Christl Clear: „Angst ist ein beschissener Ratgeber“
Fotocredit: Barbara Brunner
„Macht das Nickerchen. Sagt die Party ab, fahrt (alleine) auf Urlaub, besteht beim Sex darauf, dass ihr auch befriedigt aus der Geschichte rausgeht, und sagt öfter mal Nein zu Dingen, auf die ihr keinen Bock habt.“ Diese und viele weitere Lebensweisheiten finden sich in „Let me be Christl Clear“, dem Erstlingswerk der österreichischen Bloggerin und Influencerin Christl Clear. Wir drucken für euch exklusiv ein Kapitel ihres Buches auf RosaMag ab. In „Fear Not For (Wo)Man“ spricht Christl über Angst und Verantwortung und plädiert für einen nachsichtigeren Umgang mit unseren eigenen Fehlern.
Immer wieder gratuliert man mir zu meinem Mut. Ob ich meine Cellulite zeige, mich nach jahrelanger Anstellung mit Mitte 30 für die Selbstständigkeit entscheide, offen mit meinem IVF-Prozess umgehe, mich für unsere Breitengrade ungewöhnlich farbenfroh style oder dieses Buch schreibe. Mir wird ständig dazu gratuliert, dass ich mich etwas traue. I get it, ich mache oft mal unkonventionelle Dinge. Dinge, die sich die Gesellschaft von einer Frau (wie mir) nicht erwartet, und dafür müsste man ja Eierstöcke aus Stahl haben. Die habe ich Gott sei Dank nicht, dafür kann ich mit sehr viel Angst dienen. In meinem Kopf gibt es zwei Arten von Angst. Die eine Version ist die Angst vor Neuem. Unterbewusst irritiert mich nämlich nichts so sehr wie Veränderung. Ich bin ein sehr gemütlicher Mensch, und wenn ich mich erstmal wohlfühle und das Gefühl habe, dass alles passt, möchte ein Teil von mir auch, dass das bitte für immer so bleibt. Mein Mann sagt, dass das die Österreicherin in mir ist, und ich widerspreche ihm hier nicht. Der andere Teil, der in mir steckt, ist der, der zwar ein bisschen nervös ist, was Veränderungen angeht, aber es eigentlich kaum erwarten kann, seinen Horizont zu erweitern. Das ist clearly der nigerianische Part, der sich so gut wie immer durchsetzt, sonst würdet ihr diese Zeilen hier nicht lesen. Ich fürchte mich oft und viel – ohne genau zu wissen wovor, beinahe instinktiv – und habe nicht immer die emotionalen Kapazitäten, mich nicht von meiner Furcht vereinnahmen, geschweige denn aufhalten zu lassen. Angst ist ein beschissener Ratgeber und ein noch beschissenerer Führer. Eine Erkenntnis, die ich schon ein paarmal machen musste. Mein Anspruch an mich selbst ist grundsätzlich hoch, aber sehr realistisch. Ich erlaube mir Fehler und Scheitern – auch, wenn es mich nervt. Alles andere ist utopisch und viel zu anstrengend.
So abgedroschen die Floskel „Nobody’s perfect“ ist, so viel Wahrheit steckt auch in ihr. Es gibt da draußen keinen fehler freien Menschen und weder ihr noch ich werden den Anfang machen.
Egal, wie sehr man sich bemüht, sich hineintigert und was weiß ich noch alles tut, um etwas tadellos zu machen oder einfach perfekt zu sein, es ist reine Zeitverschwendung: Das Universum hat ganz bestimmt andere Pläne. Was nicht bedeutet, dass man sich nicht anstrengen soll. Aber eben alles mit Maß und Ziel; vor allem Letzteres sollte realistisch gesetzt werden. Und dann kommt noch die Angst vor der Blamage, die ich hier auf keinen Fall außen vor lassen möchte. Es ist eine Sache, wenn man es vor sich selbst versaut, aber wenn es vor jemand anderem passiert, ist das gleich eine andere Liga.
Wir leben in einer Welt, in der wir zwar alle mal was falsch machen, aber menschliches Versagen, Fehler oder Scheitern gesellschaftlich nahezu inakzeptabel sind.
Wenn man Pech und Publikum hat, stehen die Chancen gut, dass man nicht einfach zur Verantwortung, sondern auch durch den Dreck gezogen wird. Öffentlich. Plötzlich findet man sich in einem vollwertigen Shitstorm wieder. In dieser Sphäre, in der wir uns befinden, ist performative Perfektion schon so normal, dass jede Kleinigkeit, die jemand falsch macht, zum Skandal aufgebauscht wird. Das ist in so vielen Punkten einfach nur anstrengend und unfair. Bloß nicht falsch verstehen, ich bin eine große Verfechterin davon, dass man dafür verantwortlich gemacht werden sollte, wenn man etwas falsch gemacht hat. Aber wenn das Gegenüber nicht sachlich erklären kann, warum die Handlung problematisch war und stattdessen auf Beleidigungen, Lustigmachen, Morddrohungen und körperliche Attacken zurückgreift, dann ist diese Person definitiv nicht in der Position, andere zu kritisieren. Wer andere als emotionale Punching Bags benutzt, um vielleicht auch von den eigenen Problemen abzulenken, sollte vor seiner eigenen Tür kehren. So kommen wir nämlich nicht weiter.
Wenn wir öfter offen mit unseren Fehltritten umgehen, uns weniger inszenieren und uns eingestehen, dass wir alle nicht fehlerlos sind, wäre unser aller Leben definitiv einfacher.
Dass wir keinen Schalter in unserem Kopf haben, den wir einfach umlegen und es dadurch besser machen können, ist bitter. Aber das wäre auch viel zu einfach. Es braucht Übung, einen Aufbau des Selbstbewusstseins und die Anerkennung des Selbstwerts. Man ist nämlich nicht wertlos, wenn man etwas falsch macht, oder das, was man getan hat, nicht funktioniert hat. Man ist höchstens ein Mensch, der eine weitere Erfahrung gesammelt hat. Oftmals im Gegensatz zu der Person, die über einen urteilt. Meine zweite Angst hat ihren Ursprung in einer traumatischen Erfahrung. Bevor mein Vater 2015 sehr überraschend verstorben ist, war mir nicht klar, was Verlustängste sind. Mittlerweile weiß ich es nur allzu gut. Ein Beispiel: Wenn mein Mann und ich uns gestritten haben, ist er früher oftmals wutentbrannt aus der Wohnung geflohen. Um frische Luft zu schnappen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er hat das anfangs ohne Vorwarnung gemacht und so Panik in mir ausgelöst. Wohlwissend, dass er irgendwo schwer emotional in Hipsterville herumkrebste und vor sich hin fluchte, habe ich mich trotzdem immer wieder gefragt: „Was, wenn ihm etwas passiert? Was, wenn er nicht mehr zurückkommt, was wenn …?“ Der Gedanke, ihn zu verlieren war so triggernd für mich, dass ich ihn weinend angerufen habe, damit er zurückkommt. Es hat quasi eine halbe Therapiesitzung gebraucht, um zu eruieren, was mein Problem ist. Verlustangst. Und nachdem wir der ganzen Sache einen Namen geben konnten, war es auch für den Markus und mich leichter, damit umzugehen. Mittlerweile haben wir einen Deal, bei dem er immer sagen muss, dass er nur kurz um den Block geht, um sein Leben zu packen, und dass er sicher wieder zurückkommt. Das hat mir nicht nur dabei geholfen, meine Angst unter Kontrolle zu bekommen, sondern nimmt auch den meisten Streitereien ein bisschen den Wind aus den Segeln. Wie die meisten Paare stehen wir nämlich dann da, streiten, schreien, vielleicht weint auch noch jemand, und während der Markus sich stinksauer seine Schuhe anzieht und ich ihn frage, wo er hingeht, schaut er mich mit dem letzten Quäntchen Nerv an und keift durch seine Zähne: „Ich geh’ nur einmal um den Block, weil ich’s nimmer pack. Aber ich komme wieder. Du gehst mir zwar am Oarsch, aber ich liebe dich wirklich sehr!“ Da muss ich innerlich schon lachen, schrei aber meistens: „Bitte geh und geh mit Gott, aber mir nimmer am Zeiger!“ Und denke mir das „Ich liebe dich“ einfach.
Jetzt, wo ich das so niederschreibe, bin ich mir nicht sicher, ob das ein gesunder Umgang mit der Situation ist, aber er hat uns dabei geholfen, mit meinen Verlustängsten umzugehen. Zumindest was den Teil angeht. Ich habe immer noch Angst um die Menschen, die mir am Herzen liegen. Ich habe die Befürchtung, dass ihnen randomly etwas zustoßen könnte. Dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind, ihnen etwas passiert und sie es im schlimmsten Fall nicht überleben. Mit ein bisschen professioneller Hilfe und Übung darin, den negativen Gedanken nicht so viel Raum zu geben, habe ich das auch ganz gut unter Kontrolle bekommen. Und wenn es mich doch einholt, dann sage ich es der Person, umarme sie – sofern es Covid zulässt – ein bisschen länger und fest oder kaufe ihr einfach einen Fahrradhelm, wie im Falle meiner Freundin I.
Ich bin sehr froh, dass ich meine Ängste so gut kanalisieren kann. Mein Umfeld macht mir in Zeiten wie diesen kristallklar, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Menschen, die mit einer Angststörung oder Panikattacken leben und jeden Tag so nehmen, wie er kommt, haben meine höchste Bewunderung. Sie sind auch meine Motivation, möglichst nett zu meinen Mitmenschen zu sein, weil man nie weiß, wie es einer Person innen drinnen geht. Das gelingt mir mal mehr und mal weniger gut. Aber auch hier sind Fehltritte erlaubt. Warum? G E N A U, weil niemand perfekt ist.
Christl
“Ich war einmal Redakteurin und bin jetzt Influencerin, Kolumnistin und Buchautorin. Aber in in aller erster Linie bin ich eine Frau. Manchmal moderiere ich auch Podiumsdiskussionen oder Events. Ich bin eine gebürtige Wienerin mit einer tiefen Liebe für Beyoncé, Rihanna, Mode, Hip Hop aus den 90ern und dem Fernsehen. Außerdem hab ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Deswegen findet man auf meinen Social Media Plattformen neben Outfit-Posts, Musikempfehlungen und meinem Mann Markus auch gesellschaftskritische Beiträge.”
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