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    Jamie-Schearer-Udeh

    Jamie Schearer-Udeh: “Schwarzsein hat mich frei gemacht”

    Im Gespräch mit Jamie-Schearer-Udeh 

    Dieses Interview liegt schon seit einem Jahr in meiner digitalen Schublade. Bereits im Juli 2018, als RosaMag noch eine Idee, ein Wunsch, ein “das-könnte-ich-mal-machen” war, traf ich mich mit Jamie. Aber warum habe ich das Interview nie verfasst? Zu Beginn dachte ich, dass meine Prokrastination ein neues Level erreicht hätte. Doch der wahre Grund ist eine tiefe Unsicherheit meinerseits, dass ich euch kurz erklären muss:

    Als ich mich mit Jamie an einem heißen Tag in Kreuzberg auf einen Kaffee traf, war ich an einem Punkt in meinem Leben, wo ich noch nicht wusste, warum das Wort Schwarz groß statt klein geschrieben wird – da es nicht um “biologische” Eigenschaften geht, sondern um eine gesellschaftspolitische Zugehörigkeit. An einem Punkt, wo ich die ersten Zeilen vom Buch “Farbe bekennen”  – die afrodeutsche Bibel quasi – begann. Es war der Punkt in meinem Leben, an dem ich allmählich realisiert, dass ich eine Schwarze Frau war.

    Ich erkannte, egal wie viel ich arbeitete, schrieb, studierte oder las – in einer weißen Mehrheitsgesellschaft, werde ich primär als Schwarze Frau wahrgenommen. Finito. Jamie verstand das viel früher als ich. Jamie Schearer-Udeh ist seit über acht Jahren politisch aktiv. Vor einem knappen Jahrzehnt nahm sie an ihrem ersten Vernetzungstreffen der ISD – der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland in München teil. Wenige Jahre später war sie sogar Vorstandsmitglied. Jamie ist Co-Gründerin des Europäischen Netzwerk für Menschen Afrikanischer Herkunft – ENPAD.

    Während ich noch in meiner “Ich-kenne-keinen-Rassismus”-Bubble schwebte, sprach Jamie schon vor EU-Gremien. Während ich noch mein Highlife in einer PR-Agentur in Berlin genoß und zwischen irgendeinem unsinnigen Startup saß, demonstrierte Jamie und startete gemeinsam mit Kübra Gümüşay und Sabine Mohamed das Twitter-Projekt #SchauHin, das alltagsrassistische Erfahrungen im deutschsprachigen Raum sichtbar macht(e). Neben ihrem aktivistischen Engagement arbeitet sie als Beraterin für Anti-Rassismus und intersektionellen Feminismus, pendelt zwischen Berlin und London und ist Mutter einer 3-jährigen Tochter. Was ich damit sagen möchte: Ich blicke zu Jamie Schearer-Udeh auf.

    Sie ist eine Schwarze Frau, die in Deutschland und in ganz Europa, jeden Tag für die Bedürfnisse und Belange von Schwarzen Menschen einsteht. Sie ist eine Idealistin. Eine Frau, die zu ihren Werten steht und diese konsequent durchzieht. Das macht mich stolz, dankbar und schüchtert mich gleichzeitig zutiefst ein, denn: Wie kann ich euch, liebe Rosellas, diese intelligente, belesene, empathische und ausgesprochen  starke Frau näherbringen? Wie kann ich euch meine tiefe Bewunderung greifbar spiegeln? Doch jetzt gibt es kein zurück mehr. Es ist es soweit. Ein Versuch. Der Start. Vorhang auf für Jamie Schearer-Udeh:

    Jamie-Schearer-Udeh

    Wie das Bedürfnis nach Verbindung, Jamies gesamte Karriere bestimmte

    “Ich dachte, dass wenn ich für Schwarze Menschen politisch sein möchte, dann muss ich das in den USA machen,” erklärt Jamie. Wir sprechen über ihre ersten Schritte in den Aktivismus und wie isoliert Schwarze Menschen in Deutschland leben.

    “Ich habe Schwarze Menschen in Deutschland nicht gesehen.”

    “Ich finde Deutschland ist ein Ort, wo ein hoher Assimilationszwang (Angleichung)  herrscht, dadurch habe ich mich wenig reflektiert gesehen. Schwarze Menschen werden eher ermutigt sich anzupassen, anstatt Schwarze Perspektiven sichtbar zu machen” so die Aktivistin. Deshalb dachte Jamie, sie müsse in einen Flieger steigen, um für Schwarze Rechte einzustehen. Als sie jedoch vor acht Jahren zum ISD kam, kümmerte sie sich um genau dieses Thema: die Kampagnen – und Öffentlichkeitsarbeit und trägt so zu mehr  Sichtbarkeit für die Initiative und die Belange von Schwarzen Menschen bei. Aus den Savespaces treten, das haben die vorherigen Aktivist*innen Generationen überhaupt erst ermöglicht, so Jamie. Das Buch “Farbe bekennen”, ein Werk von May Ayim, Katharina Ogotoye und Dagmar Schulz, die erstmalig Portraits und Erfahrungen von afrodeutschen Menschen in den Mittelpunkt stellten, welches auch die Geburtsstunde vom ISD war, setzten das Fundament auf dem wir, als  Schwarze Communities nun weiterarbeiten können. “Ich glaube, dass in den letzten Jahren, viel selbstverständlicher mit Begriffen umgegangen wird. Eben auch, dass eine ganze Generation mit einem gewissen Selbstverständnis aufwächst, wie ich bin ´Afrodeutsch` oder ich bin ´Schwarz`,” erklärt Jamie und beschreibt den aktuellen Prozess, der sich vollzieht.

    Die Herausforderungen für Afrodeutsche sind vielfältig

    “Wer im Westen als Schwarze Person sozialisiert wird, wächst mit Rassismuserfahrungen auf,” so Jamie und reißt ihre Kindheit und Jugend in Berlin an. Rassismus war in Jamies Leben präsent. Sie ist mit ihrer Schwarzen Mutter in der Hauptstadt aufgewachsen und hat aus der Perspektive ihrer Mutter, viele rassistische Erfahrungen miterlebt. Jamie hatte stets Schwarze Freunde*innen und Kinder um sich, in denen sie sich widerspiegelte. “Dadurch, dass wir gemeinsam diese Erfahrungen gemacht haben, war da immer eine Baseline: Ich bin nicht alleine damit. Andere Leute teilen diese Erlebnisse auch.” Jamie ist überzeugt, dass Sichtbarkeit und Empowerment wichtige Antreiber für die Schwarze Community sind.

    “Dieses Entitelment – zu denken, dass steht mir zu – ist eine riesen Sache für mich als Schwarze Fraue gewesen,” erklärt Jamie und blickt auf ihre eigenen Erfahrungen aus der Unizeit zurück. “Ich weiß noch, ich war wegen meiner Magisterarbeit total eingeschüchtert. Ich war konstant im Universitätskontext eingeschüchtert. Das hat auch mit meinem Hintergrund zu tun. Wer Eltern hat, die auch Akademiker*innen sind, bewegt sich deutlich selbstbewusster durch das Bildungssystem und weiß, wie sie Sachen einfordern können,” so Jamie und erklärt, was eines der Kernprobleme ist und zwar, dass sich Schwarze Menschen im Bildungs- und Universitätsbereich leichter abspeisen lassen, statt noch einmal zum Professor zugehen und zu sagen: “Ich möchte über meine Hausarbeit sprechen.”

    Schwarze Frauen und der Mythos perfekt sein zu müssen

    Studien zeigen, dass Kinder mit einem Migrationshintergrund nicht so leicht durch das Bildungssystem kommen. Wenn die Eltern keinen akademischen Background haben, wir das noch verstärkt,  ihnen laut Jamie, weniger zugetraut. Diese mangelnde Repräsentation sorgt dafür, dass Schwarze Menschen darum kämpfen müssen, wie viel Raum sie überhaupt einnehmen können, so Jamie. “Ich hatte immer das Gefühl, dass ich schnell abgefertigt werde und den Gedanken: Ich muss alles alleine machen und frag bloß nicht nach Hilfe,” reißt Jamie ein wichtiges und großes Thema unter Schwarzen Frauen an.

    Was ist “Angry Black Woman”?

    Bei der “Angry Black Woman” handelt es sich, um eine stereotype Darstellung von Schwarzen Frauen in der amerikanischen und europäischen Gesellschaft. Es stellt sie  als frech, unanständig, temperamentvoll, anstrengend, aggressiv und als von Natur aus schlecht gelaunt dar. Ein Stereotyp ist ein standardisiertes mentales Bild, das von Mitglieder*innen einer Gruppe in den Medien, der Gesellschaft und im Bildungssystem aufrechterhalten wird. Insbesondere unterrepräsentierte Minderheitengruppen sehen sich häufig gezwungen, weit verbreitete Stereotype über ihre Gruppen zu überwinden. Es wird angenommen, dass der Ursprung der “Angry Black Woman” in der Radiosendung Amos ’n‘ Andy aus den 1950er Jahren liegt, in der Schwarze Frauen als frech und dominant dargestellt wurden. Dieses Bild hat über ein halbes Jahrhundert später weiterhin bestand. Kimberlé Crenshaw, Professorin an der Columbia University, stellt in ihren Forschungen fest, dass die Schnittmenge der Erfahrungen der Schwarzen Frau einzigartig ist im Vergleich zu denen eines Schwarzen Mannes oder weißen Frauen.

    Unsere Gesellschaft unterstützt Ausnahmetalente

    Die Bilder der “Angry Black Woman”, die stereotype Darstellung in unserer Gesellschaft, dass Schwarze Frauen als temperamentvoll, anstrengend und aggressiv darstellt, werden nicht nur von der weißen Mehrheitsgesellschaft kanalisiert, sondern eben auch von Schwarzen Menschen. Als Schwarze Frau* in Deutschland kann es , schwierig sein herauszufinden, wann bin ich dieses Bild, dass von Schwarzen Menschen vorherrscht und wann wirklich und wahrhaftig Ich, so Jamie und ergänzt: “Ich glaube, dass ist unfassbar schwierig, weil unsere gleichzeitig Gesellschaft jene belohnt, die sich dem dominanten Habitus anpassen. Dann werden wir das Ausnahmetalent, die klassischen Sätze hören, wie: Für eine schwarze Frau bist du ausgesprochen eloquent,” fasst Jamie das paradoxe Bild von Schwarzen Menschen in unserer Gesellschaft zusammen. In ihrem eigenen Leben hatte Jamie die Möglichkeit, aufgrund  der Tatsache, dass sie in einem wohlhabenden Bezirk die Schule besuchte, sich in Räumen zu bewegen, die “ihr”,mals Schwarzes Arbeiter*inkind, nicht immer freundlich gesinnt waren. “Ich kenne die Codes, kann mit ihnen  navigieren und habe die Möglichkeit in verschiedenen Klassenkontexten einzutauchen und dabei habe ich gelernt:

    Das System ist relativ straffend, denen gegenüber, die die Codes nicht nutzen.”

    Wie viel kann ich, Ich sein?

    “Zwar bin ich es gewohnt, mich in solchen Bereichen zu bewegen, gerade in politischen Kontexten wie bei Gremiensitzungen und Vorstandsarbeit, doch es ist schlauchend. Ernst genommen wird wer eine akademische Sprache benutzt, bestimmte Kleidung trägt und ein dominante Körpersprache nutzt.  Das Schwarzsein und die damit verbunden Ausgrenzungserfahrungen haben es mir erlaubt, mich zu fragen wer bin ich und wer ist mein authentisches Ich jenseits von diesen Codes.. Das hat mich auch näher an eine Freiheit gebracht,” stellt Jamie fest. Ausgrenzungserfahrungen zu machen, haben mich  unweigerlich zu einem inneren Prozess, angeleitet, wo ich mich gefragt habe: Möchte ich das wirklich? Oder ist es mir von außen auferlegt und eine gesellschaftliche Norm, nach welcher ich handeln muss.

    “Aber es ist natürlich kein leichter Weg sich dort hinzubewegen. Weil es auch damit verbunden ist, Ausgrenzungserfahrungen zu erleben, die nicht nur schmerzhaft sind, sondern auch materielle Folgen haben können. Wer sich regelmäßig kritisch äußert zu rassistischen Verhältnissen ist meist nicht die erste Wahl für die Beförderung. Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, wie oft sehe ich mich in der Gesellschaft widergespiegelt? Das hat zum einen damit zutun, dass Schwarze Menschen selten in hohen Positionen sitzen, in Aufsichtsräte sind, was unweigerlich auf die Frage hinausläuft: Wie viel können wir Teil von etwas sein? Doch dann frage ich mich auch gern: Möchte ich Teil davon sein?”  

    Jamie Schearer-Udeh hat in den letzten acht Jahren ihre Fertigkeiten, Energie und Leidenschaft in  Schwarze Communities gesteckt und gezeigt: Auch in Deutschland gibt es viele Optionen für Schwarze Menschen aktiv zu sein und das mit Erfolg. Ende letzten Jahres hat sie ihre Position bei  dem europäischen Netzwerk für Menschen Afrikanischer HerkunftENPAD aufgegeben,  derzeit leitet sie  Leadership-Programm für nicht-binäre, trans* und cis Frauen of Color in Europa – Working on our Power. Sie arbeitet außerdem als selbständige Beraterin für intersektionelle Diskriminierung und Antirassismus. Sie arbeitet für uns, mit uns und an eine gerechtere Welt.

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