Resilienz – Für Schwarze Kinder und Jugendliche der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben
Fotocredit: Peter Idowu | Unsplash
Auch wenn wir in einem demokratischen Land leben, auch wenn in diesem Land viele Menschen tolerant und weltoffen sind, auch wenn man theoretisch überall ungestraft seine Meinung äußern und mit ihr und für sie auf die Straße gehen kann, auch wenn es vielleicht kein anderes Land gibt, in dem wir lieber leben würden, können wir uns keinesfalls der Illusion hingeben, dass unsere Kinder und Enkelkinder nicht rassistischen Äußerungen und strukturellem Rassismus ausgesetzt sind und sein werden. Wie schon Charlotte Wiedemann sagte: Es ist ein langsamer Abschied von der weißen Dominanz. Wie können wir als Eltern dazu beitragen, dass unsere Schwarzen Kinder zu selbstbewussten Menschen heranwachsen, die sich trotz Rassismuserfahrungen frei und lebensfroh entwickeln können?
Der erste Schritt ist sicher die offene Anerkennung des noch immer gelebten Rassismus. Ich mag Deutschland. Ich bin umgeben von liebevollen, klugen, vielseitigen, weltoffenen Menschen, die sich für ihre Mitmenschen und das Weltgeschehen interessieren. Aber auch wenn ich hier zufrieden lebe, gibt es persönliche Erfahrungen und viele Nachrichten, die mich erschrecken: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland jeden Tag fünf Menschen Opfer rassistischer Übergriffe. Seit 1990 bis 2020 zählte die Amadeu Antonio Stiftung 208 Todesopfer rechtsextremer Gewalt. Das ist die Spitze eines Problems, dass immer noch zum Alltag Schwarzer Deutscher gehört. Gerade weißen Eltern Schwarzer Kinder fällt es oft schwer anzuerkennen, dass ihre Kinder weniger gesellschaftliche Akzeptanz und Support erfahren, es teilweise bei Lehrer*innen schwerer haben, sich stärker beweisen müssen. Ihnen wird häufig weniger positive Entwicklung zugetraut. Dieser stille Rassismus, der sich darin zeigt, dass man bestimmte Chancen nicht eingeräumt bekommt, ist besonders perfide, da er schwierig nachzuweisen ist. Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch zu bekommen beispielsweise oder die Empfehlung fürs Gymnasium, obwohl dies dem Notenspiegel entspräche. Auch der Anteil der Mitarbeiter*innen in Führungspositionen spiegelt nicht die Vielfalt der deutschen Gesellschaft wider. Dazu gibt es bisher keine konkreten, belastbaren Zahlen, da es keine Statistik über die Anzahl Schwarzer Deutscher gibt. Die Antidiskriminierungsstelle in Berlin finanzierte 2020 zur besseren statistischen Einschätzung den Afrozensus von Each One Teach One. Dort wurden demographische Daten, aber auch Diskriminierungserfahrungen und Erwartungen Schwarzer Deutscher abgefragt. Die Auswertung wird voraussichtlich im Frühjahr diesen Jahres veröffentlicht.
Im zweiten Schritt vergegenwärtigen wir uns die Entwicklung eines Kindes: Von Anfang an ist ein kleiner Mensch an Beziehung mit seiner Umgebung und an stetigem Lernen interessiert. Das Baby und Kleinkind versucht sich an einer Tätigkeit wieder und wieder, bis es sie beherrscht, ist fasziniert von allem Neuen, von jeder neu entdeckten Funktion, zum Beispiel der einer Klappe im Vergleich zu der einer Tür oder Schublade. Es probiert alles aus. Versuch und Irrtum, erneuter Versuch und Erfolg. Ein Kleinkind kennt Misserfolge und lässt sich dadurch erst einmal nicht entmutigen. Was es als Motor braucht ist seine ureigene Neugier, eine Umgebung, die diese Neugier zulässt, Erfolge und laut Psychoanalytiker Heinz Kohut: „Glanz im Auge der Mutter“. Dieses positive Feedback bei jedem selbstständig versuchten Schritt ermöglicht es dem Kind, Spaß am eigenen Tun zu entwickeln und sich mehr und mehr seiner selbst und seiner eigenen Wirksamkeit bewusst zu werden. Es beginnt, sich als initiativen Menschen zu erleben, der unabhängig von seiner Umgebung Ziele erreichen kann.
Natürlich würden wir als Eltern unseren Kindern gerne Frustrationen ersparen. Sie vor Gefahren zu schützen, die ihnen ernsthaft schaden könnten, ist bei allem Streben nach freiheitlicher Erziehung unsere Pflicht. Auf andere schlechte Erfahrungen sollten wir sie vorbereiten oder sie mit ihnen im Nachhinein besprechen. Vermeiden können wir sie nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach können wir unseren Kindern rassistische Erfahrungen nicht ersparen. Wie also können wir sie dennoch zu zufriedenen, starken Menschen erziehen, die sich sowohl wehren, als auch jenseits der rassistischen Erfahrungen gesund und selbstbestimmt in ein zufriedenes Leben in Deutschland hinein entwickeln können, ohne sich in ihrer Würde angegriffen zu fühlen?
Resilient gegen rassistische Erfahrungen scheinen vor allem die Kinder zu sei, die ein Elternhaus haben, das sie emotional mit Selbstwertgefühl und Stolz auf ihre mögliche nicht deutsche Herkunft und auf ihr Schwarzsein ausgestattet hat. So schreibt es die Soziologin Nkechi Madubuko in Empowerment als Erziehungsaufgabe. Dabei stellt das Elternhaus einen geschützten Raum dar, welches dem Kind Strategien vermittelt, mit rassistischen Anfeindungen umzugehen.
Außerhalb der Familie sind es Freund*innen und andere zugewandte Personen, die dem Schwarzen Kind unterstützend zur Seite stehen können, denn, auch das ist wichtig zu vermitteln: es sind immer nur wenige, die ausgrenzen, die rassistische Bemerkungen machen oder ungleich behandeln. Diese einzelnen oder auch einzelnen Gruppen sind eine oft sehr laute Minderheit.
Viele Schwarze Familien in Amerika vermittelten ihren Kindern, dass sie nicht dieselben Rechte und Möglichkeiten haben, wie ihre weißen Schulkameraden. Unser Ziel sollte sein, unseren Kindern zu vermitteln, dass ihnen dieselben Rechte zustehen und dass sie, falls nötig mit unserer Unterstützung, in jedem Fall für sie eintreten, sich über jede Ungleichbehandlung empören sollen. Immer dann, wenn sie zu anderen gemacht werden, müssen sie protestieren, mit unserer Hilfe.
Kinder können sich neben dem Rassismus entwickeln. Sie haben eine freie Identität, die sich neben den Zuschreibungen von außen entfalten kann, ohne dass sie sich als Opfer fühlen müssen. Sie sind nicht persönlich gemeint. Wie oft hört man als Schwarze Deutsche den Satz: „Dich meine ich nicht, aber…“ Das Problem ist größer, ist institutionell. Wir Eltern müssen uns in Schulen für Antirassismus- Kampagnen einsetzen. Auch Schwarze Geschichte gehört in die Lehrpläne- und damit ist nicht nur die Sklaverei gemeint. In der Schule muss man erfahren, welchen durchaus großen Anteil Deutschland an der Kolonisierung Afrikas hatte, was mit Schwarzen Deutschen nach dem ersten Weltkrieg und im Dritten Reich passierte. Es muss erzählt werden über die Verschickung tausender Schwarzer Kinder weg von ihren deutschen Müttern nach Amerika bis hinein in die sechziger Jahre aufgrund eines Bundestagsbeschlusses. Auch all das ist deutsche Geschichte.
Schule ist ein Ort, an dem ethische Werte vermittelt werden. Schule ist ein vorpolitischer Raum. Wenn dort Aufklärung, Vergangenheitsbewältigung und eine klare Haltung zum Thema Rassismus vermittelt wird, hat dies enorme Auswirkungen auf die positive Entwicklung deutscher Schüler*innen und damit auf den Antirassismus im Allgemeinen. In den UN- Menschenrechtskonventionen ist das Recht auf eine diskriminierungsfreie Bildung festgeschrieben Bis diese Ansätze umgesetzt sind, wird Zeit vergehen. Ja, unsere Kinder werden weiterhin Erfahrungen mit Rassismus machen.
Eine besonders krisenhafte Zeit auch bezogen auf Rassismuserfahrungen stellt die Pubertät dar. Dies ist die Zeit, in der sich Veränderungen einstellen, die bei viele Jugendlichen zu großer Verunsicherung führen. Sie verlieren ihre Unbeschwertheit, erkennen sich selbst nicht wieder, sind himmelhoch- jauchzend und zu Tode betrübt. Sie haben oft Schwierigkeiten, ihr sich veränderndes Äußeres und die sich verändernden Emotionen zu akzeptieren. Wenn in diese Zeit Ablehnungserfahrungen stattfinden, wiegen diese deutlich schwerer und können traumatisierend sein. Das schon altersbedingt verunsicherte Selbst empfindet sich durch Ablehnung, durch ungerechtfertigte negative Zuschreibungen minderwertig und unwert. Jugendliche, die eine Kindheit mit starkem familiärem Rückhalt einerseits, aber auch Förderung der Autonomie und Selbstwirksamkeit auf der anderen Seite durchlebt haben, können pubertäre Krisen deutlich besser durchstehen. Dennoch gibt es nicht wenige Jugendliche, die ausgeprägte Ängste oder Selbstzweifel bis hin zu depressiven Symptomen entwickeln.
Es wäre von Vorteil, wenn sich diese Jugendlichen, wenn sie es wollen, durch Schwarze Psychotherapeut*innen behandeln und begleiten lassen könnten. Es braucht ein Netzwerk Schwarze Psychotherpeut*innen. Es gibt einiges zu tun, vieles zu verändern, aber es ist in Deutschland durchaus möglich, Schwarze Kinder zu zufriedenen, selbstbewussten, selbstbestimmten Schwarzen Erwachsenen heranwachsen zu lassen. Dazu braucht es klare, geradlinige, engagierte Erwachsene, Schwarze wie weiße, die sich an der Umsetzung von Antirassismus beteiligen.
Jutta
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