Wir sind ROSA.MAG
RosaMag - das erste Online-Lifestylemagazin für afrodeutsche Frauen.

Wer ist ROSAMAG?

RosaMag Mitglieder

ROSAMAG ist ein Online-Lifestylemagazin, dass afrodeutsche Frauen und Freunde informiert, inspiriert und empowert. ROSAMAG porträtiert die facettenreichen Lebenswelten der modernen schwarzen Frau. Von natürlichen Pflegetipps für Afrolocken, inspirierenden Interviews, mitreißenden Kommentaren und beflügelnden Reportagen - Wir zelebrieren afrodeutsche Frauen! Wir möchten Vorbilder schaffen und unsere Diversität zeigen.

    “Darf ich deine Haare anfassen?”

    Die non-verbale Variante der Herkunftsfrage ist, wenn Menschen einfach in die Haare fassen

    Warum sind Afrohaare ein Politikum? 

    Unsere Autorin Sophia widmet sich der Ironie der ganzen “Afrohaar-Anfassen”-Thematik. Sie beschreibt, warum es sie an Menschenzoos aus den 1930er Jahren erinnert, die auch in Deutschland Alltag waren und warum die Liberalisierung von Schwarzen Haaren in New York sogar ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz benötigt, was auch zeigt: Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Doch woher kommen wir, was ist das Ideal und warum sind Afrohaare überhaupt solch ein Politikum? Lasst euch von Sophia auf eine Reise mitnehmen.

    “Darf ich deine Haare anfassen?”

    Menschenzoos: Mit der Hand im Haar in die 30er katapultiert

    “Darf ich mal anfassen?” ist noch eine der höflichen Varianten, die einem als WOC begegnet. Hier hätte ich zumindest die Möglichkeit die Frage mit “Nein”’ zu beantworten. Ansonsten wird dann einfach in die Haare gefasst, als wäre man ein interessantes Geschöpf aus einer fremden (!), anderen Welt, dass man dann doch mal kurz angefasst haben muss, als sensorisch ausgeprägter Mensch, der sich seiner Umwelt bewusst ist. Das ist mehr als problematisch, sofern man mit der deutschen und auch generell europäischen Vergangenheit, Stichwort menschliche Zoos, vertraut ist: Bis in die 1930er Jahre existierten in Deutschland und Belgien sogenannte menschliche Zoos, in denen Schwarze Menschen wortwörtlich ausgestellt waren, wie sie in ihre vermeintlich natürlichen Lebensraum leben. Dabei konnten ihnen weiße Europäer zu sehen und sie begutachten wie Tiere. Dabei  lassen manche Menschen völlig außer Acht, dass sie damit ungefragt die Persönlichkeitsrechte des physisch belästigten/betroffenen Menschen übergehen und verletzen. Kurz, sie kommen uns als Fremde, unbekannte Person viel zu Nahe, als das dies noch als tragbar empfunden werden kann. Die Ironie an der ganzen “Black-Hair-Anfassen-zu-Nahe-kommen”-Thematik ist ja, dass man sonst niemals jemanden Fremden auf irgendeine Art und Weise anfassen oder physisch zu Nahe kommen würde, wenn es irgendwie vermeidbar ist. Allein das “zu nah” beieinander stehen, ist untypisch für Mitteleuropäer*innen. Diese ungeschriebene gesellschaftliche Konvention, die meist stark in einer Gesellschaft verankert), scheinen einige unserer Mitmenschen jedoch komplett über Bord zu werfen, sobald sich nur die kleinste Afrolocke, Locs oder Twist in das Sichtfeld besagter Personen verirrt.

    „Afrohaare waren eine Methode, um soziale und gesellschaftliche Unterdrückung und Benachteiligung durchzusetzen.“

    Die Faszination des “Anderen”

    Die Faszination von 3a-4c Haartypen, vor allem an WOC, ist nach wie vor ungebrochen. Es scheint die Verbindung von nicht-weißer Hautfarbe plus Afrohaar zu sein, die als faszinierend gilt. Nach wie vor fassen mir Leute ungefragt in die Haare, egal in welcher Situation und Umgebung. Das anfassen unserer Curls, Locs und Coils kann als die non-verbale Variante der Herkunftsfrage betrachtet werden. Und immer wieder, wenn ich mir denke, das Thema “Haare anfassen” hat sich langsam aber sicher erledigt: Zack! Kommt das nächste unangenehme Erlebnis um die Ecke. Diese Erlebnisse exotisieren und schließen uns damit aus der Mehrheits-Mainstream-Gesellschaft aus. Den meisten unserer Mitmenschen sind die mit Afrohaaren verbundenen Traumata nicht bewusst, teilweise nicht mal WOCs, denn wir sprechen hier von jahrhundertelanger Unterdrückung durch und Politisierung von Afrohaaren, jeglicher Form und Couleur. Ob es nun Locs sind, die als schmutzig und ungewaschen verunglimpft wurden, weil sie nach europäischen Ordentlichkeitsbegriff nicht kämmbar sind, ob es das natürliche Afrohaar ist, das nicht sooft gewaschen werde muss, wie europäisches Haar, da es eher trocken als fettig ist, und dadurch das Pendant zu europäischen Haar darstellt. Afrohaar, dass, um der Stigmatisierung und Politisierung zu entgehen, fast chemisch getötet wurde. Hier lassen sich dutzende Beispiele nennen, wieso und wie Afrohaar durch eurozentrische Ansichten stigmatisiert wird.

    “Darf ich deine Haare anfassen?”

    Fakt ist, dass sich viele nicht den Dynamiken, Rassismen und Mikroaggression, die das über die Haare tätscheln beinhaltet, nicht bewusst sind. Aber wie ist es so weit gekommen? Dafür begeben wir uns auf eine kleine Zeitreise. Um eine Wissensbasis zu schaffen, gebe ich euch an dieser Stelle ein paar historische Fakten an die Hand:

    Im frühen 18. bis ins 19. Jahrhundert war es Schwarzen Frauen per Gesetz (Tignon Lawin Nordamerika per Dekret verboten, ihr Haare in der Öffentlichkeit offen zu tragen, um nicht “zu erotisch” für weiße Männer zu sein und um diese verführen zu können. Ähnliche Gesetze gab es auch in Mittel- und Südamerika. Sie waren gezwungen Turbane und Haartücher zu tragen, die afrikanischen Kulturen entspringen und durch die versklavten Vorfahren eingeführt wurden. Das tragen von unbehandelten, natürlichen Haaren, noch dazu von offenen Haaren, war für Frauen generell unüblich. Sie wurden in Form gebracht, angepasst und eingezwängt, ebenso wie das mit Frauen auch passierte. Schwarze Frauen mussten ihre Haare zusätzlich bedecken. Freiheit ist freilich etwas anderes.

    Haare waren ein Symbol von Kultur und gesellschaftlichen Status: So ist es kaum verwunderlich, dass Frauen im Zuge der Sklaverei die Haare abrasiert wurden, und ihnen damit, ähnlich wie die in den KZ-inhaftierten Frauen, die Würde genommen.  Hier lässt sich eine Chronik zur Geschichte der Stigmatisierung von Afrohaaren bilden:

    Erst das Abrasieren der Haare, die Schwierigkeit an Mittel oder Möglichkeiten zur Haarpflege zu gelangen, das Verbot, offene Haare zu tragen, das Verbot “echtes“ lockiges Haar zu tragen wie in manchen Schulen, der US-Navy, Arbeitsplätze in den USA. Letzteres wird teilweise nach wie vor praktiziert. Schwarze Frauen waren also lange Zeit nicht Herrinnen über ihr eigenes Haar. Nun trauen wir uns, der Natural Bewegung sei dank, mit unseren echten Haaren heraus. Wo Schwarze Mütter teilweise vier-jährigen Kinder bereits mit dem Relaxer behandelten und keine Ahnung von „echten Locken haben“… und nun gehen wir raus und ein Schachmatt/in möchte sie nun anfassen. Wie ein Pudel, ein Tier im Zoo. Nein danke!

    Und wie steht es heute?

    Im Februar 2019 wurde ein Anti-Diskriminierungsgesetz zum Schutz von Afrohaar und und Afrohaartrachten durch die Stadt New York verabschiedet, dass es Arbeitgeber/innen und Schulen verbietet, Mitarbeiter*innen und Schüler*innen aufgrund ihrer Haare und Haarstyles vom Arbeitsplatz oder Schulgelände zu verweisen. Diese Gesetzesverabschiedung zeigt auf, dass noch einiges an Arbeit vor uns liegt. Auch innerhalb der Community, in der sich die internalisierte Diskriminierung, verinnerlichte Diskriminierung, in Sätzen beim Familienessen vom Tantchen widerspiegelt, wie “deine Haare sehen ja unordentlich aus.” Oder in deinem weiteren Umfeld, wie durch Lehrer*innen, Klassenkameraden/innen, die dich wissen lassen, dass deine Haare nicht ihrer Vorstellung von Schönheitsidealen entsprechen mit Aussagen, wie “deine Haare sind voll trocken und kraus, irgendwie voll wild, sowie Schamhaare.” Es ist noch ein langer Weg. Diesen müssen wir aber gemeinsam beschreiten. Der erste Schritt wäre: Fasst nicht mehr meine Haare an! Ich bin kein Pudel, keine Tier im Zoo. Auch die Frage macht es nicht “höflicher.” Lasst es! Ob nun subtil oder nicht, unterbewusst oder bewusst. Die Bereitschaft für eine weitgehendst diskriminierungsfreie Gesellschaft einzustehen, muss von allen Seiten ausgehen.

    “Darf ich deine Haare anfassen?”

    Free the Fro!

    All diese Fakten lassen mich zu dem Schluss kommen, dass, eben weil Schwarze Frauen seit Generationen traumatisiert sind durch die Stigmatisierung und Stereotypisierung ihrer Haare, Afrohaare DAS Empowerment Symbol schlecht hin sind. Ganz getreu dem Motto: Our hair is our crown!  Denkt man an die Black Panther Bewegung, ist in den meisten Köpfen wahrscheinlich genau ein Bild hängen geblieben: der Fro! Und etwas ähnliches, eine Renaissance der natural hair Bewegung, ist gerade wieder im Vormarsch. Denn zu den natürlichen Haaren zu stehen, bedeutet auch zu sich selbst, als schwarze Frau zu stehen.

    Rosellas, wa sagt ihr dazu? Seht ihr Afrohaare als Mittel der Politisierung und Diskriminierung? Glaubt ihr, dass unser Haar in all seinen Erscheinungsformen, als das Empowerment-symbole überhaupt gilt?

    Gib deinen Senf dazu!