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    meret

    Did we forget to abolish? – von #BLM 2020 und Schwarzen Polizisten auf TikTok

    In ihrer zweiten Kolumne erzählt unsere Autorin Meret, wie sie den Black-Lives-Matter Sommer 2020 in Berlin erlebte und warum es sie nicht überrascht, dass sich heute, zwei Jahre später, nicht viel verändert hat für Schwarze Menschen in Deutschland.

    Sommer 2020. Morgen steht die große Black Lives Matter Demo in Berlin an. In den letzten Tagen hatten wir, deutsches Black Twitter und Schwarze Vernetzung in Berlin, viel Streit. “Silence is not the Answer” war die Reaktion auf die Ankündigung eines stillen Protests. Leise sein? Jetzt? Das geht nicht! Wir müssen die Trauer zu Wut machen, Wut zu Anklage – laut, nicht still! Für meinen Feed ist Polizeigewalt nichts Neues, BLM kein neuer Hashtag. Mein Kopf ist schon seit Jahren an die Bilder gewöhnt, kennt Namen nicht nur aus den USA, sondern auch die derer, die hier in Deutschland ermordet, verbrannt, erschossen wurden. Das versuche ich meinen Mitmenschen on- und offline die ganze Zeit irgendwie zu erklären: Ja, USA Polizeistaat, ja USA voll rassistisch, USA Waffengewalt, ja hast du “The 13th” schon gesehen – aber auch ja, Deutschland Nazistaat, Deutschland NSU, Deutschland Oury Jalloh, Deutschland erster Genozid des 20. Jahrhunderts in Afrika. Das alle auf einmal alles lernen wollen und doch irgendwie nie zuhören, frustriert mich. Aber um Leute wie dich geht es gerade nicht, sag ich mir. Für die meisten Leute ist das halt tatsächlich neu. Das ist ein Moment für die Dominanzgesellschaft. Ein Aufwachmoment für die, die eben bis jetzt weggeschaut haben oder es vielleicht wirklich nicht mitgekriegt haben, wirklich nicht wussten. Meine Frustration, meine Bauchschmerzen beim 20. Video von toten Schwarzen Kindern sind gerade nicht gefragt. Jetzt ist die Zeit für Infographics und Schwarze Squares als Solidaritätszeichen. Dieser Sommer ist nicht für dich.

    Nachts, nach der Demo sitze ich mit Freund*innen vor der Polizeiwache. Warten, schauen zu wie nach Mitternacht immer wieder – vereinzelt – Jugendliche und Kinder, die auf der Demo festgenommen wurden, freigelassen werden. Verzweifelt, eingeschüchtert, erschöpft. Bei dem Protest gegen Polizeigewalt dort erleben sie die gleiche Gewalt hier. Die Illusion Deutschlands als ‘sicher’, wer auch immer sich das jemals einreden konnte, zerplatzt. Eine weitere Nacht und noch ein weiteres Dutzend Kids, für die diese Diskussion nicht auf Instagram oder im Seminarraum passiert, sondern am eigenen Körper.

    “Awakening” verstand ich immer so, als ob es ein schlafendes ‘davor’ gäbe, als ob ich nicht schon immer Schwarz, schon immer weiblich gelesen war; als ob es jemals einen Moment gegeben hätte, in dem ich nicht genau so wahrgenommen und behandelt wurde.

    In den Wochen danach geht der digitale Lern-/Streit-/Kampfraum weiter. Langsam schaffen wir es von einzelnen Cops, zu “Defund The Police”, zu Abolitionismus und Systemkritik zu kommen. Zumindest teilweise. Die ganzen Stücke rücken etwas näher zusammen, das Bild eines gewalttätigen Systems, das Ressourcen und Arbeit ausbeutet, ob in Kolonien oder durch “Gast”-Arbeit, wird deutlicher. Zumindest ein bisschen. Ich lerne, dass diese Wochen für viele Leute, für viele Schwarze Siblings, doch sehr viel verändert hat. Dass sie dieses „Awakening“, das ich als Konzept nie so ganz verstanden habe, spüren. “Awakening” verstand ich immer so, als ob es ein schlafendes ‘davor’ gäbe, als ob ich nicht schon immer Schwarz, schon immer weiblich gelesen war; als ob es jemals einen Moment gegeben hätte, in dem ich nicht genau so wahrgenommen und behandelt wurde. Ich dachte bei “Awakening” immer an white-passing und light-skinned Siblings, die ihre Kindheit im Glauben verbrachten, sie sein weiß und dann als twenty-somethings schockiert merken, dass auch sie Rassismus erfahren. Aber so ein ‘Awakening’ ist hier gar nicht gemeint. Sondern, dass viele Siblings nun Dinge einordnen können, politische Strukturen und persönliche Erfahrungen zusammenführen und benennen können. Dass sie – und das ist mir am wichtigsten – merken, sie können und müssen nicht alles so hinnehmen, wie es ist. Bei diesen Gesprächen kommt die Hoffnung auf. Vielleicht ist der Sommer ja doch für uns zumindest ein bisschen.

    2022. Ein Schwarzer Polizist macht irgendeinen deutschen TikTok-Trend mit. Mörderische Token-Politik, meilenweit von Abolitionismus, mit dem extra Hauch an deutschem Cringe. „Zitter nicht“, sagt er. Mir wird schlecht. Ein Mann, der durch die Legalisierung von Brechmittelfolter den Mord von Achidi John ermöglichte, ist Bundeskanzler. Wenn wir Abolish The Police! rufen, sind wir auf einmal wieder radikal. Ich frage mich, ob irgendetwas der ganzen Gespräche hängen bleibt. Ob die Kritik, die so viele Menschen 2020 formulieren konnten, irgendwo noch zu finden ist. Letzte Woche wurde noch ein Schwarzer Junge von amerikanischen Cops ermordet. Ich frage mich, wie oft das alles noch passieren wird. Und wie lange ich noch erklären werde, dass mich das alles nicht schockiert.

    Ich bin nicht schockiert, weil ich gelernt habe, wie diese Systeme funktionieren.

    Denn es schockiert mich nicht. Es hat mich damals nicht schockiert, und es schockiert mich heute nicht. Wenn ich auf jeden Mord, auf jeden Konflikt, auf jede Ungerechtigkeit mit Schock reagieren würde, hätte ich für nichts mehr in meinem Leben Zeit oder Kraft. Das kann ich mir nicht leisten. Ich bin nicht schockiert, weil ich gelernt habe, wie diese Systeme funktionieren. Dass das ganze Leid, die ganze Gewalt, die ganze Entmenschlichung und Gleichgültigkeit keine Ausnahmen sind, sondern genau das, was Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat – diese lange Liste an Strukturen und Untersystemen – mit uns machen. Ergebnis, nicht Versagen von Systemen. Statt schockiert zu sein, versuche ich also meine Trauer, meine Erschöpfung und meinen Frust da rein zu investieren, dieses Systematische sichtbar zu machen. Und es immer wieder zu benennen. In der Hoffnung, dass die Gespräche irgendwann hängen bleiben, der Protest länger als eine Demo anhält und das Ganze so bald wie möglich überwunden wird. Letztendlich auch, weil Schwarzes Leben so viel mehr verdient und so viel mehr Wert ist, als es diese Strukturen jemals zugeben könnten.

    Meret

    Meret Weber (Sie/Ihr) ist gebürtige Berliner und studiert derzeit Politikwissenschaften an der SOAS Universität London. Ihr Background liegt irgendwo zwischen Oberschwaben, Südsudan und Kreuzberg. Sie träumt von einer Zukunft, in der Schwarzes Leben weltweit nicht mehr das Spielfeld von Kolonialismus, Kapitalismus und Patriarchat ist und beschäftigt sich mit Antidiskriminierung und Bildungsarbeit. Meret ist außerdem eine der Autor*innen von “Schwarz wird großgeschrieben.”

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