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Ist die statistische Erfassung von Schwarzen Menschen gut oder schlecht?

Ist die statistische Erfassung von Schwarzen Menschen gut oder schlecht?

Die Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten ist weit über dem Durchschnitt, Frauen müssen im Vergleich zu Männern doppelt so lange auf eine Behandlung in der Notaufnahme warten, eine Studie von der Universität Konstanz zeigt, dass Bewerber*innen mit einem türkischen Namen bei gleicher Qualifikation 14 Prozent weniger positive Rückmeldungen erhielten – diese Daten zeigen Diskriminierung und Rassismus – strukturell. Letzteres ist argumentativ wichtig. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in der Bundesrepublik Deutschland generell keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben, so das Bundesinnenministerium. Vor vier Wochen begann der Imagefilm zum #AFROZENSUS eine von Each One Teach One (EOTO) e.V. initiierte Onlinebefragung. Diese hat das Ziel, die Lebensrealitäten, Diskriminierungserfahrungen und Perspektiven Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen erstmalig zu erfassen. Das führt bei uns zu der Überlegung: Ist eine statistische Erfassung von Schwarze Menschen in der Bundesrepublik gut oder schlecht? 

Ein kurzer Überblick zum Afrozensus 

In der großen #AFROZENSUS Onlinebefragung, die im Frühjahr 2020 startet, sollen erstmals die Lebensrealitäten, Diskriminierungserfahrungen und Perspektiven Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen erfasst werden, heißt es laut einer Presseinformation von EOTO. Ziel ist es, dadurch ein möglichst umfassendes Bild darüber zu bekommen, welche Erfahrungen Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland machen, wie sie ihr Leben in Deutschland einschätzen und welche Erwartungen sie an Politik und Gesellschaft stellen. Die Ergebnisse der #AFROZENSUS Onlinebefragung werden den Communities und der Politik zur Verfügung gestellt. So kann eine stark von intersektionaler Diskriminierung betroffene Bevölkerungsgruppe in Deutschland endlich die für eine bessere Interessenvertretung notwendige Sichtbarkeit erlangen.  Auf der Basis der Ergebnisse der #AFROZENSUS Onlinebefragung werden konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um rassistische Diskriminierungen abzubauen und Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland zu schützen und zu fördern. Der #AFROZENSUS ist ein Projekt von Each One Teach One (EOTO) e.V. und wird von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen getragen, wie  das von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Rahmen der UN Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft geförderte Projekt, Citizens For Europe (CFE) gUG und dessen Forschungsteam von Vielfalt entscheidet.

Der gelbe Stern

Die USA macht es bereits seit 1968, Südafrika tut es, Großbritannien sowieso – all diese Länder erfassen, ethnische Hintergründe. Zugegeben, das basiert auf ihrer Historie. Aufgrund der Apartheid, die Separierung von Schwarzen, Mixed, Colored und weißen Menschen, wird der Race and Ethnicity Census bis heute weitergeführt. Damals zur geographischen Verteilung und der Trennung zwischen Menschen, heute, um gegen Diskriminierung vorzugehen. In Theorie, versteht sich. Zahlen sind abstrakt. Sie nehmen die Emotionalität aus einem Diskurs und bieten eine Basis für eine Problematik. Denn Rassismus sind nicht nur, Neonazis, die nicht-weiße Menschen physisch verletzen. Rassismus ist auch, dass in der öffentlichen Verwaltung lediglich ein Prozent mit einem Migrationshintergrund sitzt. Statistisch erfasst, können Argumentationen nicht mehr als “persönliche Empfindlichkeiten” diskreditiert, sondern als ein strukturelles Problem anerkannt werden. “Ich werde beim AFROZENSUS mitmachen, weil die Stimmen von Schwarzen Menschen gehört werden muss, damit sie sichtbar in der Politik werden und damit deutlich wird, dass hinter Rassismus ein strukturelles Problem steckt,” erklärt Maïmouna. Sie ist Verwaltungsjuristin und studiert nebenberuflich Theologie an der Columbia International University, deutscher Zweig Korntal. Dabei sind der 38-jährigen vor allem die Intention und die Impulsgeber*innen hinter der Befragung wichtig: “Ich mache mit, weil es von EOTO und nicht von der Regierung durchgeführt wird. Wenn eine staatliche Stelle mich nach meiner ethnischen Zugehörigkeit fragen würde, hätte ich Angst, dass bald wieder gelbe Sterne verteilt werden. Never ever!”

Was ist, wenn die Daten in falsche Hände geraten?

Wenn wir diesen Gedanken zu ende führen, würde es bedeuten, dass das Einzige, was uns vor der Wiederholung des Holocaust trennt, eine statistische Erfassung ist. Das wäre problematisch, traurig und insbesondere beängstigend. Auch Simone aus Augsburg ist skeptisch: “In Deutschland wurden schon einmal Statistiken erhoben, wer lebt wo und ist mit wem zusammen. Die Geschichte lehrte es genügend, mich lehrte sie es auf jeden Fall. Was passiert, wenn die Daten in falsche Hände kommen? Was machen wir, wenn die AfD an die Macht kommt? Ich traue der Regierung im Allgemeinen nicht und momentan halte ich es für ungünstig, unter den gegeben Umständen. Da habe ich was dagegen, wenn es einen Verein gibt, der sagt, dass wir einen Nachweis haben, auch wenn dieser codiert ist.” Mit unter den “Umständen” spricht Simone die nicht allzu abstrakte Bedrohung in Zeiten und mit den Erfolgen der AfD an. Die Nachrichten aus den europäischen Nachbarländern machen es nicht besser. So forderte der italienische Vize-Regierungschef Salvini im Herbst 2019, einen neuen Zensus, eine gesetzlich angeordnete Erhebung statistischer Bevölkerungsdaten, zur Erfassung von Sinti und Roma, um Ausweisungen zu ermöglichen. In der Schweiz werden bereits rassistische Erfahrungen von Schwarzen Menschen statistisch festgehalten, aber aus der Perspektiver weißer Menschen, Donald Trump möchte eine Mauer errichten und die rechten Nationalist*innen haben dafür gesorgt, dass Großbritannien aus der EU trat. Antidiskriminierungsdaten bringen offiziell Menschenkategorien zu Papier. Das ist im ersten Moment mit der deutschen Historie problematisch, doch ähnliche wie, “ich sehe keine Farben”, existieren diese Kategorisierung bereits. Sie beeinträchtigen das Leben von vielen Menschen. Sei es bei der Jobsuche, eines neuen Wohnsitzes und somit ökonomisch sowie in der individuellen Entfaltung. Laut dem FAQ von EOTO sind die Ergebnisse die Basis für konkrete Maßnahmen, um rassistische Diskriminierung abzubauen und Schwarze, afrikanische, afrodiasporische Menschen zu fördern.

Was wirklich hinter der Skepsis steckt, ist erschütternd

Spielt der AFROZENSUS dann den Vertreter*innen von Rassenideologien in die Karten? Laut dem jetzt-Artikel, der Daniel Gyamerah, welcher zu Antidiskriminierungsdaten forscht und Leiter des Projekts “Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ ist: Nein, denn im angelsächsischen Raum, ist man sich bereits bewusst, dass wenn man über Schwarze Menschen spricht, es nicht um ein biologisches Konzept wie in der Nazizeit geht, sondern um eine sozial konstruierte Kategorie. EOTO argumentiert, dass Im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit es bereits die Erfahrung gibt, dass quantifizierbare Informationen zum Ausmaß der fehlenden Repräsentation von Frauen sowie der damit verbundenen Diskriminierung die Grundlage aller Fördermaßnahmen sind. Dementsprechend braucht Deutschland ethnisch-basierte Daten, um die Politik über systematische Benachteiligungen informieren zu können. Denn die bestehenden Statistiken zu Menschen mit Migrationshintergrund greift viel zu kurz. Allein schon der Fakt, dass ein sichtbarer und nicht-sichtbarer Migrationshintergrund eine fundamental andere Rolle im Alltag spielt, macht diese Diversifizierung relevant. Gleichzeitig sagt die Skepsis von Schwarzen Menschen gegenüber der deutschen Regierung viel aus. Es zeigt, dass die Aufarbeitung der Kolonial- und Nazizeit nicht trägt. Es zeigt, dass Schwarze Menschen der Regierung weder vertrauen, noch glauben und, das ist gravierender, sich vor ihren Intentionen fürchten. Das ist natürlich den Erfolgen der AfD geschuldet, aber auch dem Umgang mit diesen, der Berichterstattung, dem öffentlichen Leben und der problematischen Sprache. Zwischen den Zeilen bedeutet es: Schwarze Menschen fühlen sich in Deutschland nicht sicher und es spuckt die gedankliche Tendenz, dass sich die Geschichte des Holocaust wiederholen könnte.

Ciani-Sophia Hoeder

Ciani

Ein Online-Lifestylemagazin für afrodeutsche Frauen schaffen. Genau das hat sich die 29-jährige Berlinerin in den Kopf gesetzt. Nun ist Cianis Traum wahr geworden. RosaMag informiert, inspiriert und empowert Schwarze Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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