Nicht VW ist das Problem, Deutschland hat ein Problem.
Du hast es vermutlich schon mitbekommen. Es ist überall. In den Nachrichten, auf den sozialen Netzwerken. Es schwappte bereits nach Großbritannien und in die USA: VW spielt in seiner neuen Werbung mit kolonialen Bildern. Der Konzern postete am 20.05. für einige Stunden eine Werbung auf Instagram. In dem Spot für den neuen Golf, ersonnen offenbar von der VW-Stammagentur DDB, wird eine riesenhafte weiße Hand dargestellt, die einen Schwarzen Mann hin und her und schließlich in das Café „Petit Colon“ schubst. Dann formieren sich Buchstaben, die zwischendurch für Sekundenbruchteile das „N“-Wort zeigen.
Unglaublich: Volkswagen ist natürlich total „überrascht“ und „schockiert“, dass ihr Werbespot so missverstanden werden kann. pic.twitter.com/MYkoCljVcM
— Felix Edeha (@FelixEd93) May 19, 2020
Die Absurdität dieser Kampagne war so groß, dass wir auch über die Echtheit debattierten.
Es geht um eines: Aufmerksamkeit
Diese Werbung ist geschmacklos. Sie ist tief rassistisch. So tief, dass man gar nicht weiß, wo man genau anfangen soll. So sehr, dass man es gar nicht will. Denn das ist die Intention von kreierter Empörung. Aufmerksamkeit. Dabei muss ich an die Sätze von Toni Morrison denken: “Die Funktion, die ganz ernsthafte Funktion von Rassismus ist Ablenkung. Er hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Er lässt dich immer und immer wieder die Gründe deiner Existenz erklären. Jemand sagt, du hast keine Sprache, und du verbringst zwanzig Jahre damit, zu beweisen, dass du eine Sprache hast. Jemand sagt, dein Kopf hat nicht die richtige Form, also lässt du Wissenschaftler(*innen) daran arbeiten, die Richtigkeit deiner Kopfform zu belegen. (…) Nichts davon ist notwendig. Es wird immer noch eine weiter Sache geben.” Doch auch wir vom RosaMag-Team debattieren über den Fall. Die Absurdität dieser Kampagne war so groß, dass wir auch über die Echtheit diskutierten. Aber nein. Es ist echt. Solche Ideen werden weiterhin realisiert. Und ich bin müde. So richtig müde.
Wir sagen es immer wieder. Und wir müssen es immer wieder aufs Neue sagen: Deutschland hat ein Rassismusproblem. Punkt.
Rassismus ist ein System und wir füttern es
Warum empfindet niemand in der VW-Kommunikationsabteilung oder innerhalb der Agentur, diese Werbung als zutiefst kolonialistisch? Weil wir so aufwachsen. Es ist in unseren Schulbüchern, es ist in unserer subjektiven Kreation von Schönheit, Film, Fernsehen, in den rassistischen Philosoph*innen, die wir weiterhin rezipieren und honorieren, obwohl diese zugleich zutiefst von der Vorherrschaft der weißen Rasse überzeugt waren. Rassismus ist nicht nur Rassist*innen vorbehalten, die auf die Straße gehen, das Wort Pegida unter die Haut stechen lassen oder physisch gewalttätig werden. Es ist ein jahrhundertealtes Konstrukt. Tupoka Ogette und Noah Sow schreiben seit Jahren darüber, Alice Hasters formuliert es in ihrem neuen Buch: Wir wachsen in einer rassistischen Gesellschaft auf. Rassismus ist ein System. Aktuell wird sich medial auf diesen Skandal gestürzt. Er wird von allen Seiten beleuchtet, mit dem Ziel, den Grund im Unternehmen zu entdecken, dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Problematik. Deutschland hat ein Rassismusproblem. Die Skandale zu diskutieren, packt das Problem nicht an der Wurzel. Flicken statt lösen. Diskutieren statt nachhaltig verändern. Kurzfristige Empörung statt tiefe und ehrliche Betretenheit. Mit der Afd haben wir sogar wieder eine bekennende rassistische Partei im Bundestag. Rassismus normalisiert sich. Schon wieder. Er war nie weg. Er existierte und brodelte knapp unterhalb des öffentlichen Diskurs. Menschen mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen berichten darüber seit Jahrzehnten. Doch “Politikverdrossenheit,” darauf liegt der Fokus der gesamten Gesellschaft. “Die armen Bürger*innen, die die Afd wählen,” das ist eine große Sorge. Mit dieser Agenda füttern wir den Rassismus. Wir bieten ihm eine immer größere Plattform. Er wächst und wächst und wächst. Wir setzen ihn in Talkshows. Wir legitimieren ihn. Wir gewöhnen uns daran. Es wird zur Norm.
Also ja, VW hat eine verdammt rassistische Kampagne gestartet. Und auch dieser Text bietet diesem Vorgang eine Bühne. Doch das wird nicht die letzte rassistische Werbung sein, die wir uns anschauen müssen. Es werden noch viele weitere folgen. Deutschland hat ein Rassismusproblem. Das ist die Problematik auf die wir uns eigentlich fokussieren sollten. Doch es bietet keine reißerische Headline. Und, dann müsste jede einzelne Person seine eigenen Klischees und Stereotype hinterfragen. Wir müssten unser Schulsystem beleuchten, die Verlage, die Inhalte produzieren, Redaktionen, Filmemacher*innen und ja auch Unternehmen.
Ciani
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