen, sich unwohl zu fühlen.

Mittelreich an den Münchner Kammerspielen / All Photo Credits: Judith Buss

Was verändert für dich denn der reine Austausch von der Körperlichkeit?

Das war eben genau die Frage, die mich interessiert hat und woraus die Idee entstand. Man lebt in krass verschiedenen Realitäten, je nachdem, wie die Haut pigmentiert ist und das übersetzt sich natürlich auch in ein Zeichensystem auf der Bühne. Ich habe gemerkt, dass es viele Leute gibt, die quasi in der Illusion leben, dass es keinen Rassismus mehr gibt. Und dass sie meinen, wir wären alle gleich, nur weil sie es sich so wünschen. Aber alles hat eine komplett andere Bedeutung, je nachdem welche Körper dabei mitwirken. Das war für mich ganz klar, aber eine Tatsache, die viele vehement leugnen. Deswegen war es interessant, mal zu gucken: Ok, dann lass es uns doch mal beliebig austauschen und die These, dass wir alle gleich sind, überprüfen. All das, was anders ist, konnte man auf jeder Ebene ablesen: Auf der Ebene der Kritik, auf der Ebene der Arbeitsverhältnisse, auf der Ebene der Produktionsverhältnisse. Wie die Proben waren, wie die Bezahlung war, wie die Sprache darüber war und so weiter. Da hat sich einfach so viel abgespielt und immer die Frage: „Ja, was ist denn anders?“ Und dann muss ich ja immer die Frage zurückgeben: „Wieso machen wir das denn anders?“ Die Frage beantwortet sich ja auch immer weiter, weil eben auch der Aftermath der Inszenierung anhält. Vielleicht kann ich noch ein Beispiel auf der Ebene der Kritik rausnehmen. In jeder Kritik, egal ob schlecht oder gut, wurde auf jeden Fall die Frage verhandelt, ob das jetzt professionelles Theater ist oder nicht. Und das ist als Frage völlig aus der Luft gegriffen und nur darauf zurückzuführen ist, dass die Akteur*innen Schwarz sind und nicht weiß. Es würde nie jemand auf die Idee kommen, diese Frage an eine weiße Inszenierung zu stellen, die im großen Saal der Münchner Kammerspiele Premiere feiert. Aber das war eine Frage, die in jeder Kritik besprochen wurde, auch wenn sie positiv war. „Das war ein tolles, professionelles Theaterstück.“ Es war wichtig dazu zu sagen, dass es professionell ist.

Bei deiner Inszenierung von „Mittelreich“ hat der Austausch von Körpern ja nicht nur die Schauspieler*innen betroffen, sondern auch den Chor und die Musiker*innen. Wie weit hat sich diese Konsequenz gezogen, z.B. in Bezug auf das Team hinter der Bühne? Oder ging es dir lediglich um die Erfahrung des Publikums?

Für mich war es wirklich eine rein bildpolitische Frage. Ich verstehe das auch wieder sehr schematisch, theoretisch und abstrakt. Wenn ich Theater mache, dann setze ich Bilder in die Welt und das ist es, worauf ich mich konzentriere. Deswegen war es für mich nicht unbedingt notwendig, dass alle im Team Schwarz sein müssen. Sondern das Bild, das gesehen und in die Welt gesetzt wird. Bei bestimmten Positionen war es aber trotzdem wichtig, vor allem bei der inhaltlichen Arbeit. Ich komme ja bei so einem Konzept mit jemandem nicht weiter, der*die keine Ahnung von all dem hat und dem*der ich dann wieder erklären muss, dass er*sie weiß ist. Deswegen war mein Dramaturg auch Schwarz.

Dein Dramaturg Julian Warner, von dem du gerade sprichst, hat dein Stück auch als „Schwarzkopie“ beschrieben. Was genau hat es mit dem Begriff auf sich?

Ich habe den Begriff in die Welt gesetzt. Ich finde einfach, der passt gut, weil es genau das ist. Es ist eine Kopie und es wird etwas verändert: Ein weißes Ensemble wird mit einem Schwarzen ausgetauscht. Es ist auch ein Begriff, der sich sehr auf die Geschichte der Popmusik bezieht und Fragen über Autor*innenschaft. Das ist im weitesten Sinne auch alles mit der Geschichte des Schwarzen Subjekts im Showbiz verwoben. Eine Schwarzkopie ist ja eine illegale Kopie. Dabei wird die Wertschöpfungskette aus dem Offiziellen herausgebrochen und gerinnt in dunkle Ecken oder andere informelle Bereiche. Und das ist ja schon immer der Status der Kulturproduktion von Schwarzen Leuten in der Moderne gewesen. Die Musiker*innen, die eigentlich das Fundament der populären Musik, die wir heute kennen, erschaffen haben, waren Nachkommen von Versklavten, die von Westafrika nach Amerika gebracht wurden. Aber der Geldfluss, die Credits und der Profit für diese Musik ist an weißen Industrien und Ikonen hängen geblieben. Und an diese Historizität lehnt sich der Begriff natürlich an. Es ist auch ein künstlerisches Experiment und bezieht sich nicht nur auf den Namen, sondern auch auf das Verfahren. Man kann natürlich eine Musikkassette, einen Film oder ein Bild ganz einfach kopieren und die Autor*innenschaft verändern und es dann in Umlauf bringen. Wenn man jetzt versucht, dieses Prinzip auf ein Theaterstück zu übertragen, dann tun sich ja sofort wieder ganz viele Fragen auf: „Wie soll das überhaupt gehen? Darf man das? Was kopiert man eigentlich? Wer ist dann der*die Autor*in? Wer hat die Rechte und wem wird auf den Schlips getreten?“ Es war gut den Begriff „Schwarzkopie“ dafür zu etablieren, weil es für mich Teil des Kunstwerks ist, diese ganzen Fragen aufzuwerfen. Auch um sich davor zu schützen, wie das von außen beschrieben wird. Wenn man selber einen Begriff setzt, dann ist der erst mal da und man ist nicht Opfer davon, wie irgendwelche ignoranten, feindseligen oder kurz denkenden Leute beschreiben, was du machst.

Mittelreich - Credits: Judith Buss

Mittelreich an den Münchner Kammerspielen / All Photo Credits: Judith Buss

Bei deiner Inszenierung ging es also vor allem um die Konstruktion des weißseins und weniger darum Repräsentation für Schwarze Menschen auf die Bühne zu bringen?

Ja, auf jeden Fall! Ich gehe sehr radikal von dem aus, was ist und nicht von dem, was ich gerne hätte. Und Tatsache ist, dass das Theaterpublikum in Deutschland weiß ist. In dem Stück geht es um weißsein, das war der Hauptfokus. Denn das größte Problem ist, dass das Theaterpublikum sich nicht darüber bewusst ist, dass es weiß ist. Aus meiner Überlegung „Wie könnte ich das für sie erfahrbar machen?“ ist die Idee ja überhaupt erst entstanden. Aber, wie schon gesagt, alle Sachen sind ja Abermillionen verschiedene Dinge at the same time. Für nicht-weiße Menschen hat dieses Stück also eine komplett andere Bedeutung. Für sie ist es eine ganz andere Erfahrung, das anzusehen. Und das ist auch etwas, was ich total toll fand. Das war zwar nicht der Fokus, aus dem heraus das Ganze entstanden ist, aber es hat mich natürlich wahnsinnig berührt und auch glücklich gemacht, dass überhaupt so viele nicht-weiße Leute gekommen sind und diese Erfahrung machen konnten: Auf die Bühne zu gucken und da die Spiegelung ihrer Existenz zu sehen. Und weil ich diese Erfahrung ja auch in mir trage, weiß ich, wie krass das ist, weil es das sonst einfach nicht gibt. Das war auch ein Community Moment, aber keiner, der für die Öffentlichkeit produziert wurde. Das war etwas, dass wir als Gemeinschaft wussten und erfahren haben, aber niemandem darüber Auskunft geben müssen.

Welche Veränderungen würdest du dir für die Theaterlandschaft wünschen?

Unabhängig von der ganzen Rassismusfrage, würde ich mir generell als Veränderung wünschen, dass Theatermenschen und Institutionen die Arbeitsbedingungen und -moral überarbeiten. Wenn du Theater machst, ist es im Moment so, dass du dein Leben komplett dem Theater opfern musst. Du musst immer erreichbar sein. Während du gerade etwas erarbeitest, musst du immer schon das Nächste konzipieren, weil sonst das Geld nicht reicht. Dieser Trott, dass man immer weiter macht, der dann zum Selbstzweck wird. Es gibt zum Beispiel auch kaum Raum für Evaluierungen und deswegen findet wenig Bewegung statt. Und ich merke immer mehr, dass ich so nicht leben will. Es wäre schön, wenn man zukünftig Theater machen kann, aber trotzdem auch Freizeit hat und Raum sich weiterzuentwickeln. Ich wäre also dafür, dass man die Unterwerfung des Theaterbetriebs unter das kapitalistische Prinzip abschwächt.

Was ist, deiner Meinung nach, die bisher größte Errungenschaft und auch Veränderung, die du mit deiner Arbeit erreichen konntest?

Also, für mich ist das tatsächlich „Mittelreich“ gewesen, weil ich die Erfahrung machen konnte, dass ich in der Öffentlichkeit, im Fernsehen, sagen kann, was ich wirklich denke und wie die Situation von „Our side of the World“ wahrgenommen wird. Ich kann ich selbst sein, ohne die weiße Komfortzone zu beachten. Die Welt geht davon nicht unter und ich sterbe nicht davon. Ich habe im großen Stile einmal diese Angst überwunden, um erfahren zu können, was dahinter liegt. Klar, es brechen auch viele Leute weg, sowohl aus meinem persönlichen als auch aus meinem professionellen Umfeld. Wer nicht bereit ist, aus dieser Komfortzone rauszugehen, der bleibt eben da. Aber ich muss deswegen nicht stehenbleiben. Und das ist dann auch total in Ordnung. Eine der größten Sachen, die ich dadurch erfahren konnte, war: Ich muss nicht gemocht werden. Ich muss mich nicht auf diesen dominanten Realitätsbegriff einlassen, sondern ich kann sehr gut unabhängig davon leben und zwar mit sehr guten Beziehungen, sehr guten Möglichkeiten und einem sehr guten Netzwerk. Das ist etwas, was ich gelernt habe und was mein In-der-Welt-sein krass transformiert.

Welchen Herausforderungen müssen sich Schwarze Künstlerinnen, deiner Meinung nach, heute generell stellen?

Ich glaube, Tokenism ist ein großes Problem. Im Moment gibt es ja sehr viel Nachfrage nach „anderen“ Perspektiven und das ist eigentlich eine ganz gute Situation. Und gleichzeitig weiß man, dass man bei den Gelegenheiten, zu denen man eigeladen ist, dafür steht, dass sich die Institutionen jetzt verändern. In den meisten Fällen ist das aber nur eine kosmetische Sache. Du darfst dann einen Slot begleiten und die ordnen das dann diskursiv in ihrem Sinne ein, aber ein wirkliches Verlassen der Komfortzone oder Veränderung der Struktur, ist eigentlich gar nicht vorgesehen. Das ist ein Dilemma, bei dem man sich oft fragt: „Wäre es nicht besser das nicht zu machen? Oder ist es gut, das zu machen und zu versuchen so subversiv oder so direkt wie möglich genau das zu adressieren?“ Aber ich glaube, dass es schwierig ist aus diesem Hamsterrad herauszukommen und dass man immer nur als Kritik vorkommen kann und nicht einfach als Position. Man ist immer die Schwarze oder diverse Position und dadurch hat man auf der strukturellen Ebene noch nicht so viel gewonnen, sondern nur einen Monat wieder Geld. Das ist ein Gewissenskonflikt, den man die ganze Zeit verhandelt.

Mittelreich an den Münchner Kammerspielen / All Photo Credits: Judith Buss

Bei einem Symposium an der Akademie der Künste in Berlin hattest du zusammen mit der Theater Regisseurin Julia Wissert auch ein öffentliches Gespräch darüber, dass ihr im beruflichen Rahmen ständig zu hören bekamt, „dass ihr euch unbedingt kennenlernen müsst“ – nur aufgrund der Tatsache, dass ihr beide Schwarz seid.

Ja, sie hat mir auch erzählt, dass manche Leute zu ihr gesagt haben, als „Mittelreich“ groß rauskam: „Scheiße, was machst du jetzt eigentlich? Jetzt gibt es ja Anta – du bist voll im Arsch!“ Nach der Logik: „Du bist eine Schwarze Regisseurin – wenn es jetzt noch eine gibt, dann seid ihr automatisch Konkurrentinnen und es gibt nur Platz für eine von euch beiden.“ Auch bei Besetzungsfragen ist das eine ähnliche Argumentation: „Mehr als eine schwule Person ist voll unrealistisch!“ Das ist so bescheuert! Sorry, aber was unrealistisch ist, ist die Tatsache, dass in deiner Scheiß Serie eine schwule Person nur mit Heteros abhängt! Das muss man sich mal vorstellen! Bevor wir uns überhaupt kennenlernen, werden wir gegeneinander aufgebracht.

Dann lass uns doch im Gegensatz dazu über etwas sehr Positives reden und zwar über dein neues Stück, das am 26. September an den Münchner Kammerspielen prämiert: „Die Kränkungen der Menschheit“ Der Titel spielt auf Sigmund Freud an und auf einen Begriff, den er 1917 geprägt hat. Erzähl doch mal, inwiefern deine Inszenierung diese Theorie aufgreift oder sogar neu interpretiert!

Der Ausgangspunkt für das Konzept ist Freuds Theorie, in der er sagt, dass es „drei große Kränkungen der menschlichen Eigenliebe im Laufe der Menschheitsgeschichte gibt“. Die erste ist Kopernikus, als er feststellt, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Der Mensch verliert also seine Vormachtstellung im Raum. Die zweite ist Darwin und die Feststellung, dass der Mensch nur ein später Affe ist. Der Mensch verliert damit seine vorgestellte Vormachtstellung unter den Wesen. Er ist also nicht superior, sondern auch nur so etwas wie ein spätes Tier. Und die dritte Kränkung ist Freud selbst, der durch die Beschreibung des Unbewussten konstatiert, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist, so wie gedacht. Er hat also nicht die Kontrolle über sich, sondern es gibt Teile von ihm, auf die er keinen Zugriff hat. Damit ist die Vormachtstellung in sich selbst quasi auch verloren. Der Ausgangspunkt war, über diese drei Kränkungen nachzudenken. Das waren ja alles wissenschaftliche Erkenntnisse, die zu ihren Zeiten extrem heftig bekämpft wurden. Immer, wenn so etwas bekannt wurde, dann war das eine große Desillusion. Freud meint damit aber eigentlich nur den christlichen, weißen, europäischen Mann der frühen Moderne. Durch neue Erkenntnisse hat sich das Selbstbild komplett als Illusion entpuppt. Das heißt, der Mensch wird desillusioniert und ist deswegen gekränkt. Kränkung ist eine tiefe Verletzung, weil sie das Selbstbild komplett fragwürdig macht. Und das ist anscheinend etwas, was ganz schwer für den europäischen Menschen ist. Denn es ist die europäische Art sich als DEN Menschen zu verstehen und alle Menschen, die nicht europäisch, christlich, männlich, weiß sind, in einem hierarchischen Verhältnis um sich herum zu platzieren. Darauf beruht das Selbstverständnis von uns Europäer*innen. Weil mein Thema im größeren Sinne immer Whiteness ist, steckt das auch bei Freud drin. Wenn man in der weißen Matrix ist, dann wird einem beigebracht, dass man das ist, wovon aus die Welt verstanden wird. Und diese Perspektive ist die europäische Krankheit. Das macht das globale System, in dem wir heute noch leben, aus und hat es geformt. Doch wie viele Zivilisationen gab es bereits, die schon längst ausgerechnet haben, dass die Erde natürlich nicht der Mittelpunkt des Universums ist und die ganz andere Zugänge zum Selbstverständnis und zum Weltverständnis hatten. Und für die die Vorstellung, dass wir die Krönung irgendeiner Schöpfung sind, überhaupt keine Rolle spielt, sondern die sich immer in zirkulierender Verbundenheit mit jedem kleinen Pflänzchen, jedem Tier und jedem Lufthauch, den es gibt, gesehen haben. Freunds abstrakter Begriff von Menschheit ist einer, der sich eigentlich nur auf ihn selbst bezieht. Damit waren immer nur Freud und alle gemeint, die so sind wie er. Die meisten Menschen, die es gibt, haben gar keinen Platz in diesem Menschheitsbegriff.

Dass wir uns heute auf einen One Love und One Humanity-Begriff beziehen, ist ganz tückisch. Wir können nicht einfach diesen Menschheitsbegriff, der letztendlich von diesem einen Typen kommt, weiter anwenden, denn da stimmt wirklich gar nichts dran! Daher haben wir uns eine vierte Kränkung ausgedacht.

Die vierte Kränkung der Menschheit ist die These, dass in allen Zeiten Menschen, die von diesem Menschheitsbegriff ausgeschlossen waren, Widerstand geleistet haben. Und wir sind jetzt politisch an dem Punkt angekommen, an dem diese Widerstände, auch durch Technologie, einen unkaputtbaren Platz in der Dominanzkultur eingenommen haben.

Dieses Gebrüll aus der Peripherie, das seinen rechtmäßigen Platz in der Mitte der Gesellschaft, in der Dominanzkultur und auf der „Sunny Side of Capitalism“ für sich einfordert, wird nicht mehr verschwinden. Man kann sich immer noch mit Haut und Haaren dagegen wehren. Man kann es diffamieren mit Anti-P.C. (Anm. d. Red. = Political Correctness) Argumenten. Und man kann dagegen ankämpfen, so wie die ganzen neofaschistischen Regierungschefs es tun. Aber Tatsache ist: Dieser Lärm geht nicht mehr weg! Das ist auch eine bahnbrechende desillusionierende Erkenntnis, genauso wie die Thesen von Kopernikus, Darwin und Freud. Nur eben eine Erkenntnis, die anders zustande gekommen ist. Hier hat sich nicht irgendein weißer Mann in seinem Schreibzimmer etwas ausgedacht, sondern das sind alle, die immer schon Widerstand gegen diesen Begriff und die Tatsache, dass sie nicht als vollständiger Mensch in diesem Menschheitsbegriff vorkommen können, geleistet haben. Das ist eine kollektive, über verschiedenste Zeiten erschaffene Leistung, die sich jetzt in diesem politischen Klima, in dem wir 2019 stecken, akkumuliert. Und das führt zu Unwohlsein.

Es gibt aktuell so viele Diskurse darüber, was eigentlich gerade in unserer Welt los ist. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Die Kategorien Rechts/Links reichen nicht mehr, um zu verstehen, was passiert. Warum ist es plötzlich schlimm ein weißer Mann zu sein? Die Ikonen der letzten Jahrzehnte brechen alle weg, weil sie wegen irgendwelcher Mißbräuche oder Skandale plötzlich im Gefängnis sitzen.

Alles, was wir gelernt haben und alles, auf das wir uns bezogen haben, steht in Frage. Abstrakt gesehen, ist es letztendlich ein globaler kollektiver Vatermord. Diejenigen, die in dieser weißen Matrix sind, die leichtfüßig sein konnten und immer nur thematisiert haben, werden jetzt plötzlich selbst zum Thema. Und auf die Kränkung folgt ein kollektiver Abwehrmechanismus. Das ist diese krasse aggressive Energie, die gerade für alle spürbar ist. Sei es, dass in verschiedensten Ländern plötzlich wieder Faschisten gewählt werden, Phänomene wie eine Straight Pride oder ein deutscher Politiker, der sich darüber beschwert, dass er sich in der Werbung der Deutschen Bahn „nicht repräsentiert fühlt, weil da so viele nicht-weiße sind“. Diese Körper waren bisher immer unberührt und von ihrem Platz aus wurde die Welt beschrieben, kalkuliert, perspektiviert und gezähmt. Und plötzlich ist dieser Platz nicht mehr sicher. Diese Desillusion, diese Kränkung ist genauso wie plötzlich zu checken: „Scheiße, die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums, ich bin nicht der Mittelpunkt des Universums.“ Das konzeptuelle Fundament des Stücks ist diese Überlegung in eine Denklinie mit Freud zu bringen.

Nach diesem Prinzip, das gerade die Darstellung marginalisierter Existenzen und Körper hervorhebt, habt ihr auch eure Darsteller*innen für „Die Kränkungen der Menschheit“ ausgewählt. Ich bin auf ein Ausschreiben aufmerksam geworden, in dem ihr explizit BIPOC, Frauen*, Inter*- und Trans* Personen jeglichen Alters als Statist*innen gesucht habt. Vor allem Menschen muslimischen Glaubens oder kulturellen Bezügen zum Islam waren erwünscht. Was können wir in dem Stück erwarten?

Ich möchte in den Bildern, die ich in die Welt setze, grundsätzlich nicht die Illusion weiterführen, dass wir in einer weißen Welt leben. Deswegen kann es für mich kein Stück geben, in dem nur weiße Menschen gezeigt werden. Es gibt einen Moment in dem Stück, bei dem man über eine große Gruppe von Leuten choreographisch im Raum versucht Bilder zu erschaffen. Und ich dachte: Warum nicht einfach nur nicht-weiße Frauen* nehmen? Das Bild selbst hat visuelle Motive vom Islam und von Mekka. Es geht ja um dieses europäische Selbstbild und das ist zu 100 Prozent davon abhängig, dass „das Andere“ konstruiert wird. Dieses „Andere“ ist im Diskurs der letzten 15 Jahren verstärkt der Islam gewesen und deswegen ist es wichtig, dieses Element in einer Inszenierung drin zu haben. Es geht ja auch um Kunst und den Museumsraum. Unsere komplette Medien- und Bildgeschichte beruht auf einer Auseinandersetzung mit der christlichen Logik und Mystik. Es gibt viele Theoretiker*innen, die den Beginn der europäischen Geschichte der Bilder oder Bildperspektive mit dem Abdruck von Jesus` Gesicht in seinem Leichentuch beschreiben. Wir denken heutzutage, dass das universell ist. Aber wie Bilder verstanden werden, ist auch auf den Kolonialismus zurückzuführen. Dieser wurde in die ganze Welt exportiert und Leute umerzogen. In der europäischen Malerei ist das Bild immer so gemacht, dass der Ort des*der Betrachters*in in dem Bild festgelegt ist. Es ist für diesen Blick des*der Betrachters*in gemalt. Das heißt, die Bilder erschaffen den*die Betrachter*in auf eine Art mit. Und das ist wieder diese europäische Subjektivität, die da drin steckt. Es gibt noch ganz andere Bildkulturen. In der islamischen Kunst gibt es das zum Beispiel nicht. Da wird eher mit Geometrie und mit Mustern gearbeitet. Nehmen wir die Mosaik-Technik: Ein Mosaik braucht den*die Betrachter*in nicht , um zu existieren. Da geht es nicht um die Person, die darauf guckt, sondern da geht es eher um die Unendlichkeit in alle Richtungen. Dass du zwar einen Bildrand hast, aber dieses Bild im Prinzip nie aufhört. Das islamische Bildmotiv im Stück war nur ein Beispiel einer nicht-europäischen Bildkultur und gleichzeitig war der Islam das dominante „Andere“, das Europa die letzten zwei Jahrzehnte gebraucht hat, um sich selbst zu definieren. Deswegen war es naheliegend, das so reinzuholen.

Du hast vorhin deinen straff getakteten Zeitplan im Theater angesprochen. Hast du dann schon konkrete Pläne, was nach den „Kränkungen der Menschheit“ ansteht?

Ja, nach der Premiere habe ich für zwei Monate eine Residenz im Goethe-Institut in Salvador de Bahia. Das ist DIE Schwarze Stadt von Brasilien. Dort gibt es eine spirituelle Praxis, Candomblé, die im Alltagsleben und Streetlife noch immer sehr präsent ist. Ich finde das super interessant und außerdem ist die Stadt wichtiger Punkt im „Black Atlantic“. Wenn ich zurückkomme, haben wir mit dem Stück “Die Kränkungen der Menschheit” noch verschiedene Gastspiele in Deutschland. Im Frühjahr mache ich dann etwas kleines Neues an den Münchner Kammerspielen. Zum Abschluss von der Lilienthal Spielzeit findet dort ein großes zehnstündiges Stück eines Romans von Roberto Bolaño statt. Hierbei inszenieren zehn Regisseur*innen jeweils eine Stunde, auch ich. Aber in der zweiten Jahreshälfte nächsten Jahres möchte ich mich eigentlich ein bisschen rausziehen und gärtnern oder so (lacht).

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