30 Jahre deutsche Sch-einheit
30 Jahre Mauerfall – 30 Jahre deutsche Sch-einheit. In den vergangen Tagen, gab es jede Menge Feierlichkeiten, TV-Specials und Artikel anlässlich des Jubiläums der sogenannten “Wiedervereinigung”. Seit Mitte des Jahres, gibt es eine durch die Bundesregierung initiierte Kampagne mit dem Titel “Das ist sooo deutsch”, die auf Bushaltestelle-Plakaten angebliche “deutsche” Dinge zeigt, wie den Trabi, Socken in Sandalen und eine migrantische Person, die Döner zubereitet- latente Bestärkung einer nationalen Identität im öffentlichen Raum. Doch wie war die “Wende” für Schwarze Menschen in Deutschland? Eine kritische Beleuchtung der frühen 90er:
Ein neues Deutschland? Nicht für alle
In den aktuellen Beiträgen zum Mauerfall sehen wir fast immer jubelnde Menschen, die sich mit Freudentränen in den Augen in die Arme fallen. Doch der Mauerfall und die darauf folgende sogenannte “Wiedervereinigung” waren nicht für alle in Deutschland lebenden Menschen solch ein freudiges Ereignis. Das neu entstandene “Wir”-Gefühl, das mit dem Ereignis einherging, führte zu der Imagination einer homogen christlich-weißen Nation. Dies rechtfertige in den Tagen und Monaten nach dem 9. November 1989 Übergriffe und Attacken auf nicht-weiße und damit vermeintlich, nicht-deutsche Personen. Denn diese waren nicht mehr Teil des “Neuen Deutschlands”.
“Die Mauer fiel direkt in die Köpfe, derer, die sie umgaben”
May Ayim beschreibt in ihrem Text “Das Jahr 1990” wie sich die Stimmung in Berlin verändert. Sie will mitfeiern, sich freuen für Menschen, die nun ihre Familie wieder sehen können, für die deren Fluchtversuche gescheitert sind. Doch stattdessen erlebt sie Ablehnung und Gewalt: “Mir scheint, die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten warf ihren steinigen Schatten weit voraus, bevor sie zerfiel, und zwar direkt in die Köpfe derer, die sich mit ihr umgeben, geschmückt und abgefunden hatten.” (Ayim 1993:206)
Applaus und Beifall von der bürgerlichen Mitte
Während sich die Supermarktregale vieler Orts mit schwarz-rot-goldenen Fahnen und Hütchen füllten, wurde am Tag nach dem Mauerfall ein Schwarzer Junge aus einer Berliner S-Bahn gestoßen, begleitet von den Worten “Dich brauchen wir hier nicht mehr.” Dies war allerdings nur der Vorläufer für die Gewaltexzesse der frühen 90er. In den Jahren nach der sogenannten “Wende”, steigt die Gewalt rechtsextremer Jugendlicher gegen vermeintliche “Andere”, doch auch die bürgerliche Mitte applaudiert und schaut zu: So zum Beispiel 1992 bei den drei Tage andauernden Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen. Dieses wird tagelang belagert, mit Steinen beworfen, Böller fliegen durch die Fenster, die Menschen können das Gebäude nicht verlassen, denn vor den Türen der Hochhäuser haben sich Neo-Nazis aus ganz Deutschland versammelt und eben auch die Nachbarschaft um zuzuschauen und anzufeuern. 1993 wird in Solingen ein Haus, das mehrheitlich von türkischen Personen bewohnt wurde, in Brand gesetzt. 5 Menschen sterben 15 weitere sind verletzt. Und bereits 1990 wird Amadeu Antenio Kiowa, ein Vertragsarbeiter aus Angola, nach einem Kneipenbesuch in Eberswalde von einer Gruppe Jugendlicher ermordet.
Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit? Nein: Rassismus.
Zwischen 1989 und 1993 werden 1.800 Attacken auf “Ausländer*innen” verzeichnet. Zuerst mehrheitlich in Ost-, später dann auch in Westdeutschland. Diese sind in den Medien immer als fremden- oder ausländerfeindlich motiviert betitelt, nie aber als rassistisch. Und die Dunkelziffer liegt viel viel höher, wenn wir bedenken, wie viele Taten nie angezeigt wurden und dass alle Personen mit einem Deutschen Pass in der Statistik nicht in die Kategorie “Ausländer*in” passen. Personen, die aber Schwarz oder of Color sein können und somit auch Zielscheibe des erstarkten Nationalismus waren.
Abschiebungen und verschärfte Asylgesetz, statt Schutz vor Gewalt
Parallel kommt es in Ostdeutschland zu Abschiebung von Vertragsarbeiter*innen aus Mozambique und Angola. Die Jahre lang unter prekären Bedingungen und starken Restriktionen in der DDR geschuftet haben. Da der Staat, der sie aufnahm nun zerfiel, wurden sie binnen kürzester Zeit abgeschoben. Gleiches betraf auch Menschen aus Vietnam und Osteuropa. Auf die (rechtsextreme) Gewalt reagiert die Bundesregierung mit einer Verschärfung der Asylgesetze und hat Angst um das internationale Image Deutschlands. Bietet den Betroffenen von Gewalt aber keinen Schutz.
Wo sind die Perspektiven Schwarzer Menschen?
In den letzten Wochen habe ich versucht mich intensiv mit den Erfahrungen Schwarzer Menschen in der Zeit post-’89 auseinander zu setzten. Doch es ist schwierig Quellen zu finden, die ihre Perspektive in den Fokus bringen. Häufig sind es soziologische Studien, die dann aber die weißen (meist jungen, männlichen) Täter zentrieren und versuchen zu erklären Warum?. Da fallen dann Aussagen wie: “sich abgehängt fühlen”, “Perspektivlosigkeit”, “Arbeitslosigkeit”. Klingt wie eine Studie von 2019. Zwar mag all das stimmen, aber es ist für mich keine Rechtfertigung von Rassismus und schon gar nicht für die Umgangsweise der Politik und der Justiz mit den Morden, Angriffen, der Ausbeutung von Vertragsarbeiter*innen und den Abschiebungen.
Die Website Verwobene Geschichten versucht sich marginalisierter Perspektiven und historischen Erfahrungen rassifizierter Menschen in Deutschland, primär Berlin, anzunehmen. Speziell zum Mauerfall gibt es ein Video in dem sich unter anderem die Schwarzen feministischen Aktivist*innen Peggy Piesche und Katja Kinder über diese Zeit austauschen.
Lasst uns drüber sprechen und immer wieder aufs neue einen kritischen Blick auf Geschichtserzählung werfen.
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