Der Schwarz-Weiße-Konflikt und die Frage: Wie viel Holocaust steckt in dir?
“Sie sind ja nicht nur Schwarz, sondern auch weiß!” erklärte mir ein weißer Journalist im Interview. Mit dieser Aussage fragte er mich, was denn mein Problem sei und er setzte nach: “Sie sind ja nicht so richtig Schwarz.” Woraufhin ich antwortete: “Und trotzdem kriege ich Rassismus ab. Irre, oder?” Darauf folgte ein Kopfschütteln und eine vermutlich klug formulierte, nicht direkt implizierte, aber doch eigentlich ganz klar subtile Frage, warum “die sich so aufregen.” Willkommen im Diskurs unter aufgeklärten Journalist*innen. Doch trotzdem hatte er recht. Ich bin weiß und Schwarz. Und obwohl ich in Deutschland gezwungen bin, mich mehr mit meinem Schwarzsein im weißen Normativ und dem daraus resultierenden Alltagsrassismus auseinanderzusetzen, entdeckte ich vor kurzem eine ziemlich irritierende Wahrheit. Meine weiße Familie hat doch auch etwas mit dem Holocaust zu tun, oder nicht?
Die Propaganda hinterlässt nicht nur Spuren in den Geschichtsbüchern
Wir reden nicht. Meine Familie und ich. Wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen, plaudern wir eher. Über das Wetter, dass sich der Nachbar einen neuen, viel zu teuren Wagen gekauft hat oder dass sich eine Cousine scheiden lässt. Schon wieder. Darüber sprechen wir. Über Andere. Nicht über uns. Das muss ich ein wenig spezifizieren. Meine Großeltern, Großonkels- sowie Tanten, wir plaudern eher. Meine Schwester, meine Mutter und ich versuchen den Bann des Schweigens zu brechen. So auch, als ich über das Buch “Desintegriert euch” von Max Czollek stolperte. Eigentlich vermutete ich, dass ich mich zurücklehnen und das Leben aus der Perspektive einer jungen jüdischen Person im Post-Nazideutschland erkunden könnte, doch Pustekuchen. Als ich Seite für Seite las und die Statistik entdeckte, dass jede*r Fünfte*r laut einer repräsentativen Umfrage davon überzeugt ist, dass die eigenen Vorfahren im Dritten Reich Juden und Jüdinnen oder anderen Verfolgten geholfen hätten, waren es lediglich circa 10.000 von knapp 60 Millionen. Es geht weiter: Je jünger die Befragten waren, desto weniger glaubten sie, dass ihre eigenen Familienmitglieder*innen etwas mit den Nazis zu tun hatten. Wobei hier wichtig anzumerken ist, was die Definition von beteiligt ist? Zum einen gibt es Täter*innen, was die Uniform- und Funktionsträger*innen umfasst, die persönlich Kriegsverbrechen oder nationalsozialistisch motivierte Morde abseits von Kriegshandlungen begangen haben, so kommt man einschließlich einer (laut dem Autor bereits hoch angesetzten Dunkelziffer) auf maximal 500.000 Täter*innen. Sollten wir die Definition erweitern und alle 18,2 Millionen deutsche Soldat*innen als Täter*innen des Zweiten Weltkrieges definieren, sieht die Zahl wiederum ganz anders aus. Unabhängig davon, sind alle, wirklich alle Teil der Propaganda gewesen. Das hinterlässt Spuren. Nicht nur auf den Seiten unserer Geschichtsbücher, sondern auch in unseren familiären Biografien und auch in den politischen Einstellungen.
Ich wäre nicht nur Opfer, sondern auch Täterin gewesen
Mit dem Unterricht in der Schule wurde der Holocaust zur Geschichte nicht zur eigenen Vergangenheit. Ich realisierte, dass ich Eine von Denen bin. Eine der Person, die denkt, dass sie nichts mit dem Holocaust zu tun hat. Dabei ist es nicht mein Versuch, mich aus meiner Verantwortung herauszuwinden. Als wir in der Schule über den Holocaust und der Nazivergangenheit sprachen, das Gedächtnistheater (lest das Buch von Max Czollek) fütterten, realisierte ich mit dem Blick auf die Liste der Menschen, die ins Konzentrationslager mussten, dass ich mit meinen Locken, meiner Hautfarbe vermutlich nicht lange im Nazideutschland überlebt hätte. Wobei Theodor Wonja Michael mit seiner Biografie das Gegenteil beweist, aber ich sah mich immer als Opfer nicht als Täterin. Stimmt das? Ich machte mich auf den Weg und befragte meine Familie.
Rassismus ist keine Meinung.
Meine Ur-Großmutter war Hausfrau und zog sechs Kinder groß. Mein Ur-Großvater war Beamter. Er arbeitete beim Arbeitsamt. Doch für mich war dieser Prozess, das Gespräch mit der eigenen Familie zu suchen, überaus wichtig, denn ich erkannte: Ich stamme von Sklaven*innen ab und von einer Familie die in Zeiten des Nazideutschlands lebte, agierte, feierte, Kinder gebar und die Augen verschloß. Das ist auch Teil meiner Historie, meiner Biografie und deshalb ist es auch meine Aufgabe, eine realistische und ehrliche Vergegenwärtigung dieser Vergangenheit mit mir zu tragen. Ich muss mir meiner Verantwortung bewusst werden, gerade in Zeiten in denen der Antisemitismus steigt, eine bekennende rassistische Partei in den Bundestag zieht und Rassismus immer mehr in den öffentlichen Mainstream rutscht und sich somit normalisiert. Rassismus ist keine Meinung. Der Holocaust sollte nicht zu einer verblassenden Erinnerungen aus dem Geschichtsbuch verkommen oder ein paar Daten sein, die wir für eine erfolgreiche Prüfung pauken mussten. Es liegt lediglich 85 Jahre zurück. So alt, wie mein Großvater ist. Also, wie viel Propaganda trägt er in sich? Oder meine Mutter und Tante, die danach folgten?
Ciani
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