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    Maimouna

    Auf der Suche nach Heilung

    Fotocredit: Latifah Cengel

    Triggerwarnung: Im folgenden Text wird eine Totgeburt beschrieben.

    Totgeburt. Was bedeutet das eigentlich? Es bedeutet, nach neun Monaten des Wartens und Freuens alleine aus dem Krankenhaus nach Hause zu gehen. Es bedeutet eine Geburt ohne Happy Ending, ein Neubeginn ohne Leben. Das bedeutet zehn Tage Zeit, um einen Sarg auszusuchen, eine Beerdigung zu planen, Einladungen zu verschicken und alle staatlichen Institutionen zu informieren. Doch wie geht es weiter nach einem solchen Verlust und was macht es mit dir als Mensch, als Eltern, als Partnerschaft, als Frau?

    Wie ein Engel

    Am 30. Oktober letzten Jahres wachte ich morgens um sieben Uhr auf. Ich war am Ende des achten Monats schwanger. Ich bemerkte einen Druck in meinem Unterleib und auf der Blase. Mein Bauch und Rücken schmerzten so sehr, dass mir der Schweiß ausbrach. Ich blutete. Eine Freundin half mir den Notdienst zu rufen.

    Die Sanitäter kamen und holten mich ab. Im Krankenhaus war ich umgeben von weißen fremden Menschen mit Masken. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, als mein Arzt aus dem Zimmer stürmte. “Was ist mit meinem Baby?”, schrie ich ihm hinterher. Ein paar Sekunden später kehrte er zurück und entschuldigte sich bei mir: Meine Tochter sei nicht mehr am Leben. Jedes Schlucken fühlte sich an, als würde es mir die Kehle aufreißen. Eine Hebamme kam zu mir ans Bett. Sie drückte mich fest an sich. “Schreien sie”, sagte sie. “Sie haben jedes Recht, einfach zu schreien.” Und das tat ich.

    Der Arzt teilte mir mit, er müsse aufgrund meines Blutverlustes sofort einen Notkaiserschnitt durchführen. Als ich von der Operation erwachte, fühlte ich mich wie gefangen in einem schlechten Traum. Man gab mir meine bildschöne Tochter in die Arme. Es war surreal. Sie sah aus wie ein Engel.

    Mutterschaft ist nicht eindimensional

    Auf der Suche nach physischer und psychischer Heilung stellte ich schnell fest: Weder staatliche Institutionen noch die Krankenkassen oder Ärzt*innen konnten mir gute Anlaufstellen nennen. Ich betrat unterschiedliche spirituelle Räume und suchte nach Schwarzen Menschen, die sich dem Thema widmen. Dabei erkannte ich, dass es zwar unzählige Kulte zum Thema divine femininity und womb healing gibt, aber kaum bis gar keine Kurse für Schwarze Menschen, die sich nur mit dem Thema „Totgeburt und Heilung“ beschäftigen. Viele Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen reduzierten sich aufs Frausein und Mutterschaft allein auf die Gebärfähigkeit. Das wollte ich nicht.

    In Gambia, wo ich zu Hause bin, ist Mutterschaft vielfältig.

    Bin ich denn weniger eine Frau, weil ich Mutter eines verstorbenen kleinen Mädchens bin? Bin ich weniger eine Mutter, weil meine Tochter diese Welt nicht lebendig betreten und verlassen hat? Gibt es einen Unterschied zwischen motherhood und womanhood? Das letzte Jahr veränderte meine Sicht auf das Frau- und Muttersein. Mutterschaft zeichnet sich nicht nur durch das Gebären aus. Mutterschaft bedeutet, ein Kind zu versorgen und es emotional zu unterstützen, bis es seinen eigenen Weg gehen kann oder möchte. In Gambia, wo ich zu Hause bin, ist Mutterschaft vielfältig. Dort gibt es Mütter, die nie geboren haben. Es gibt Mütter, die aus medizinischen Gründen nicht gebären können und dennoch drei Kinder haben. In Gambia haben alle Frauen die Möglichkeit, Mütter zu werden, indem sie Kinder „geschenkt“ bekommen von Menschen, die Ihnen nahestehen.

    Maimouna

    Die Zeit danach

    Rückblickend hätte ich mir von meinem Umfeld mehr Verständnis gewünscht. Verständnis dafür, dass Trauer keine Mindestdauer hat, dass Trauer unberechenbar ist und dass manche Wunden eben nie ganz verheilen. Ich hätte mir gewünscht, nicht ständig „Antworten“ oder „Lösungen“ von Freund*innen und Familie präsentiert zu bekommen. Am schlimmsten waren die betretenen, totschweigenden Gesichter derer, die hörten, was passiert war, aber nicht wussten, was sie sagen sollten. Schweigen, Betroffenheit, gut gemeinte Ratschläge bis hin zu sehr schweren Anschuldigungen musste ich ertragen. Doch was ich brauchte, war Halt. Jemand, der*die diesen Schmerz fühlt und meinen Verlust versteht. Die traurigste Erkenntnis war, zu realisieren, dass viele meiner Geschwister dieses Schicksal mit mir teilten und es still erduldeten. Ohne je seelischen Support zu erhalten.

    Wie mache ich weiter?

    Nach acht Wochen fand ich in einem Rückbildungskurs für verwaiste Mütter einen sehr vertrauten Kreis an unterschiedlichen Frauen und ihren Geschichten. Bis heute stehen sie mir mit Liebe und Kraft beiseite. Sehr viel Kraft gaben mir in dieser Zeit außerdem meine Wegbegleiterin und Mentorin WildMindfulWoman, meine große Schwester und RosaMag Co.- Autorin Moni, meine Hebamme, meine fellow Mummies, eine Freundin und Leidensgenossin, sowie meine Familie. Die größte Kraft fand ich jedoch in mir selbst und im Umgang mit meinem Sohn. Wir sprechen über seine Schwester und pflegen gemeinsam ihr Grab. Wir sammeln kleine Geschenke in der Natur, malen Bilder für sie und sind gemeinsam traurig darüber, dass sie nicht bei uns ist.

    Was mir passiert ist, ist ein Teil von mir, aber es ist nicht allein meine Geschichte.

    Emotional befinde ich mich seit Oktober 2020 auf einer Achterbahnfahrt. Ich bin wütend, dankbar, stolz, gebrochen, traurig, traumatisiert und resilient bis zum Umfallen. Wütend und traurig, weil ich meine Tochter nie aufwachsen sehen und erleben werde. Dankbar und Stolz, dass ich nicht gestorben bin und es trotz aller Hürden geschafft habe, meiner Trauer einen Raum zu geben. Traumatisiert, da ich bis heute den psychischen und physischen Schmerz und den Verlust in meiner Gebärmutter spüren kann. Resilient bis zum Umfallen, weil ich die Situation immer wieder konfrontiere. Was mir passiert ist, ist ein Teil von mir, aber es ist nicht allein meine Geschichte.

    Trotzdem Mutter einer Tochter

    Ich gedenke meiner Tochter regelmäßig in Ritualen. Ich gehe alleine auf den Friedhof und setze mich mit einer Kerze an ihr Grab. Ich weine, wann immer mir danach ist. Ich nehme mir den Raum zu Trauern, wenn es mich überkommt.

    Trauer und Heilung haben keine Mindestdauer.

    Ich habe einen furchtbaren Verlust erlitten. Diese Wunde wird nie ganz verheilen, dennoch: Ich bin Mutter von zwei wundervollen Kindern. Eines lebt und eines ist jetzt meine Schutzpatronin. Ich habe keine körperlichen Folgeschäden. Ich lebe noch. Das gibt mir Kraft. Meine Tochter ist nicht bei mir, aber sie treibt mich an, mich nicht aufzugeben.

    Jeder Tag, an dem ich es schaffe aufzustehen, ist ein Erfolg. Aber auch graue Tage im Bett sind ein Erfolg. Trauer und Heilung haben keine Mindestdauer.

    Wenn ihr auch Sterneneltern seid, rate ich euch: Vernetzt euch mit Eltern, die das gleiche erlebt haben. Damit wir lernen darüber zu sprechen und nicht länger zu schweigen. Sucht euch therapeutische Beratung. Sprecht mit euren Kindern, denn auch sie haben jemanden verloren. Das wichtigste: Nehmt Unterstützung an, bei allem, was euch hilft und lasst euch Zeit, solange ihr es braucht. Redet mit Menschen, die eure Trauer wirklich sehen können. Alles andere verletzt und verstört nur. Vergesst niemals, ihr seid nicht allein. Wir sind viele. Wir müssen uns nur finden.

    maimouna

    Maimouna

    Maimouna Jah ist Mutter, Afrikanistin, Ethnologin, freie Autorin, Lyrikerin und Sängerin. Sie wurde 1990 in Frankfurt am Main geboren und absolvierte Oktober 2016 ihren B.A. in Afrikanistik und historische Ethnologie. In Ihrem Studium beschäftigte sie sich mit der Systemlinguistik in Afrikanischen Sprachen, sowie Soziolinguistik und postkoloniale Theorie. In ihrer Abschlussarbeit schrieb sie über „Talking Drums in Afrika“ und erforscht derzeit die Sabar-Trommelsprache, der Wolof aus Senegal und Gambia. Sie arbeitet als freie Deutschdozentin, macht ihren M.A. in Afrikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und zieht ihren Sohn groß. Bei RosaMag ist sie für Locspflege, Mutterschaft und Selfcare zuständig.

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